Dr. Ronald Keusch | Tourismus-Treffpunkt Samarkand |
Kann am Tourismus-Wesen ein wenig die Welt genesen?
So manche Selbstverständlichkeiten haben es verdient, immer wieder in die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit gerückt zu werden. Dazu zählt unbedingt, den unbestrittenen Nutzen des Reisens für die Menschen hervorzuheben, egal ob diese nun dabei als Gast oder als Gastgeber fungieren. Man denke allein nur an die Bedeutung als Wirtschaftszweig – die Tourismus-Branche ist weltweit für 10,3% aller Arbeitsplätze verantwortlich, insgesamt 334 Millionen Menschen leben vom Tourismus (https://wttc.org/research/economic-impact). Oder man denke gerade in der heutigen krisengeschüttelten Zeit an die unverzichtbare Rolle des Tourismus für die Verständigung der Völker mit ihren unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen. Reisen bringt Menschen zusammen, fördert Toleranz und ein friedliches Miteinander und baut Vorurteile ab.
- Vollversammlung der UNWTO in Samarkand
Wer kann besser dazu geeignet sein, die Rolle des Kommunikators zu übernehmen, als die im Jahr 1975 als Unterorganisation der UNO gegründete Welt-Tourismus-Organisation UNWTO. Die rund 1200 Delegierten aus derzeit 159 Teilnehmerländern trafen sich vom 16. bis zum 20. Oktober zu ihrer 25. Vollversammlung. Sie suchten sich dazu einen faszinierenden Ort in Zentral-Asien: Die Usbekische Stadt Samarkand, seit jeher eine Perle des Orients mit reicher Historie und kulturellen wie architektonischen Schätzen. Hier wurde erst im vorigen Jahr der moderne Konferenz-Palast errichtet, zusammen mit acht umliegenden ebenfalls neu gebauten Hotelanlagen. Und es ist eine neue Tourismus-Kulisse entstanden, die sich selbstbewusst „Silk Road City Samarkand“ nennt. Damit wird die Seidenstraße nicht nur als rasant wachsender Wirtschaftsfaktor in Produktion und Handel wahrzunehmen sein, sondern auch als eine Drehscheibe den Internationalen Tourismus mitprägen. Eine kleine Gruppe deutscher Journalisten durfte mit dabei sein.
Leider wurde diese Generalversammlung der UNWTO überschattet durch einige Macht- und Interessenskonflikte. Die Wahl des Georgiers Zurab Pololikashvili zum UNWTO Generalsekretär war bereits im Jahr 2017 von massiven Manipulationsvorwürfen begleitet worden. In Samarkand gab es zunächst den Versuch, ihn ohne Wahl gleich für eine dritte Amtszeit von 2026 bis 2029 bestätigen zu lassen, was von der Vollversammlung zurückgewiesen wurde. Trotzdem erlaubte sie ihm mit knapper Mehrheit und im Widerspruch zu den selbstgesetzten Statuten, noch einmal für eine dritte Amtszeit zu kandidieren.
Solche undemokratischen Machtspiele sind wenig hilfreich, die Erholung der schwer angeschlagenen globalen Tourismus-Branche zu befördern, nach Corona-Pandemie, hoher Inflation, Energiekrise, Kaufkraftverlusten der privaten Haushalte und angesichts neuer militärischer Konflikte und Konfrontationen.
Die besten Urlaubsdörfer des Jahres
Dabei kann sich der Beobachter kaum der Faszination entziehen, die von der hier versammelten Weltgemeinschaft ausgeht, wenn beispielsweise in Kommissionen über die weltweit besten Tourismus-Dörfer diskutiert und entschieden wird. Von 260 Vorschlägen wurden nun 54 mit diesem Prädikat ausgezeichnet. Diese Dörfer stehen dafür, ihre ländlichen Werte, ihre Produkte und den Lebensstil zu bewahren, zu fördern und damit zugleich für den Touristen attraktiv zu machen. Eine Win-win-Situation, die sanften Tourismus und regionale Wertschöpfung mit dem Erhalt der Naturressourcen verbindet.
Ein Beispiel ist die Region Tokaj in Ungarn mit ihrem reichen kulturellen Erbe, den alten Weinbautraditionen und den vielen Initiativen für Denkmalschutz und Nachhaltigkeit. Ganz besonders hebt die Jury hervor, dass es in Tokaj beispielhaft gelingt, Traditionen und Geschichte an die jüngere Bevölkerung weiterzugeben. Damit bewahrt Tokaj nicht nur sein kulturelles Erbe, sondern bindet die Jugend aktiv in den Prozess der Kulturerhaltung ein und fördert so den Stolz und das Verantwortungsgefühl der nächsten Generation.
Hat Deutschland keine auszeichnungswürdigen Urlaubsdörfer?
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Welt hat Deutschland bekanntlich kein eigenes Tourismus-Ministerium, sondern ist als Unter-Unter-Abteilung (Abteilung VII D3) im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz angesiedelt. Schon in der Vergangenheit hat sich die politische Führung unseres Landes beim Thema Förderung des Tourismus nicht mit Ruhm bekleckert. Dabei sind in Deutschland rund 4,1 Millionen Personen direkt oder indirekt für die Tourismuswirtschaft tätig, rund 9% aller Beschäftigten (http://www.btw.de/tourismus-in-zahlen/wirtschaftsfaktor-tourismus.html). Es fehlt an qualifizierten Kadern, man hat kein Ohr für die Interessen der Branche, Mahnungen und Warnungen – wie jetzt vor einem Massensterben der Restaurants und Hotels – werden nicht gehört und nicht angemessen adressiert.
Typisch ist dann wohl auch, dass aus Deutschland keine Nominierungen für die besten Urlaubsdörfer kamen, also auch keine Chance auf Auszeichnung.
In den Ausschreibungskriterien der UNWTO für das beste Tourismus-Dorf findet man unter anderem die hohen Ziele eines respektvollen Umgangs mit Kultur- und Naturgütern und explizit die „Bewahrung gemeinschaftlicher Werte“. Haben wir in Deutschland keine Dörfer, die diese Kriterien erfüllen? Oder ist es politisch nicht gewollt, dass man regionale Traditionen und Bräuche pflegt, sich mit seinem Kulturerbe identifiziert und auf seine nationale Identität Stolz ist? Jedenfalls durften sich unsere Nachbarländer Österreich und die Schweiz über je zwei ausgezeichnete Dörfer freuen, Schladming, St. Anton am Arlberg, Morcote und Saint Ursanne. Über sie wurde ausführlich in den internationalen Medien berichtet. Eine bessere Werbung für diese Regionen und den sanften Tourismus kann man sich eigentlich gar nicht wünschen. Peru ist der „Spitzenreiter“ mit fünf Titeln.
Seidenpapier-Manufaktur im Museumsdorf Konigil
Ein touristisches Dorf anderer Art ist das 13 Kilometer vom Samarkander Stadtzentrum entfernte Museumsdorf Konigil. Hier befindet sich die Papierfabrik „Meros“ der Brüder Mukhtarov, in der nach alter Tradition Seidenpapier hergestellt wird. Das Verfahren zur Papierherstellung gelangte dank der Seidenstraße im 7. Jahrhundert von China nach Samarkand. Ausgangsmaterial ist die Rinde von Maulbeerbäumen, die in einem mühsamen Prozess eingeweicht, gekocht, gemahlen und getrocknet wird, sodass schließlich große Papierbögen entstehen, die dann noch geglättet und geschliffen werden müssen, alles in Handarbeit. Das Papier ist nicht mit Chemikalien versetzt und hält daher auch 300 bis 400 Jahre. Es wird heute weltweit für die Restaurierung alter Manuskripte verwendet und kann natürlich auch im Souvenirladen in Form von Postkarten, Masken oder sogar Taschen und Kleidung aus Papier erworben werden.
In einem stillvoll angelegten Park mit einem Kanal stehen an einer Seite aufgereiht typische Landes-Figuren, darunter unverkennbar ein Töpfer mit einer Drehscheibe und ein Wirt, der eine große Schüssel mit Plov anbietet.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Ronald Keusch.
Unser Autor ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Tourismus, er lebt und arbeitet in Berlin. www.keusch-reisezeiten.de
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