Leipzig

Lifestyle Reise nach Leipzig zu Johann Sebastian Bach mit Genuss

„Bach in Leipzig“. Diese Begriffe sind heute in aller Munde, da sie in drei Worten die Quintessenz großer Künstlerleben zu umreißen suchen. Ein großer Name geht mit jenem Ort eine fast unauflösbare Verbindung ein, an dem er als Musiker mehr als die Hälfte seines schöpferischen Lebens verbracht hat und von wo aus er eine Ausstrahlung entwickelte, die bis heute ungebrochen anhält.

Leipzig: Freilich blieb dieses Verhältnis nicht frei von Spannungen und Enttäuschungen: Litt Bach in Leipzig nicht, wie er am 28. Oktober 1730 dem Jugendfreund Georg Erdmann in Danzig berichtet, beständig unter einer „wunderlichen und der Music wenig ergebenen Obrigkeit“ und musste er dort nicht „in fast stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben“? Standen ihm nicht zahlen- und leistungsmäßig unzureichende Kräfte zu Gebote, die ihn beständig an der Umsetzung seiner Idealvorstellungen einer „wohlbestallten Kirchenmusik“ hinderten? Hatte man in Leipzig sein Talent nicht von Anfang an verkannt, wenn man ihn nur deshalb berufen hatte, weil man die vermeintlich „besten nicht bekommen könne“ und daher „mittlere“ nehmen musste? Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Urteile aber als Missverständnisse und vorschnelle Verallgemeinerungen.

Als Johann Sebastian Bach im Frühjahr 1723 als 38-jähriger von Köthen nach Leipzig zog, gab er den hoch angesehenen Posten eines fürstlichen Kapellmeisters auf, um das ehrwürdige Amt des Kantors an St. Thomas und als Director musices Lipsiensis anzutreten. 1539 hatte die Reformation in Leipzig Einzug gehalten, 1712 konnte die Thomasschule bereits auf ihr 500-jähriges Bestehen zurückblicken. Bei der Neubesetzung des Thomaskantorats nach dem Tode Johann Kuhnaus im Jahre 1722 verfolgte der Rat der Stadt Leipzig zwei Ziele: Auf der einen Seite brauchte man einen ausgewiesenen Pädagogen, der traditionsgemäß nicht nur für den Musik-, sondern auch für den Lateinunterricht in bestimmten Klassen zuständig war; auf der anderen suchte man einen Musiker von überregionaler Ausstrahlung als städtischen Musikdirektor, der die Stadt bei den Besuchen des Landesherren und vor den Messebesuchern, die es jährlich zu Tausenden nach Leipzig zog, würdig vertrat. Im Vergleich zu den favorisierten Kandidaten Georg Philipp Telemann, damals Musikdirektor in Hamburg, und Christoph Graupner, Hofkapellmeister in Darmstadt, vermisste man beim Köthener Kapellmeister die für das Kantorat eigentlich erforderliche akademische Qualifikation – als einziger namhafter Bewerber konnte Bach kein Universitätsstudium vorweisen. Offensichtlich wogen aber seine Reputation als praktischer Musiker und Komponist sogar die vergleichsweise geringe Zahl an Kirchenkompositionen auf, mit der er bis dahin aufwarten konnte. Sein virtuoses und weithin berühmtes Orgelspiel – man denke etwa an den Geniestreich der Toccata und Fuge in d-Moll BWV 565 aus den Jugendjahren des Thüringer Organisten – kann kein wesentliches Entscheidungskriterium gewesen sein, denn das Spielen der Orgel im Gottesdienst gehörte nicht zu seinen Leipziger Amtspflichten. Wenn nun die Leipziger Zeitungen im Mai und Juni 1723 über Bachs Umzug und von seiner ersten Kirchenmusik berichteten, dass sie „mit großem Applausu“ aufgenommen worden sei, so wird deutlich, dass man dem neuen Kantor mit großen Erwartungen begegnete.

Bach entzog sich dieser Verantwortung nicht und legte in den ersten zweieinhalb Jahren seines Wirkens in Leipzig zu fast jedem Sonn- und Festtag eine eigene neue Kantate vor. Die Aufführungen fanden unter seiner Leitung im wöchentlichen Wechsel in den beiden Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai statt. Obgleich die Thomasschule etwa 50 Alumnen im Internat, das direkt neben der Thomasschule stand und erst 1902 abgerissen wurde, aufnahm, konnte Bach jeweils nur einen Teil hiervon einsetzen. Zeitgleich mussten nämlich die Sonn- und Festtagsgottesdienste in vier Leipziger Kirchen bestritten werden. Für eine übliche Kantatenaufführung dürfte Bach daher nur 12-16 Schüler als Sänger herangezogen haben; das Orchester wurde von den Ratsmusikern unter der Führung des begnadeten Trompeters Johann Gottfried Reiche gestellt und durch die Söhne und Privatschüler Bachs sowie Studenten der Universität verstärkt.

Offenbar war es Bachs persönlicher Ehrgeiz, diejenigen Kritiker, die noch immer einem Telemann oder Graupner nachtrauerten, rasch verstummen zu lassen. Wir verdanken ihm allein in den Jahren von 1723 bis 1725 nicht nur etwa 150 Kirchenkantaten, sondern auch die älteste Fassung des Magnificat BWV 243 oder die Johannes-Passion. Die Arbeitslast wurde nur unwesentlich dadurch gemildert, dass man ihm gestattete, ältere eigene Kompositionen heranzuziehen, wenn deren Texte von den zuständigen Geistlichen genehmigt worden waren, denn Bach gab sich mit dem bereits Geleisteten nie ganz zufrieden. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ BWV 147, die Bach noch in Weimar als eine Adventskantate komponiert hatte. Durch die Einfügung zusätzlicher Rezitative wurde das Werk im Sommer 1723 erweitert und auf das Fest Mariae Heimsuchung (2. Juli) zugeschnitten. Bei dieser Gelegenheit kam auch der berühmte Choral „Jesus bleibet meine Freude“ hinzu.

Bachs Leistung nötigt höchsten Respekt ab, wenn wir bedenken, dass die Komposition der Kantaten außerhalb der Unterrichtsstunden und der vielfältigen Verpflichtungen, die beispielsweise Trauerfälle und Hochzeiten erforderten, erfolgen musste. Mit der Niederschrift einer Kantate war es ja nicht getan, denn das Werk musste noch durch ältere Schüler der Thomasschule in Stimmen ausgeschrieben werden, ehe es – fast immer unter Zeitdruck - für die Aufführung einstudiert werden konnte.

Kaum ein Fremdenführer unterlässt es, die Vorstellungen von Bachs jämmerlicher Besoldung aufzufrischen, und in diesem Zusammenhang beim Bach-Denkmal vor der Thomaskirche auf die umgestülpte, da leere Rocktasche des Thomaskantors und auf die Gehaltskürzung wegen des nicht erteilten Lateinunterrichts hinzuweisen. Verschwiegen wird dabei, dass Bach sich auf diese Weise vom Lateinunterricht, dem er vielleicht in der Tat nicht gewachsen gewesen wäre, frei machen konnte, und dass die vermeintlich leere Rocktasche am Seffner-Denkmal aus dem Jahre 1908 wohl nur ein aus der Tasche des Thomaskantors herausragendes Taschentuch darstellen soll.

In der Tat mutet ein jährliches Festgehalt von wenig mehr als 100 Talern (der Lateinunterricht hätte weitere 50 Taler eingebracht) gegenüber der Köthener Zeit, wo er als Kapellmeister 400 Taler, seine Frau als Sängerin weitere 200 Taler in die Familienkasse einbrachten, als gravierender sozialer Abstieg an. Doch stellt diese Zahl nur das Grundgehalt dar, das einerseits durch unbare Vorteile, etwa eine geräumige Dienstwohnung, Bereitstellung von Brennholz und Grundnahrungsmitteln, andererseits durch vielfältige Leistungszulagen erheblich gesteigert wurde.

Jede Mitwirkung bei Trauerfällen und Hochzeiten, jede über die Sonn- und Festtagsgottesdienst bereitgestellte Komposition wurde vergütet, so dass Bach 1730 sein Jahreseinkommen auf wenigstens 700 Taler schätzte, ein Betrag, der ein sicheres Auskommen der großen Familie gewährleistete.

Bachs Einkommenssituation dürfte sich in den Folgejahren weiter verbessert haben, da er durch die Übernahme eines Collegium musicum im Jahre 1729 auch am privat organisierten Musikleben der Stadt größeren Anteil nehmen konnte. Da es an Konzertsälen in Leipzig fehlte, hatte das Bachische Collegium Musicum seinen Sitz im Zimmermannschen Kaffeehause in der Katharinenstraße; heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an das im Zweiten Weltkrieg Krieg zerstörte Gebäude. Im Sommer fanden die Konzerte im Zimmermannschen Garten vor den Toren der Stadt statt. Die Leipziger Collegia musica bildeten eine Plattform für junge Musiker, für deren regelmäßige Auftritte Bach die Musik bereitstellte. Hierzu gehören unter anderem die vier Orchestersuiten, die mit ihren eingängigen Tanzsätzen heute zu seinen bekanntesten Kompositionen gehören. Bach konnte aber den Bedarf an Musik unmöglich ausschließlich mit neuen Stücken eigener Komposition decken. Manches in Leipzig aufgeführte Werk wie etwa das Konzert für zwei Violinen mag noch in Köthen (das heißt zwischen 1717 und 1723) komponiert worden sein.

Ein wichtiger und von Bach gewiss beabsichtigter Nebeneffekt der Arbeit mit dem Collegium musicum war die Möglichkeit, ein Ensemble nach seinen Wünschen zu formen. Die monumentale Matthäus-Passion (erstmals wohl 1727, dann mindestens 1729 und 1736 wieder aufgeführt) oder das Weihnachtsoratorium, dessen sechs Teile zunächst als Kantaten in den Gottesdiensten zwischen dem 25. Dezember 1734 bis zum 6. Januar 1735 erklangen, wären ohne die Mitwirkung zusätzlicher Kräfte aus dem Collegium musicum kaum denkbar gewesen.

Dem privaten Musizieren und dem Unterricht Bachs verdanken wir die Klavierwerke der Leipziger Zeit. Mit den vier Teilen seiner Clavier-Übung ging Bach in einer Zeit, in der Musik überwiegend abschriftlich verbreitet wurde, sogar das Risiko einer Druckveröffentlichung ein. Den Abschluss dieses Projekts bildeten im Jahre 1742 die so genannten Goldberg-Variationen, die wie der Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel berichtet, für den Grafen Hermann Karl von Keyserlingk in Dresden bestimmt waren. Der junge Cembalist des Grafen, Johann Gottlieb Goldberg, ein Schüler Johann Sebastian Bachs, musste sie ihm in schlaflosen Nächten oftmals vorspielen.

Bachs Schaffenskraft blieb trotz körperlicher Leiden ungebrochen. In den letzten Jahren seines Lebens litt er unter Altersdiabetes, die ihm das Schreiben schwer machte, und unter grauem Star, der schleichend zur Erblindung führte. Dennoch wagte sich Bach noch an große Aufgaben: Die Kunst der Fuge wurde bis 1742 weitgehend ausgearbeitet und für den Druck vorbereitet, zur gleichen Zeit wurde der Zweite Teil des Wohltemperierten Klaviers fertig gestellt. Zuletzt nahm sich Bach die h-Moll-Messe vor. Sie geht auf die 1733 nach dem Tode August des Starken für den Dresdner Hof komponierte Kyrie-Gloria-Messe in h-Moll zurück, mit der Bach sich um den Ehrentitel eines Hofkompositeurs beworben hatte, der ihm 1736 dann auch verliehen wurde. Er arbeitete sie schließlich unter Aufnahme älteren Materials zur Missa tota um, indem er die Sätze ab dem Credo hinzufügte. Die in Berlin aufbewahrte Originalhandschrift ist ein erschütterndes Dokument, das den körperlichen Verfall des großen Musikers aufzeigt. Eine misslungene Augenoperation im Frühjahr 1950 musste im Frühsommer wiederholt werden und löste einen Schlaganfall aus, dem Bach am 28. Juli erlag. Mit seinem zeitlosen Spätwerk ging in Deutschland eine bedeutende Epoche der Musik zu Ende; durch seine Söhne und Schüler hat Bach aber zugleich von Leipzig aus die „neue“ Musik vorbereitet. Als erster Komponist überhaupt ist Bach mit seinem Tod nicht gänzlich in Vergessenheit geraten. Hierzu haben nicht nur Bachs Amtsnachfolger im Thomaskantorat und die Leipziger Verlagshäuser, die schon seit 1800 Ausgaben seiner Werke herausgeben, maßgeblich beigetragen. Zentrum der Leipziger Bach-Pflege ist inzwischen das 1950 gegründete Bach-Archiv, das heute im historischen Bosehaus gegenüber der Thomaskirche das Bach-Museum unterhält und durch die Ausrichtung der Bachfeste jedes Jahr Tausende von Besuchern nach Leipzig lockt, wo Johann Sebastian Bach von 1723 bis 1750 gewirkt hat.

Bach-Archiv Leipzig - Stiftung bürgerlichen Rechts, Dittrichring 18-20a, D-04109 Leipzig, www.bach-leipzig.de

Ein Beitrag für ReiseTravel von Dr. Ulrich Leisinger.

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