Maria Skóra

Polens Regierung lehnt eine autonome europäische Verteidigungspolitik ohne die USA rigoros ab:Sie fürchtet deutsche Hegemonie und Putins Russland

Es ist paradox: Während viele europäische Partner Donald Trumps Regierung als obskur oder gar bedrohlich erachten, sieht die polnische Führung sie als Chance. Engere Beziehungen zu den USA dienen insbesondere dem Ziel, ein Gegengewicht zur angeblichen deutschen Hegemonie in der EU zu bilden. Polen hat unter Führung der PiS dabei insbesondere die Sicherheitspolitik im Blick. Dass diese Intensivierung der bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Polen parallel zu den NATO-Strukturen und ungeachtet des Konzepts der „europäischen Souveränität“ erfolgt, verdeutlicht die Skepsis der Regierung gegenüber einer Autonomie der europäischen Verteidigungspolitik.

Die Vorstellung Deutschlands und Frankreichs, europäische Verteidigungskapazitäten unabhängig von den USA aufzubauen, löst bei der polnischen Regierung Angst vor einer imaginären deutschen Dominanz in Europa aus.

Polens direkte Nachbarschaft zu Russland in Verbindung mit der allgemeinen Russland-Skepsis der polnischen Rechten weckt hinsichtlich der Sicherheit des Landes noch größere Bedenken. Folglich bleibt wenig Spielraum, um eine Win-Win-Lösung zu finden. Dies gilt umso mehr, wenn solche Versuche von anti-deutschen und anti-europäischen Tiraden des amerikanischen Präsidenten begleitet werden.

Das deutsch-polnische Verhältnis war im Verlauf der Geschichte stets traumatisch.

Die dramatischen Teilungen Polens und die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs sind nur langsam überwunden worden – zunächst durch Willy Brandts neue Ostpolitik und den Ansatz „Wandel durch Annäherung“, später durch die symbolische Umarmung von Premierminister Mazowiecki und Bundeskanzler Kohl in Krzyżowa. Unter dem Rubrum der „polnisch-deutschen Interessengemeinschaft“ normalisierten sich die Beziehungen.

Obwohl die Versöhnung ein beispielloser Erfolg war, sind die polnisch-deutschen Beziehungen ambivalent. Dies wird umso deutlicher, wenn man sie mit dem deutsch-französischen Tandem vergleicht.

Beide Länder wuchsen nach dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 enger zusammen, wobei besonders die wirtschaftlichen Beziehungen von zentraler Bedeutung waren. So belief sich der Warenhandel zwischen Deutschland und Polen im Jahr 2018 auf 118 Milliarden Euro.

Deutschland ist für Polen das wichtigste Exportland.

Umgekehrt ist Polen für Deutschland der sechstgrößte Handelspartner; es liegt damit auf dem Niveau Großbritanniens. Die intensive geoökonomische Beziehung wird durch enge zwischenmenschliche Kontakte ergänzt: Polnische Migranten und Bürger mit polnischen Wurzeln sind die zweitgrößte Diaspora in Deutschland. Sie tragen zur kulturellen Vielfalt des Landes bei.

Doch obwohl die Versöhnung ein beispielloser Erfolg war, sind die polnisch-deutschen Beziehungen ambivalent. Dies wird umso deutlicher, wenn man sie mit dem deutsch-französischen Tandem vergleicht. Rund die Hälfte der Deutschen und Franzosen geben an, den anderen wertzuschätzen, und etwa zwei Drittel halten die Beziehung beider Länder für stabil.

Hingegen herrscht im Hinblick auf die polnisch-deutschen Beziehungen eine sichtbare Diskrepanz in der Wahrnehmung: 56 Prozent der Polen, aber nur 29 Prozent der Deutschen empfinden für ihr Nachbarland Sympathie. Und während 64 Prozent der Polen die deutsch-polnischen Beziehungen als gut ansehen, tun dies nur 31 Prozent der Deutschen.

Natürlich sind diese erhobenen Einstellungen der Bevölkerungen anfällig für politische Dynamiken. Beispielsweise wurden große Hoffnungen in Emmanuel Macron gesetzt, den deutsch-französischen Motor wiederzubeleben. Dann stieß der französische Präsident mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Thema NATO zusammen und fand keine Unterstützung für seine Vision einer weiteren Vertiefung der wirtschaftlichen Integration der EU, insbesondere der Eurozone. Doch auch wenn die Chemie zwischen deutscher und französischer Führungsspitze im Moment nicht ganz stimmt – die Eiszeit in den polnisch-deutschen Beziehungen ist nicht zu toppen.

Statt um Freiheit und Demokratie geht es nun darum, die nationale Identität zu bewahren.

Seit 1989 wurde Polen oft als Vorzeigemodell für die Transformation Osteuropas präsentiert. Das Wirtschaftswunder, der erfolgreiche politische Wandel und die Art und Weise, wie das Land seine historisch oft schwierigen Beziehungen zu seinen Nachbarn neu gestaltet hatte – all dies galt als herausragend. Diese Erfolgsgeschichte kulminierte in dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 2004, mit dem Polen einen neuen Entwicklungspfad einschlug und seine neue Rolle in Europa festigte.

Währen der siebenjährigen Amtszeit von Premierminister Donald Tusk (dem heutigen Präsidenten der Europäischen Volkspartei) wurde Polen in Brüssel zu einem bedeutenden Akteur. Das Land saß mit anderen „Eurostars“ wie Deutschland, Frankreich und Italien an einem Tisch. Daher war der Sieg der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) im Oktober 2015 für die europäische Gemeinschaft ein regelrechter Schock.

Die neue Regierung schlug gegenüber der EU einen harten Kollisionskurs ein, vor allem mit Blick auf den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz. Außerdem bediente sie sich einer harschen euroskeptischen Rhetorik und veränderte den Diskurs über Souveränität. Statt um Freiheit und Demokratie ging es nun darum, die nationale Identität zu bewahren. Mehr noch: Die Regierung transportierte starke anti-deutsche Stimmungen, nicht zuletzt über die politische Kommunikation ihrer Abgeordneten und die von der Regierung kontrollierten öffentlichen Medien. Beispielsweise werden immer wieder Reparationsforderungen für das im Zweiten Weltkrieg verübte Unrecht erhoben.

Die polnische Regierung tendiert zu einer alternativen Vision der EU: Sie präferiert eine Union, die den Nationalstaaten in erster Linie wirtschaftliche Vorteile bringt – und damit ein weniger föderalistisches Modell.

Diese Rhetorik kommt bei den Wählerinnen und Wählern gut an. Sie wird für innenpolitische Geländegewinne instrumentalisiert. Zugleich ist sie aber auch Teil einer umfassenderen Agenda. Die aktuellen Machthaber in Warschau definieren das polnische Interesse nicht nur anders als ihre Vorgänger, sie verfolgen auch einen grundlegend anderen Ansatz und politischen Stil, um es durchzusetzen. Wiederholt äußerte sich PiS-Chef Jarosław Kaczyński misstrauisch gegenüber seinem westlichen Nachbarn. Aus seiner Sicht stehen die deutschen Interessen im Widerspruch zu den Zielen und Ambitionen Polens.

Die Sackgasse, in der sich der polnisch-deutsche Regierungsdialog derzeit befindet, eskaliert nicht etwa in theatralischen Auseinandersetzungen auf Twitter.

Sie manifestiert sich in kühler Höflichkeit und in ritualisierten Gesten. Davon unbeschadet blühen die wirtschaftlichen Beziehungen weiter auf hohem Niveau, ebenso wie die Diplomatie der Bürgerinnen und Bürger über den Tourismus oder den kulturellen Austausch.

Dennoch wird das tiefe Misstrauen der gegenwärtigen polnischen Politikeliten gegenüber Deutschland die deutsch-polnischen Beziehungen nicht nur langfristig beschädigen, sondern auch die europäische Politik beeinflussen.

Die polnische Regierung tendiert zu einer alternativen Vision der EU: Sie präferiert eine Union, die den Nationalstaaten in erster Linie wirtschaftliche Vorteile bringt – und damit ein weniger föderalistisches Modell.

Auf der Suche nach alternativen Verbündeten wie den Vereinigten Staaten sorgt die polnische Regierung für Wettbewerb innerhalb der NATO und trägt so zur dortigen Krisenstimmung bei.

Inzwischen ist Polen in der EU an den Rand gedrängt worden.

Auf der Suche nach alternativen Verbündeten wie den Vereinigten Staaten sorgt die polnische Regierung für Wettbewerb innerhalb der NATO und trägt so zur dortigen Krisenstimmung bei. Aus deutscher Sicht erscheinen die jüngsten Entwicklungen in Polen nicht nur bizarr, sie müssen auch enttäuschend sein. Schließlich hatte sich Deutschland immer darum bemüht, dem östlichen Nachbarn den Weg in die EU zu ebnen. Die frostige Stimmung zwischen Warschau und Berlin vertieft die Isolation Polens und die Kluft zwischen Polen und Europa. Angesichts der Tatsache, dass die PiS und ihre kleineren Koalitionspartner bei den Parlamentswahlen 2019 erneut die Mehrheit errungen haben, wird sich dies wahrscheinlich auch so bald nicht ändern.

Im Mai 2020 findet in Polen die Präsidentschaftswahl statt.

Der überraschende Sieg der Opposition im Oktober 2019 bei den Wahlen zum Senat, der oberen Kammer des polnischen Parlaments, hat bei Vielen Hoffnungen geweckt. Als ranghöchster Vertreter des polnischen Staates spielt der Präsident auf der internationalen Bühne eine besondere Rolle. Sollte der von der PiS-Partei unterstützte amtierende Präsident Andrzej Duda nicht wiedergewählt werden, könnte dies einen Neuanfang der polnischen Außenpolitik und eine Chance für die Wiederbelebung der deutsch-polnischen Beziehungen bedeuten.

Der Kandidat der Vereinigten Linken, Robert Biedroń, hat bereits in seiner Antrittsrede zum Wahlkampf angekündigt, er werde alles daransetzen, die Fehde mit Deutschland zu beenden und das Weimarer Dreieck wiederzubeleben. Zudem bekannte er sich zur EU, die er als Eckpfeiler der wirtschaftlichen und geopolitischen Sicherheit Polens ansieht. Auch vom Kandidaten der Bürgerplattform (PO), der Partei von Donald Tusk, ist ein versöhnlicher Ansatz und eine proaktive europäische Politik zu erwarten. Ob und wann ein optimistischeres Szenario für die deutsch-polnischen Beziehungen und die Europäische Union tatsächlich Wirklichkeit wird, bleibt aber abzuwarten. www.ipg-journal.de

Ein Beitrag von Maria Skóra

Maria Skóra ist Leiterin des Programmbereichs Internationale Beziehungen bei dem Think Tank. Das Progressive Zentrum.

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