Kirchberger | Nord Stream 2 |
Wie das Russen-Gas durch die Ostsee kommt
Es grenzt an ein Wunder, dass Donald Trump sich nicht der Wortwahl seines früheren präsidialen Kollegen George Bush bediente. Der hatte die Landlinie der vornehmlich islamisch geprägten Länder im Nahen Osten als die Achse des Bösen bezeichnet, wo Fanatismus zu Terror führt.
Der nun abgewählte Staatschef hätte die Formulierung auf die Leitung aus Stahlrohren beziehen können, die schon bald Gas aus Russland nach Europa transportieren soll: Die Pipeline des Bösen dürfte verhindern, dass die EU-Staaten sich des mit umstrittenen Explorationen und Fördermethoden gewonnen Fracking-Gases aus den Vereinigten Staaten bedienen müssen. Sanktionen wurden angedroht, die Arbeiten an der 1.230 Kilometer langen Doppelröhre kamen für fast ein Jahr zum Erliegen. Nun geht es weiter, bis September soll das 9,5 Milliarden Euro teure Mammutvorhaben vollendet werden.
Querverkehr und Artenschutz
Lassen wir alle politischen Aspekte mal außer Acht – der Bau der Pipeline Nord Stream 2 gleicht einem technischen Meisterwerk. Schließlich ist Gas ein überaus flüchtiges und gelegentlich jähzorniges Gut, dass sorgsam und aufmerksam behandelt werden will. Und schließlich ist der Weg der Leitung kein leichter. Der mehr oder weniger tiefe Meeresgrund der Ostsee stellt die Architekten vor eine anspruchsvolle Aufgabe, zumal die verlegten Stahlröhren dort unten nicht alleine sind. Zahllose Kabel für Kommunikation und Energieversorgung liegen bereits aus und sollten tunlichst nicht beschädigt werden. Außerdem galt der Naturschutz als unabdingbare Voraussetzung für den Bau der Pipeline, die von der russischen Narwa-Bucht bis nach Lubmin nahe Greifswald verlegt wird.
Altlasten des Krieges in der Tiefe
Eine weitere Schwierigkeit stellten die zahllosen Altlasten des Krieges auf der Ostsee dar. Viele Granaten und Bomben zündeten nicht, jede Menge Blindgänger und Minen liegen bis heute großflächig verteilt auf dem teils sandigen, teils felsigen Grund. Auf rund 1,6 Millionen Tonnen an Sprengkörpern und Munitionsresten schätzen Experten die Kriegslasten, die nach der Kapitulation Deutschlands im Auftrag der Alliierten in Nord- und Ostsee verklappt wurden. Keine gute Gesellschaft für eine Gas-Pipeline also. Die Strecke der Nord Stream 2 wurde daher vor Beginn der Arbeiten akribisch untersucht, Munitionsfunde kartografiert und anschließend durch gezielte Sprengung beseitigt, sofern sie nicht geborgen werden konnten.
Es bläst der Heinzelmann wo der Russe schweigen kann
Dabei arbeiteten die Mannschaften zweier Schiffe zusammen. Das Haupträumungsschiff übernahm die Arbeiten am Munitionsfund, ein sogenanntes Blasenschleierschiff erzeugte mit Druckluft einen solchen, ringförmigen Blasenschleier, der den Lärm der Detonation verringerte und so die Auswirkungen auf die Meeresbewohner reduzieren konnte. Die 77 Funde in deutschen Gewässern konnten geräumt, im finnischen Gebiet mussten 58 von 74 Funden gezielt gesprengt werden. Über die Kampfmittelbeseitigung in russischen Hoheitsgewässern, die von der Baltischen Flotte übernommen wurde, gibt es keine Angaben.
Die beiden Pipelines werden aus insgesamt rund 200.000 einzelnen Stahlrohren zusammengesetzt
Jedes der Rohre ist 12 Meter lang und hat einen Durchmesser von 1.153 Millimeter. Die Wanddicke liegt zwischen 27 und 41 Millimeter und ist für Druckwerte von 170 bis 220 Bar ausgelegt. Elf Tonnen schwer ist ein Rohr, sein Gewicht wird jedoch durch eine 60 bis 150 Millimeter starke Betonummantelung auf 25 Tonnen erhöht, damit es auch luftgefüllt gut am Meeresboden aufliegt. Zuvor jedoch wurde der Meeresboden, wenn nötig, vorbereitet. Mit Gesteinsaufschüttungen nivellierten die Ingenieure den Grund, pflügten mit einem submarinen Spezialpflug eine Verlegefurche in den Boden, wenn er weich genug war. Kreuzt die Pipeline Tiefseekabel, werden diese mit Betonmatratzen vom Druck der Rohrleitung entlastet.
Fünf sehr spezielle Schiffe
Bisher waren fünf Spezialschiffe, zwei davon gehören zu den größten ihrer Art, an der Verlegung durch die Ostsee beteiligt. Die Pioneering Spirit mit ihren 571 Besatzungsmitgliedern kann Rohre bis zu einer Tiefe von 4.000 Meter verlegen, fünf Kilometer schaffen Schiff und Mannschaft innerhalb von 24 Stunden.
An Bord des 382 Meter langen Dampfers gibt es zwei Stationen für kombiniertes externes und internes Schweißen, sowie sechs Ummantelungsstationen und eine für zerstörungsfreie Prüfung.
Auf eine Tagesleistung von vier Kilometer Pipeline kommt die 300 Meter lange Solitaire, hier sind bis zu 420 Besatzungsmitglieder an Bord, das dritte Schiff für die Tiefwasserverlegung war die 225 Meter lange Audacia mit ihrer 270 köpfigen Besatzung, sie konnte North Stream 2 täglich um 1,2 Kilometer verlängern.
All diese drei Spezialdampfer werden von der Allseas Group betrieben, die ihren Sitz, wie es sich für ein von Wind und Wellen gegerbtes Unternehmen gehört, in Chatel-Saint-Denis in der französischen Schweiz hat. Nachdem die Vereinigten Staaten mit Sanktionen gegen die am Bau beteiligten Unternehmen gedroht hatten, haben die Eidgenossen ihre Flotte unverzüglich abgezogen.
James und der Molch
Beteiligt waren außerdem die Castoro Dieci, die vom italienischen Bohr-Spezialisten Saipem auf die Reise geschickt wurde und die russische Akademik Tschersk. Die Wiederaufnahme der Verlegearbeiten hat nun die ebenfalls russische Fortuna übernommen, die die verbleibenden 150 Kilometer der Pipeline bis zur Anlandestelle bei Greifswald fertigstellen soll.
Dort ist mittlerweile auch eine sogenannte Molch-Empfangsstation errichtet worden. Nicht, dass dem Gas Tiernamen gegeben werden, nein, ein Molch (englisch: Pipeline Inspection Gauge, kurz: PIG) ist ein Messgerät zur regelmäßigen internen Inspektion der Pipeline nach deren Inbetriebnahme.
Dabei „fährt“ der Molch durch die Pipeline und wird vom Gasfluss angetrieben. Cineasten erinnern sich an Sean Connery, der als Commander James Bond 1971 im Agenten-Krimi Diamantenfieber in einer gerade verlegten Pipeline „entsorgt“ werden sollte und sich letztlich mithilfe eines Molchs bis zur nächsten Empfangsstation retten konnte. Willkommen in Greifswald.
Als Rohrpost wäre die Leistung überdimensioniert
55 Milliarden Kubikmeter Erdgas soll die Pipeline nach Europa transportieren, so sie, denn im September in Betrieb genommen wird. Das reicht nach Angaben des Betreibers, um 28 Millionen Haushalte zu versorgen. Der spricht auch davon, dass in den nächsten Jahren eine Gasversorgungslücke von rund 50 Milliarden Kubikmeter entstehen könnte. Und davon, dass Erdgas beim Verfolgen der Klimaziele helfe, da beim Verbrennen wesentlich weniger Schadstoffe als bei Öl entstehen.
Gefragt nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten bleibt er die Antwort dagegen schuldig: „Als Betreiber einer kommerziellen Investition äußert sich die Nord Stream 2 AG grundsätzlich nicht zu politischen Debatten. Zumal sich diese Frage für uns auch nicht stellt. Nord Stream 2 ist ein vollständig genehmigtes Projekt, das im Einklang mit nationalem und internationalem Recht gebaut wird. Nord Stream 2 und die Unternehmen, die unser Projekt unterstützen, setzen sich nach wie vor für die Fertigstellung ein und sind davon überzeugt, dass die Inbetriebnahme der Pipeline im Interesse der Energiesicherheit Europas, der europäischen Verbraucher und der Wettbewerbsfähigkeit der EU liegt,“ heißt es.
Eine Rohrpost-Anlage dieses Ausmaßes von St. Petersburg nach Greifswald wäre wohl auch ein wenig überzogen.
Ein Beitrag von Michael Kirchberger.
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