Patrick Pföß

Das Domstiftgut Mötzow, im Land Brandenburg, hat eine große Vergangenheit und wurde erstmals 1204 erwähnt: Daniel Schröder überrascht hier mit einer Ausstellung!

Kultur: In Mötzow gibt es Spargel pur. Freunde von Kunst und Handwerksprodukten sollten der „Kunstmühle“ einen Besuch abstatten. Der Künstler Daniel Schröder überrascht hier mit seiner Ausstellung „Überraschend Urban“, wie malerisch der Alltag sein kann. Das Gefühl des Betrachters Teil des Bildes zu sein, liegt an der lebendigen und aussagekräftigen Malerei des Künstlers.

Patrick Pföß hielt die Laudatio: Syntax und Logos

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte meinen Vortrag mit einem biblischen Zitat beginnen. Keine Angst, Sie erwartet hier jetzt keine ausführliche Exegese über ein theologisches Thema, jedoch steckt in diesem Zitat so viel Gehalt, dass es Sinn macht damit zu beginnen.

Die meisten von Ihnen haben vermutlich schon einmal die deutsche Übersetzung des folgenden griechischen Textes gehört:

„En Archei en ho Logos kai ho Logos en pros ton Theon kai Theos en ho Logos“

zu deutsch:

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“

Martin Luther übersetzte das griechische Wort „Logos“ entsprechend der lateinischen Bibel, der Vulgata, mit dem deutschen Begriff „Wort“. Wie gesagt finden wir im griechischen Original aber den Begriff „Logos“, der mehrere Bedeutungen hat und sehr unterschiedlich übersetzt werden kann. Eine davon ist das, was wir im deutschen allgemein mit dem Begriff „Sinn“ beschreiben. Übersetzt man den griechischen Satz nun mit „Logos“ gleich „Sinn“, würde der Satz heißen:

„Im Anfang war der Sinn und der Sinn war bei Gott und der Sinn war Gott.“

Wollen wir diesen Satz einmal so stehen lassen und keine weiteren theologischen Umdeutungen vornehmen.

Warum wähle ich dieses Zitat? Immer wieder wird behauptet: „Kunst macht Sinn“ bzw. „Kunst schafft Sinn“. In den vergangenen Monaten habe ich mich intensiver mit diesem Thema beschäftig. Grund hierfür war eine persönliche Krise nach einer Uraufführung einer meiner Kompositionen. Ich war unzufrieden mit der Rhythmik und der Gestik, die jedoch den Vorgaben des Auftraggebers geschuldet waren. Die Thematik und die daraus folgende Idee der Komposition, ihrer Anlage, davon war ich absolut überzeugt.

Ich erinnerte mich an eine Kompositionsklassenstunde. Ein Kommilitone hatte ein neues Werk vorgelegt und ich war entsetzt darüber, dass es allen Ernstes in der Klangsprache eines Johannes Brahms komponiert worden war. In dieser Unterrichtsstunde kritisierte mein Professor jedoch nie die gewählte Klangsprache, die Regeln die sich daraus ergaben und das „Werkzeug“ das verwendet wurde – sprich die Syntax. Seine Kritik lautete: das Werk macht keinen „Sinn“! 

Ob mich das verwendete Material anspricht oder nicht, ist eine persönliche Geschmacksache. Wie bekannt ist, kann man über Geschmack nicht streiten, denn dieser entsteht durch persönliche Erfahrungen, soziokulturelle Hintergründe etc.

Der Sinn (der Logos) dahinter ist jedoch etwas über-persönliches, etwas das fern meines eigenen Geschmackes ist. Es ist das, was es transzendieren lässt, es zum Kunstwerk macht.

Ich möchte nun eine Übertragung dieser Erkenntnis auf die bildende Kunst versuchen.

Das was wir offensichtlich sehen, ist oft nur das Motiv, die Technik, das Handwerk. Entscheidend sind diese Dinge jedoch nicht. Das Material bzw. die Technik ist nur das Werkzeug. Der Sinn und dass was es zur Kunst macht, liegt dagegen hinter einem Schleier den wir lüften müssen, um dahinter die Kunst zu sehen. Das gelingt uns mal leichter, mal schwerer. Erst der Sinn, hebt das Objekt aber zum Kunstobjekt empor. Erst der Sinn bewirkt, dass mich das geschaffene dauerhaft emotional bewegt, es mich verändert, es etwas in mir auslöst.

Liest man bei Wikipedia den Artikel zur „Bildenden Kunst“ (Stand 8. April 2018), stößt man auf folgenden Satz: „Die Bildenende Kunst wird unterschieden von den darstellenden Künsten (wie Theater, Tanz und Filmkunst), Literatur und Musik. Während sich die Werke dieser anderen Künste im zeitlichen Ablauf vollziehen, existiert ein Werk der bildenden Kunst meist als körperlich-räumliches Gebilde, das durch sich selbst wirkt und keinen Interpreten benötigt, um vom Rezipienten wahrgenommen zu werden.“

Auf ein Fachpublikum mag dies zutreffen. Kunst braucht jedoch Interpretation. Wenn mir dies selbst aber nicht gelingt, benötige ich jemanden, der sie mir interpretiert. Wenn diese Interpretation Sinn enthält und sich mir erschließt, bin ich bereit das Werk als Kunst zu akzeptieren.

Ich konnte einmal einem Gespräch lauschen, in dem eine Person ihrem Gegenüber zu erklären versuchte, was denn Kunst sei. Sie sagte, dass ein Kuhfladen auf der Wiese per se keine Kunst ist. Würde sie die Fladen aber trocknen, auf einen Stock stecken und in ein Museum stellen, würde die Inszenierung des Materials aus der Materie (Kuhfladen) Kunst machen.

Unter uns gesagt, dass war genau das was es ist: Scheisse am Stock! Die Art der Inszenierung schafft keine Kunst. Das ist Privat-Fernseh-Sender Niveau! Die Art der Inszenierung kann einen Rahmen zur Präsentation bilden aber doch nicht Sinn stiften!  

Es ist entscheidend, ob mich das Bild nachhaltig innerlich bewegt, oder ob es bloße Technik bleibt.

Roland Barthes spricht in seinem Buch „Die helle Kammer“ das sich auf die Fotografie bezieht, von dem „punctum“. Es ist das Irritierende, das „nicht perfekte“, das den Betrachter fesselt und dadurch in das Geschehen hinein zieht. Das kann ich ebenfalls auf die Malerei übertragen.

Ich möchte gerne einige Unterschiede zwischen Malerei und Fotografie anhand der Form des „Portraits“ darstellen. 

Es wäre müßig, wenn ein Maler versuchen würde, seine Vorlage eins zu eins auf die Leinwand zu kopieren. Ein Foto kann dies sehr viel besser. Wobei auch dies eigentlich ein Trugschluss ist, denn das photographische Portrait lebt von den vier imaginären Größen die sich überschneiden, sich stoßen und verformen: Vor dem Objektiv bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der, für den der Photograph mich hält, und der, dessen er sich bedient, um sein Können vorzuzeigen.  

Im gemalten Portrait geht es nicht darum, die Person genau abzubilden. Es geht darum ihr Wesen zu erfassen, das innere nach außen sichtbar zu machen, den Schleier zu lüften und im Extremfall sogar bloß zu stellen.

Roland Barthes war sogar der Ansicht, dass die Fotographie eher mit dem Theater in Zusammenhang zu sehen ist und nicht mit der Photographie. Er vergleicht hierbei Bilder mit den Masken, die im Theater als Darstellung der Toten benutzt werden. „So ist die Photographie … die bildliche Darstellung des reglosen, geschminkten Gesichtes, in der wir die Toten sehen“.

Häufiger schon wurden die Bilder von Daniel Schröder mit dem Begriff „Fotorealismus“ kategorisiert. Die Bezeichnung „Fotorealismus“ ist nach meinen Begriffen jedoch in zweierlei Hinsicht falsch: ein gemaltes Bild kann und soll nie ein getreues Abbild sein. Selbst wenn ein Foto die Vorlage für den Maler bildet, so wird es während des Malens transformiert. Der Künstler erschafft damit eine andere Realität - eine erdachte.

In einem Gespräch mit Daniel Schröder hat er einmal etwas über seine Bilder gesagt, dass ich mir sofort gemerkt habe: „Es geht mir um die Bewegung - um das Momenthafte“.

In meinem Schlafzimmer hängt ein Bild, das Daniel Schröder 2013 gemalt hat, welches eine Momentaufnahme der berühmten Getreidegasse in Salzburg zeigt. Lange habe ich überlegt, warum mich dieses Bild immer wieder fesselt. Die Maltechnik ist solide und gereift und lässt keinen Zweifel am handwerklichen Können. Aber es ist nicht die sehr detailgetreue Darstellung der Szene, typisch für Schröder, mit der österreichischen Fahne im Wind vor dem Mozart Geburtshaus, das Werbeschild der Mobilfunkgesellschaft A1 und die kleinen Pflastersteine der Gasse, die mich fesseln. Was mich fesselt, ist eine Person ganz rechts im Bild. Sie ist die einzige der dominanten Personen im Bild, die dem Betrachter den Rücken zuwendet und, jetzt kommen wir zum „punctum“, ihr Schatten ist im Vergleich zu den anderen Personen im Winkel leicht versetzt. Sie existiert somit in einer anderen Zeit als die anderen Personen auf dem Bild und ist den anderen entrückt. Ob Herr Schröder dies absichtlich gemacht hat oder unterbewusst, ist für mich nicht entscheidend. Die Dynamik, die dadurch entsteht, ist es aber sehr wohl, sie fesselt mich immer wieder.     

Kommen wir zum Anfang zurück.

Macht Kunst Sinn? Nein! Der Sinn macht Kunst!

Schafft Kunst Sinn? Ja, aber besonders auch umgedreht: Sinn schafft Kunst!

Im Anfang war der Sinn!

Ich wünsche Ihnen nun viel Erfolg bei der „Entdeckung“ der Bilder, der Fotos und der Karikaturen. Kommen Sie ins Gespräch mit den Künstlern. Erfahren Sie mehr über die Objekte und lüften Sie den Schleier um hinter das Werkzeug, die Syntax, zu sehen und den Sinn, den Logos, zu begreifen.

Ein Beitrag für ReiseTravel von Patrick Pföß.

Patrick Pfoess by ReiseTravel.eu

Patrick Pföß, Jahrgang 1981, studierte Komposition, Flöte und historische Aufführungspraxis in Hamburg. Lebt und wirkt seit 2011 in Traunstein, Bayern.   

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Roland Barthes, „Die helle Kammer“ Suhrkamp 2016, Seite 41

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