Dessau

Das Bauhaus Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende: Es setzte nicht nur Impulse in Architektur, Design oder Handwerk, sondern auch für eine neuartige Tanz- und Bewegungskultur

Bauhaus: Vor einhundert Jahren gründete Walter Gropius das Staatliche Bauhaus Weimar, das im April 1919 seine Arbeit aufnahm. 1925 zog es nach Dessau, und ging sieben Jahre später nach Berlin, wo es sich 1933 nach knapp einem Jahr auf Druck der Nationalsozialisten selbst auflöste.

Dessau ist die Stadt, mit der das Bauhaus am stärksten verbunden ist. Hier hat die Reformschule am längsten gewirkt und ihre Blütezeit erlebt.

Ihre Geschichte erzählt die Ausstellung im neu eröffneten Bauhaus Museum, das mitten in der Innenstadt von Dessau entstand. Ein lang gestreckter Glasquader nach Entwürfen des jungen Architektenbüros Addenda Architects aus Barcelona.

Mit rund 49.000 Objekten ist die Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau die zweitgrößte Sammlung zum Bauhaus weltweit. Im Museumsobergeschoss, einem dunklen Betonschlauch, werden vor allem Schülerarbeiten, Aufzeichnungen aus dem Unterricht, Entwürfe und Prototypen aus den Werkstätten gezeigt: darunter Bauhaus Ikonen wie die Lampen von Marianne Brandt, der Wassily Chair von Marcel Breuer, die Teppiche von Gunta Stölzl oder die Skizzen und Pläne der Laubenganghäuser von Hannes Meyer, heute Weltkulturerbe.

Während in der oberen Etage die Dauerausstellung eingerichtet wurde, präsentiert sich im Erdgeschoss eine „Offene Bühne“, ein Forum für Tanz, Konzerte, Theater und Diskursionen. Blickfang ist die filigrane, halbkreisförmige Skulptur  "Arena" von Rita McBride. Treppenstufen zum Sitzen, Klettern und Hindurchgehen. Skulptur und Bühne zugleich. Sie wird auch im neuen Jahr für zahlreiche Veranstaltungen und Aufführungen sorgen. Einen Eindruck, was man mit der Arena alles machen kann, gab schon mal das Festival Bühne Total in diesem Herbst.

Bodies and Structure

Nur der Atem ist zu hören. Fragil und flüchtig entfalten sich Gebilde, Strukturen auf der monumentalen wie auch funktionalen Treppenskulptur „Arena“. Eine weiche, zähe Masse scheinbar zusammengehörig, verkettet, ineinander sich verschlingend und wieder aufgelöst. Es scheint, als würden sie wie von einem Windhauch bewegt, mal in die Horizontale, dann wieder in die Vertikale. Tastend erfühlend Stufe für Stufe. Kriechend. Liegend. Hangelnd. Führend. Folgend. In Nähe und in Distanz. Auf den Stufen der Arena ein Biegen, Beugen, Dehnen, Drehen oder Gleiten. Fragil, zerbrechlich. Achtsam erkundend Moment für Moment.

Mal ein Knäuel, der entsteht und sich wieder entwirrt. Mal eine Skulptur, einem imaginären, synchronen Einklang folgend.

Sind die Tänzer Gestrandete, Einsame, Verlorene im Nirgendwo, im Hier oder Dort?

Manche von ihnen sind nackt, mit einem Bündel Nichts in der Hand. Suchend. Fragend. Ohne Anfang. Ohne Ende. Noch irritiert, werden die Bewegungen dynamischer, kraftvoll, klar, raumgreifend? Und die Zuschauer sitzen mittendrin. In der Aufführung „Bodies and Structure“ der Düsseldorfer Choreografin Alexandra Waierstall wird die Arena zur Bühne.

Bühne Total

Als Walter Gropius das Totaltheater entwarf, löste er die bis dahin übliche Guckkastenbühne, bei der Bühne und Zuschauerraum voneinander getrennt sind, durch eine offene Raumbühne auf.

Nur so sei es möglich, „das Publikum in seiner intellektuellen Apathie aufzurütteln“; so sein Gedanke.

Die Bauhäusler erhoben den Anspruch, das Theater "total" zu denken, um das Tempo, die Technisierung und soziale Polarisattion des modernen Lebens in neuartige Bühnenerlebnisse zu übersetzen. Das Publikum wurde in den Theaterraum mit einbezogen mit bewegten Bildern, mechanisierten Apparaten, Formen, Farben und Licht. Die Bühnenwerkstatt leitete Oskar Schlemmer. Sie galt als ein Lernraum, um Form- und Raumkonstellationen in und mit Bewegungen zu erkunden.

An diese Ideen und Visionen knüpfte das Festival „Bühne Total“ an und ging der Frage nach, was man mit den damaligen Bühnenexperimenten heute Neues anfangen kann. Lehrende und Studierende internationaler Hochschulen, Performer, Choreografen und Künstler, Architekten und Designer stellten Installationen, Bewegungsstudien und Inszenierungen vor. 

Leibesübungen für Gestalter

„Die sogenannten „Leibesübungen für Gestalter“ waren kein neuer Tanzstil, keine bestimmte Art zu tanzen, weder Ausdruckstanz noch rhythmische Gymnastik, sondern Teil einer Ausbildung und eröffneten den angehenden Architekten, Medienkünstlern ein neues Verständnis und Empfinden für den Zusammenklang von Raum, Form und Körper“. Eine Art Werkstatt für Leibesübungen“, so Torsten Blume. Der Kurator des Festivals, Szenograf und Choreograf begleitet schulische Projekte und wünscht sich, dass die Bauhaus Bewegungskunst auch künftig in die Lehrpläne der Auszubildenden aufgenommen werde“. Mit Gestaltergruppen aus aller Welt griff er die Bauhaus Impulse auf und inszenierte ganz eigene Kreationen.

Die Kunst der Reduzierung

Konzentrierte Stille im Raum. Schwarz gekleidete Figuren schreiten zu einer geometrischen Formation.

In den Händen gläserne Stäbe, Wünschelruten gleich, tastend den Boden erkundend. Andere Figuren tragen Kopfschmuck aus Drahtspirale oder Glaskugel. Halten wie zu einer Prozession ein violettsilbern schimmerndes Seidentuch, knien sich nieder, legen es sanft zu Boden und falten es auseinander. Jede Bewegung, die Haltung der Hände, Zahl und Richtung der Schritte, alles in Zeitlupe sanft fließend, ausgelotet im Verhältnis von Fläche, Körper und Raum. Die gläsern kostümierten Bewegungscharaktere agieren einzeln und in Formationen, minimalistisch, raumplastisch und als Licht und Raum verwandelnde Glasarchitektur.

„Pantomime in Glas“ heißt das Projekt, in dem sich angehende Grafikdesigner und Produktgestalter der Kuwasawa Design Schule unter der Leitung von Torsten Blume und Asuka Kawabata mit dem „Tanz in Glas“ von Oskar Schlemmer auseinandersetzten.

„Ich tanze nicht das Glas, sondern begebe mich in das Material hinein“, erklärt Asuka Kawabata von der Kuwasawa Schule. So entsteht ein Dialog der Form und mit dem Material. Der tiefere Sinn der japanischen Kultur liegt Einfachen. Der Schlüssel zur Schönheit ist tief verankert in der Symbolik. Wir legen großen Wert auf die Details der Dinge. Und doch bleiben sie ein Mysterium.“ Die Performance erinnert an eine japanische Teezeremonie, in der jede Geste eine Kunst für sich ist und durch die Stille der Bewegung einem heiligen Ritual ähnelt.

„Spannend sind die unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Wir mögen es hell oder dunkel, schwarz oder weiß. Das Bauhaus hat viele Farben.“ So würden die Japaner aus allem eine Kunst machen, aus dem Blumenstecken, dem Origami, dem Tai Chi oder Tee Trinken. Nicht verstanden als Fertigkeiten, die man erlernt und dann beherrscht, sondern als Weg, hinter dem eine ganze Lebenshaltung steht. „Und darin liegt das Gemeinsame des Bauhauses und der japanischen Künste: das Minimalistische und Funktionale.“

Mythen in Bewegung

Klirrende Klänge. Klappern, Zischeln. Rascheln, Trommeln. Sagengestalten, Naturgeister, Hexen, Feen agieren miteinander: sich ergründend, abwehrend, zerstörerisch. Mit metallischen Stoffen, Scheiben, Rasseln Trichter, Kegel, Besen erproben Studierende in „Myth in Motion“ keltische Symbole und Rhythmen spielerisch-forschend. Verwandeln sich in Mischwesen aus Tier, Mensch und Maschine. Entwickelt sich aus der „Triskel“, einem alten Symbol der irischen Mythologie, in Form von drei radialsymmetrisch angeordneten Kreisbögen, offenen Spiralen, ineinander verschachtelten Dreiecken und Knotenmustern. Inspiriert wurde diese tänzerisch-pantomimische Experiment durch Oskar Schlemmers 1926 in der Bauhaus-Bühnenwerkstatt entwickelten „Raumtanz“ und durch die streng programmierte Choreografie „Quad“ von Samuel Beckett.

Bewegung als Empfindung

„Wir wollen keine Tänzer ausbilden, sondern die Bauhausbühne als ein spielerisches Forum des Experimentierens etablieren“, betont Torsten Blume. Schon Klee soll seinen Studenten zugerufen haben, „nicht an die Form denken, sondern an die Formung“, also sich mit den Bewegungen im Prozess der Formung auseinanderzusetzen und weniger mit der Form selbst.

Johannes Itten begann seinen 1921 am Bauhaus eingeführten Vorkurs mit Übungen im rhythmischen Zeichnen und Atmen. Auf diese Weise wollte er „die Bewegung als Empfindung“ für das Wesen der Formen fördern.

Und Oskar Schlemmer lag daran, die Bewegungsempfindungen über Strukturmodelle von Raum und Körper auszudrücken. So wurde die Dessauer Bauhausbühne eine Art Laboratorium, in dem immer wieder neu die Zusammenhänge von Material-, Form- und Raumbewegungen tänzerisch ausprobiert werden konnten.

„Was wir vom Bauhaus wollen ist der Prozess, wie eine Form entsteht, nämlich immer aus der Bewegung heraus. Wenn ich etwas achtsam mit allen meinen Sinnen ausführe, wird das Erlebnis intensiver. Formen Empfinden kann ich nur über den Ausdruck des Körpers. Bewege ich mich als Kreis, Spirale, Quadrat oder Zylinder, eröffnet das ein neues ungewöhnliches, spielerisches Gestaltungsvermögen, unabhängig von Alter, Gelenkigkeit oder Figur“, meint Torsten Blume.

„Wir Menschen sind nicht nur in unserem Körper präsent, sondern auch in unserem Umfeld, inmitten von Häusern, auf den Straßen. Wir tragen die Verantwortung, wie wir Städte bauen, Konsumgüter produzieren, unseren Müll hinterlassen. Welche Rolle spielt der Mensch und die ihn umgebenden Maschinen im technisierten, digitalen Zeitalter? Es sind die gleichen Fragen, die vor 100 Jahren auch am Bau­haus gestellt wurden.

Buchempfehlungen:

Torsten Blume - „Das Bauhaus tanzt“

Hubertus Adam, Sally Schöne - „Ausdruckstanz und Bauhausbühne“

Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich

Christel Sperlich by ReiseTravel.euFernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen.

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