Breslau | Zwerge und Stierkämpfe |
Breslau wird Europäische Kulturhauptstadt und ist eine Reise wert
Zwerge und Stierkämpfe: In der Mytholologie treten sie als tüchtige, kunstreiche Schmiede auf. In Breslau begegnet man den Zwergen in den Straßen auf Schritt und Tritt. Mal schieben sie eine ruhige Kugel oder spielen Karten, mal lümmeln sie auf einem Bordstein oder greifen nach einer Taube. Die über 100 Zwerge in verschiedenen Posen über das Altstadtgebiet verteilt, wurden zum Wahrzeichen der Stadt. Sie erinnern an die politische Oppositionsbewegung „Orange Alternative“, die in den 1980er Jahren im Zwergenkostüm Kritik an der polnischen Regierung geübt haben.
Auf tausend wechselvolle Jahre blickt Breslau an der Oder zurück. Als Stadt unter der polnischen, tschechischen und deutschen Krone, als Stadt in Preußen, in der Weimarer Republik, im Deutschen Reich und im heutigen Polen hat sie eine bewegte Geschichte hinter sich. Fünf Jahrhunderte lang, vom 13. bis ins 18. Jahrhundert, gehörte das ehemals slawische Fürstentum zu Böhmen und zum österreichischen Kaiserreich, bis Friedrich der Große 1741 Schlesien und Breslau von den Habsburgern eroberte. Danach entwickelte sich die Stadt bis ins 20. Jahrhundert zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Preußens und des Deutschen Reichs. Bereits 1938 war die gesamte polnische Bevölkerung aus der Stadt vertrieben worden, ebenso zwei Drittel der Juden. Nach dem Ende des II. Weltkriegs mussten an die 90 Prozent der deutschen Einwohner die Stadt verlassen. Dafür bestärkte man die aus dem damaligen Lemberg vertriebene polnische Bevölkerung, sich im stark entvölkerten Breslau niederzulassen. Die Bevölkerung wurde fast komplett ausgetauscht.
Breslau - die Blume Europas
Die Kinder und Enkel der neuen Bewohner haben inzwischen hier ihre Wurzeln und gehen selbstbewusst mit dem kulturellen und historischen Erbe um. In der polnischen Stadt entwickeln sich ein neuer Bürgerstolz und eine eigene lokale Identität. „Ich bin gern Breslauerin“, sagt Magda Korzeniowska stolz und strahlt dabei. Die hübsche, fein geschminkte Frau vom polnischen Fremdenverkehrsamt ist hier geboren und aufgewachsen. Ihre Generation sei die erste, die deutschen Touristen, die hier einst gelebt haben, sagen kann: „Breslau ist auch meine Heimat“.
Der 69- jährige Taxifahrer, Cieslaw Kwiec, hat früher die viele Heimattouristen, wie sie hier genannt werden, an Straßen und Plätze geführt, wo sie einst wohnten. Er breitet seinen verschlissenen Stadtplan aus, auf dem noch die alten Namen stehen. Hindenburgplatz, Fehrbellinerstraße, Scharnhorststraße, Oranienstraße, Kaiser Wilhelm-Platz, oder Kaiser Wilhelm-Straße, die später Straße der SA hieß.
Kaum eine Stadt spiegele die bis heute schwer belastete deutsch-polnische Geschichte und die Tragödie des Zweiten Weltkriegs wieder wie diese niederschlesische Metropole. Erst nach dem Bevölkerungsaustausch sei mit einem neuen Start begonnen. Trotz der schweren Fluchterfahrungen, die fast jede Familie zu beklagen habe, wären die jungen Menschen heute fröhlich und heiter. Das bestätigt David Raczkowski, der ebenfalls in Wroclaw aufwuchs. „Breslau ist meine große Liebe. Meine deutsche Großmutter zeigte mir oft, wo sie Einkaufen ging, wo der Schuster war, wie die Läden früher hießen. Als Deutsche wurde sie mit dem Namen Erna getauft, nach dem Krieg sollte sie sich Irena nennen. Sie blieb in Breslau ihrem polnischen Mann zuliebe, der Zwangsarbeiter im NS Gefängnis in Zakopane war. Er war ein charmanter Mann. Erstmals besuchte meine Großmutter 1946 Dresden. Sie hätte in Deutschland bleiben können, aber das brachte sie nicht über ihr Herz, den Mann zu verlassen. Später ängstigte sich meine Großmutter deutsch zu sprechen, denn oft wurde sie angefeindet. Die bewegten Geschichten der Großeltern habe ich alle aufgesogen.“ Vor wenigen Wochen starb David Raczkowskis Oma. 93 Jahre alt wurde sie. Ihre Erzählungen will der 33-jährige Stadtführer bewahren und an die Besucher weitergeben. Auch wenn sich inzwischen eine eigene Identität entwickele. Wroclaw, die Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien, hat etwa 640.000 Einwohner. Über 160.000 davon sind Studenten, die das Stadtbild prägen. „Wir sind lebenslustig, ticken irgendwie anders, leben freier, nicht so in Hektik. Unsere Stadt ist lebendig, mit einem wunderschönen Altstadtkern und einer Innenstadt, die sich auf mehreren Inseln auf der Oder befindet.“
Wroclaw, nur etwa 3 Stunden von Berlin entfernt, ist noch weitestgehend unbekannt und doch ein echter Geheimtipp für Polen. Die viertgrößte Stadt Polens, ist die Großstadt mit den meisten Grünflächen in Polen. Sie liegt auf 12 Inseln, die durch 112 Brücken verbunden sind. Eine ehrwürdige Stadt mit morbiden Charme und einer spannenden Unvollständigkeit. Manches scheint zu bröckeln und sich zu verwandeln, aufzuerstehen. Alter Architekturbestand, Häuser aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, gelungener Wechsel aus Gründerzeit und Klassischer Moderne. Dazwischen Kräne und Beton. Wroclaw atmet, urban, farbenfroh mit einem natürlichen Flair.
Altes bewahren und Neues kreieren
Mittelpunkt der Stadt ist der Marktplatz „Rynek“, mit seinen 215 mal 175 Metern ist er der zweitgrößte Marktplatz in Polen und einer der schönsten dazu. Den alten Markt rund ums mittelalterliche Rathaus und den benachbarten Salzmarkt, Plac Solny, umgeben schöne Bürgerhäuser, die im gotischen und barocken Stil wieder aufgebaut wurden. Die Altstadt hat heute noch das Gepräge alter deutscher Zeit. Hier stehen Häuser mit den klangvollen Namen wie Haus zu den sieben Kurfürsten, Haus zur goldenen Sonne, Haus zum schwarzen Adler, Haus zum alten Galgen. Die traditionsreiche, wunderhübsche Altstadt ist liebevoll gepflegt. Sie verbreitet eine anziehende, lebendige Atmosphäre durch eine gelungene Mischung von farbenfroh sanierten, historischen Bauwerken, die ihren altehrwürdigen Charakter beibehalten haben, gepaart mit modernen Cafés, Bars, Clubs und Restaurants. Ein herausragendes Beispiel deutscher Architektur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, ist die Jahrhunderthalle von Max Berg, die heute Weltkulturerbe ist. Dazu die besonderen Bauten der Klassischen Moderne wie das Kaufhaus Petersdorff von Erich Mendelsohn, Geschäfts- und Bürohäuser von Hans Poelzig und Adolf Rading, sowie die Werkbundsiedlung WUWA mit dem Hotel von Hans Scharoun.
Der amerikanische Historiker Norman Davies bezeichnete Breslau als die Blume Europas. Das heutige Wroclaw blüht schöner als je zuvor. Die nahe gelegene Dominsel ist eine Oase der Ruhe und Besinnlichkeit. Vor 1000 Jahren begann hier die Besiedlung der Stadt, bis heute ist sie das religiöse Zentrum mit dem gotischen Dom. An den Straßenrändern bunte Pflanzen. Auf der Oder Dampfer, Gondeln, alte Schubkähne. Hier scheint alte Geschichte noch sehr nah, sogar ein Nachtwächter zündet die Laternen an und aus.
Europäische Kulturhauptstadt - Ansporn und Chance
Nicht von ungefähr wurde Breslau als europäische Kulturhauptstadt ausgewählt. Die westpolnische Metropole mit dem polnischen Namen Wroclaw wird den Titel "Kulturhauptstadt Europas" 2016 mit einer spanischen Stadt teilen.
Schon jetzt glänzt die Stadt an der Oder mit Kulturveranstaltungen von Weltrang. So stellen im Breslauer Architekturmuseum, dem ehemaligen Benediktinerkloster, zur Zeit Francisko de Goya, Pablo Picasso, und Salvador Dali ihre Werke aus. Sie alle waren von der Kunst des Stierkampfes fasziniert, der seit Jahrhunderten spanische Künstler inspiriert hat. Bemerkenswert ist der Stich Nr. 33 von Goya, in dem er den schrecklichen Tod des berühmten Stierkämpfers Jose Delgado, des Autors des "Traktat von der Tauromachia" zeigt. Die berühmte „Stierkampfszene" malte Pablo Picasso im Jahr 1959. Eine besondere Lithografie, die aus einer Serie von sieben Arbeiten stammt, ist auch der "Stierkampf Nr. 4" von Salvador Dalí.
ReiseTravel Fact: Überall trifft sich Altes und das Neue, Moderne. Theater und Konzerthallen schießen aus dem Boden – hoch ist der Ansporn, Kulturhauptstadt Europas zu werden. Für die Stadt eine große Chance. Kunsthochschule, Musikforum, Galerien, Ausstellungen. Straßenkunst, Graffitis, Skulpturen und Kunstwerke. Straßentheater, internationale Chöre unter freiem Himmel. Und mittendrin die Zwerge. Es scheint, als würden sie wie einst ihre Ahnen, fleißig mit an Breslaus Kulturhauptstadt 2016 schmieden.
Touristeninformation - Marktplatz Rynek 14, Tel. 344 31 11, Fax 344 29 62.
Ausstellung "Picasso/ Dali/ Goya - Tauromachia, der Stierkampf Architekturmuseum
Ein Beitrag für ReiseTravel von Christel Sperlich
Fernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen
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