Peter Schwerdtmann

Vor 40 Jahren ernteten Journalisten noch harte Kritik von Kollegen, wenn sie oder er sich in den Vordergrund drängten

Grob standeswidrig verhielt sich, wer sich mit einer Sache „gemein machte“, sich also persönlich engagierte, statt zu berichten. Doch die Zeiten haben sich gründlich geändert. Der gemeine Journalist wurde vielfach zum Mitspieler. Doch was heute als karrierefördernd angesehen wird, war vor vier Jahrzehnten noch gegen die guten Sitten. Aber vom „Modell Viechtach“ lässt sich nicht berichten, ohne dabei die aktive Rolle von Journalisten herauszustreichen.

Der erste Journalist war Stefan Huy vom WDR. Dem Reisemobil nicht abgeneigt, wollte er doch den Finger in die Wunde legen. Der Fernsehmann und seine Frau Bruni, ebenfalls WDR, hatten mich, den Pressemann vom damals noch größten Reisemobilhersteller, Westfalia-Messestand auf dem Caravan-Salon in Essen unter Druck gesetzt. Es gebe gar keine Stellplätze für diese Wohnmobile, meinte er. Die Branche lüge die Interessenten doch eiskalt an. Die Werbung locke mit der heilen Welt, mit Lagerfeuer am Meeresstrand und Sonnenuntergang. Dabei rufe doch sogar schon das Übernachten am Straßenrand oder auf dem Parkplatz die Polizei auf den Plan, wusste Huy aus eigener Erfahrung zu berichten.

Werbung und Wirklichkeit
So manchem Wohnmobilisten von heute mag die Anklage von damals als aktuell empfinden. Zumindest hat die Werbung seitdem ihre Aussagen nur modernisiert, aber im Kern nicht geändert. Aber auch das mit der Polizei stimmt immer noch, denn die Rechtslage ist unverändert und klar: OLG Schleswig am 15. Juni 2020: „Übernachten im Wohnmobil auf öffentlichem Parkplatz ist eine Ordnungswidrigkeit“.

Selbst der überzeugend vorgebrachte Hinweis, jeder Fahrer sei doch verpflichtet, seine Fahrunfähigkeit zu verhindern, unter Umständen eben auch durch Schlaf am Straßenrand, hatte mir auch in Monte Carlo nicht geholfen. Vor gerade einmal zwei Wochen hatten mir Flics meinen Sven Hedin beschlagnahmen wollen, nur weil wir kurz nach Sonnenaufgang neben dem menschenleeren Badestrand westlich des Casinos Frühstück vorbereiteten, während meine Tochter Nicole im Mittelmeer planschte. Nicky hatte klatschnass einsteigen müssen, und das Frühstück fiel aus wegen Flucht.
Bruni und Stefan, die heute meist in Christchurch (Neuseeland) leben, hatten also damals recht mit ihrem Vorwurf. Meine einzige Chance als Pressemann des Marktführers, eine Diskussion vor den vielen Journalisten auf unserem Messestand in Essen zu verhindern, war die Bitte um Zeit.

Ich bekam vier Wochen. Das passt deswegen gut, weil ich nach dem Salon unbedingt etwas für mich selbst unternehmen musste. Man sagt, das Fasten fördere die Kreativität. Ich kann das nur bestätigen, denn ich brauchte nicht die ganzen vier Wochen, bis auf meiner Reiseschreibmaschine in der Klinik in Witzenhausen das Konzept entstanden war. Stefan und Bruni waren zufrieden und ich bekam Zeit, um über die Umsetzung der Ideen nachzudenken.

In der Gruppe liegt die Kraft
Bei den kleinen Budgets, die das westfälische Familienunternehmen in Rheda-Wiedenbrück für Öffentlichkeitsarbeit erübrigen wollte, war Umsetzung nur mit Partnern möglich. Die fand ich erst beim nächsten Salon in Essen in meiner kleinen Pressebude auf dem Stand mit Richard Köbberling, Pressechef bei Volkswagen Nutzfahrzeug und Ludwig Reiner, im Städtchen Viechtach Verkehrsdirektor („I bin koa direckter Direkter“). Viechtach kennen die bayerischen Autofahrer gut und schnelle Touristen ebenfalls. Hier sitzt die bayerische Bußgeldstelle und sonst wenig.
Trotzdem wurde der Bayerische Wald zu unserem Testgelände und die „Schnitzmühle“, das Gasthaus mit Campingplatz am Ufer des Schwarzen Regen, zu unserem Hauptquartier.

Die Grundidee war damals eine doppelte, beide im Zusammenhang mit dem Übernachtungsverbot auf und an öffentlichen Straßen. Zunächst mussten wir mit viel Pressearbeit dafür sorgen, dass die Toleranzschwelle bei der Polizei angehoben wurde. Dazu erinnerten wir uns beim Halben an die „ius primae noctis“, an das „Recht der ersten Nacht“ so manches Landesherrn. Wir entsexualisierten den Begriff hin zu einem Appell für Großzügigkeit gegenüber den neuen Fahrenden Volk.

Manchmal muss man machen
Das funktionierte dank tatkräftiger Unterstützung von Verbündeten mit Presseausweis, die sonst nie auf die Idee kamen, sich vor einen Karren spannen zu lassen. Doch beim Reisemobil sahen sie das ausnahmsweise anders. Außer den Huys waren ständig oder sporadisch Mitglieder unseres Planungskommite Georg Schmitt (ADAC Motorwelt), Friedrich Schröder und Wolfgang Scholz (Auto-Zeitung), Martin Breuninger (Auto Motor und Sport), Michael Scharfenberg (Deutsche Welle TV) und Erich Pomberg (Knaus-Presse), der nur mitarbeiten durfte, weil er geschworen hatte, der Wohnwagenhersteller Knaus werde nie Wohnmobile bauen. Immer wieder stießen weitere Kolleginnen und Kollegen dazu, hinterließen gute Anregungen für die Praxis und Tipps für gute Ausreden gegenüber der Polizei.
Aber die Zukunft der Branche allein auf dem Wohlwollen des Polizeibeamten vor Ort aufzubauen, war zu unsicher. Wir brauchten mehr als nur die Duldung der örtlichen Polizei. Wir brauchten etwas Bundesweites. Und bundesweite Ausnahmeregelungen holte man sich schon damals am besten in Bayern. Im bayerischen Verkehrsministerium war Dr. Wolfgang Bouska damals für alle Bundesländer der Vater und Redakteur der Straßenverkehrsordnung. Er erlaubte uns – vermutlich inoffiziell –, das offizielle Parkplatzschild mit einem weißen Zusatzschild in der Optik der Straßenverkehrsordnung zu ergänzen. Das zeigte die Silhouette eines VW-Busses mit aufgeklapptem Zeltdach.

Das war die Lösung: Wenn uns die Polizei auch von Straßen und Parkplätzen weiterhin verjagte, so konnten jetzt Gemeinden oder Privatleute ihre Parkplätze als Plätze ausweisen, auf denen Wohn- und Reisemobile willkommen waren. Doch warum sollten sie das tun?

Nach vielen Diskussionen und noch mehr Halben mit Ludwig Reiner und den Kollegen hatten wir einen Plan, dem auch der Viechtacher Bürgermeister zustimmte, obwohl der gerade mit schlechter Laune über seinen Rücktritt nachdachte, weil er bei der Kommunalwahl beinahe unter die 90 Prozent abgerutscht wäre.

Wir lockten mit Geld und Stellplatz
Wir lockten beide Seiten – die Wohnmobilisten mit Stellplätzen und die Stellplatzbesitzer mit Geld. Wir rechneten vor, dass jedes Wohnmobil pro Tag in der Gemeinde etwa 100 DM ausgibt, unter anderem in der Gastronomie. Und wir versprachen, dass nur autarke Fahrzeuge kommen würden, deren Insassen sich zu benehmen wüssten. Dafür hatten wir eine „Hausordnung“ entwickelt. Und tatsächlich zeigte sich dann später nach der ersten Saison, dass nur ein Selbstausbauer mit klapprigem Bulli richtig negativ aufgefallen war. Er hatte auf dem asphaltierten Parkplatz über einem Lagerfeuer nach Westernart gekocht.
Ludwig Reiner lud zu einer Bürgerversammlung ein, in der wir das Modell Viechtach den Bauern und Gastronomen bei Freibier vorstellten und die Mutigen unter Ihnen um Zustimmung und Mitarbeit baten. Am Ende konnten wir einen kleinen Reiseführer zu den diversen Lokationen und Lokalen in und um Viechtach entwickeln, der Stellplätze auslobte und Gasthöfe samt, deren Speisekarten und Parkplätzen vorstellte.

Nachahmer immer noch willkommen
Unsere Journalisten-Arbeitsgruppe war erfolgreich. 1982 war das „Modell Viechtach“ geboren und ich durfte es mit einer Pressekonferenz in der örtlichen Brauerei von Viechtach der Presse näherbringen. Die brachte die erhoffte bundesweite Aufmerksamkeit und schon bald die ersten Nachahmer. Und auch Bruni und Stefan Huy waren zufrieden.
Und noch einmal sorgte die Gruppe von Journalisten für Aufmerksamkeit. Volkswagen Nutzfahrzeug und die Westfalia-Werke luden zu der ersten Wohnmobilerlebnisreise nach Viechtach. Gäste waren Kollegen, die in ihrem Leben wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen waren, ein Wohnmobil auszuprobieren. Sie sollten diese Art des Reisens mit Partnerin und Kindern erleben. Bis hin zur professionellen ganztägigen Kinderbespaßung war an alles gedacht. Die Begeisterung für die nun entdeckte Reiseform war echt. Nur der allein für den "Stern" Reisende hatte Probleme. Er war zu lang für das Bett im Westfalia Joker.

Mitgefangen, mitgehangen
Vor drei Jahren fragte mich ein Vertreter meiner Heimatstadt Stadthagen, ob ich etwas dagegen hätte, wenn hinter meinem Grundstück ein paar Wohnmobile parken würden. Wie hätte ich Nein sagen können. Wenn ich heute aus dem Büro schaue, dann steht dort in diesen Tagen große Wohnmobile und nutzen Stromanschlüssse am Platz sowie Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung im nahegelegenen Hallenbad. Nur selten sehe ich dort noch Bullis mit Aufstelldach, meist Dickschiffe.

Sogar gemeinsame Kaffeekränzchen von Wagen zu Wagen finden dort statt; das pralle Camperleben unter den Markisen. So war das Modell Viechtach allerdings nicht gedacht. Das wollte das Reisemobilwandern in der Region fördern, aber nicht das billige „Dauercampen“ von Senioren in dicken Vollintegrierten.

Die nächste Idee muss kommen
Das „Modell Viechtach“ und seine vielen Nachfolger haben vor 40 Jahren einer damals noch jungen Branche Wachstum gebracht. Seitdem wachsen die Zulassungszahlen. Der Blick aus dem Bürofenster zeigt mir, auch dieses Wachstum führt in absehbarer Zeit an eine Grenze.
Wir – Ludwig Reiner und unsere Freunde aus den Medien – haben damals vor vierzig Jahren mit dem „Modell Viechtach“ unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn das Wohn- oder Reisemobil nicht wieder ausgebremst werden soll, braucht es neue Ideen.

Ihr

Peter Schwerdtmann.

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