Köln

DLR Forscher erstellen kombinierte Modelle zur Verkehrsentwicklung

Von der Nachfrage bis zu den Folgen für Umwelt und Klima: Viele Menschen reisen gern oder müssen jobbedingt täglich mobil sein. Mobilität, auch von Gütern, befriedigt individuelle Bedürfnisse, ermöglicht Wachstum sowie das arbeitsteilige Wirtschaften in einer globalisierten Welt und sichert Arbeitsplätze. Wie steht es jedoch um die Folgen unserer wachsenden Mobilitätsansprüche? Neben dem Flächenverbrauch sowie dem Ausstoß von CO2 und anderen Luftschadstoffen sind viele Menschen durch Lärm direkt oder indirekt von den negativen Auswirkungen des Verkehrs betroffen. Im Forschungsprojekt Verkehrsentwicklung und Umwelt fragen die DLR-Forscher, wie Mobilität sichergestellt und gleichzeitig negative Folgen für Umwelt und Wirtschaft vermindert werden können. Sie haben dabei erstmals Modelle entwickelt, die die vielschichtige Mobilität mit ihren Auswirkungen auf Umwelt und Arbeitsplätze in ihrer Gesamtheit abbilden und berechnen können. 

Straßenverkehr wird weiter dominieren: Ob Schiene, PKW oder LKW, die Verkehrsmittelwahl wird sich in absehbarer Zukunft in Deutschland nicht grundsätzlich ändern. Davon geht Dr. Christian Winkler vom DLR-Institut für Verkehrsforschung aus, der zusammen mit weiteren Wissenschaftlern die Verkehrsentwicklung und -nachfrage in Deutschland modelliert hat. Erstmals haben die Forscher dabei einen Modellverbund entwickelt, der den Personen- und Güterverkehr in Deutschland gemeinsam mit seinen Wirkungen auf die Umwelt betrachtet und seine Entwicklung auch im Zusammenspiel abbilden und vorhersagen kann. Ein wichtiges Ziel in dieser ersten Projektphase war es, die Schnittstellen und Wechselwirkungen der unterschiedlichen Verkehrsarten zu definieren. Mit einem solchen übergreifenden Modellverbund können die Forscher nun Aussagen darüber treffen, wie sich das Verkehrsgeschehen ändert, wenn sich Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Kraftstoffpreise, ändern oder eine Pkw-Maut eingeführt wird. "Umgekehrt können wir auch sagen, wie wir die Rahmenbedingungen ändern müssen, damit beispielsweise der Ausstoß von CO2-Gas reduziert werden kann. Solche Modelle sind eine wichtige Grundlage, um neue verkehrspolitische Maßnahmen oder technologische Innovationen richtig einzuschätzen." Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen wird das bundesweite Verkehrsaufkommen im privaten Bereich in Zukunft relativ konstant bleiben, beim Güterverkehr erwartet der Wissenschaftler dagegen einen weiteren Zuwachs. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der private Verkehr, vor allem in den ländlichen Regionen abnehmen, in Ballungsräumen dagegen eher zunehmen, sagen die Modellrechnungen von Winkler.

Zuwachs im Luftverkehr: Ein etwas anderes Bild zeigt sich im Luftverkehr. Hier haben Henry Pak und seine Kollegen vom DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr die Flugreisen nach und aus Deutschland heraus sowie die innerdeutschen Flugreisen untersucht. Der Forscher erwartet, dass die Zahl der Flugreisen bis 2030 gegenüber heute um über die Hälfte ansteigen wird. Einen Zuwachs sieht er vor allem im internationalen Geschäftsreiseverkehr und bei internationalen privaten Kurzreisen. Regional wird der Luftverkehr vor allem in den wirtschaftsstarken Regionen mit vielen internationalen Geschäftskontakten, wie München, dem Rhein-Main-Gebiet und Berlin zunehmen.
Weniger Schadstoffe durch eine moderne Fahrzeugflotte: Weltweit gehen 22 Prozent des CO2-Ausstoßes fossiler Quellen auf den Verkehr zurück, in Deutschland liegt dieser Wert mit etwa 19 Prozent nur knapp darunter. Gleichzeitig belastet der Verkehr die lokale Luftqualität, insbesondere Feinstaub und Stickoxide. "Für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen lokalen und globalen Folgen der Mobilität gibt es bislang kaum übergreifende entscheidungsunterstützende Analyseinstrumente", sagt Dr. Dirk Heinrichs, Leiter des Forschungsprojekts Verkehrsentwicklung und Umwelt. Im Projekt wurde ein solches übergreifendes Instrumentarium entwickelt. Basierend auf den Modellrechnungen zur Verkehrsentwicklung ermittelten Wissenschaftler aus dem DLR-Institut für Physik der Atmosphäre und dem Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) den Beitrag des Verkehrs in Deutschland für die Klimaänderung. Die Ergebnisse zeigen, dass der Ausstoß von Schadstoffen wie Feinstaub und Stickoxide durch den Verkehr zurückgeht. "Der Grund ist eine relativ Moderne, mit Partikelfiltern ausgestattet Fahrzeugflotte in Deutschland. Dadurch dominiert hierzulande der Anteil der CO2-Emissionen im Verkehr", beschreibt Dirk Heinrichs. Neben dem Verkehrsaufkommen spielt für die Entwicklung zukünftiger Emissionen des Verkehrs auch der technologische Standard der Fahrzeuge, ihre Antriebskonzepte und Effizienz eine wichtige Rolle. Im Projekt brachte das DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte hier seine Kompetenzen ein.
Immer mehr Menschen, vor allem in Ballungsgebieten, fühlen sich durch den Verkehr und den dadurch verursachten Lärm gestört. Lärm, der durch Schienen- oder Straßenverkehr verursacht wird, haben die Forscher der DLR-Institute Physik der Atmosphäre, Aerodynamik und Strömungstechnik und Luft- und Raumfahrtmedizin von seiner Quelle bis hin zu den gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen analysiert. Bei einem weiter zunehmenden Verkehr erwarten die Forscher, dass das Problem zukünftig weiter zunehmen wird. Auch hier war Ziel der ersten Projektphase, die Lärmproblematik von der Ursache bis zu den Wirkungen auf die Anwohner zu modellieren. "Solche Modelle helfen abzuschätzen, welche Wirkungen einzelne Lärmschutzmaßnahmen haben. Wir brauchen sie, um den Anwohnern möglichst effektiv zu helfen", sagt Heinrichs.
Wer bewegt sich wie und warum?

Personenverkehr entsteht durch Menschen, die sich von A nach B bewegen wollen oder müssen. Welche Personengruppen wie und warum mobil sind und sich vielleicht anders verhalten als angenommen, hat die Verkehrsforscherin Dr. Cornelia Rahn untersucht. Dabei hat sie vier unterschiedliche Bevölkerungsgruppen genauer analysiert: Junge Menschen, Senioren, erwerbstätige Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Vor allem bei den Menschen mit Migrationshintergrund kam die Wissenschaftlerin auf ein vom Durchschnitt abweichendes Mobilitätsverhalten, das noch in keiner Statistik erfasst ist: "Vor allem die erste Generation, und hier vor allem die Frauen, haben nur einen relativ kleinen räumlichen Radius, in dem sie sich bewegen. Auch stellt das Fahrrad für Frauen, insbesondere der ersten Einwanderer-Generation, kein alltägliches Fortbewegungsmittel dar."
Bei den Senioren stellte Rahn fest, dass diese Gruppe mittlerweile so groß und heterogen ist, dass für ihre Analysen eine Einteilung in "junge Alte" (von 65 bis 74 Jahren) und "alte Alte" (ab 75 Jahren) sinnvoll ist. Vor allem Frauen sind im Alter weniger mobil, da sie häufiger Mehrfacherkrankungen ausgesetzt sind und noch seltener als gleichaltrige Männer über einen Führerschein verfügen. Neben Alter und Geschlecht unterscheidet sich das Mobilitätsverhalten auch nach verschiedenen Raumtypen: "Während man im ländlichen Raum die Mobilitätsprobleme von älteren Menschen bereits hinlänglich kennt, haben wir festgestellt, dass die mangelnde Infrastruktur die Mobilität auch im suburbanen Raum stark einschränkt."

Zweite Projektphase gestartet: In der bereits gestarteten zweiten Phase des Forschungsprojektes Verkehrsentwicklung und Umwelt werden die Wissenschaftler in den kommenden vier Jahren, die erarbeiteten Modelle weiterentwickeln und auf spezifische Fragestellungen anwenden. In verschiedenen Szenarien sollen mögliche Entwicklungen der Mobilität bis 2040 abgebildet werden. Außerdem werden die Forscher in der zweiten Phase einen stärkeren Fokus auf multi-modales Verkehrsverhalten und die Zusammenhänge zwischen Siedlungsstrukturen und Verkehr aufzeigen. Wissenschaftler des DLR-Instituts für Technische Thermodynamik werden die begleitenden Energiesysteme der Mobilitätsszenarien modellieren. Im Fokus werden auch die Lärmausbreitung und -wirkung stehen sowie der Beitrag des Luftverkehrs zur Kondensstreifen-Formierung.
ReiseTravel Fact: Im Forschungsprojekt Verkehrsentwicklung und Umwelt arbeiten aktuell unter der Federführung des DLR-Instituts für Verkehrsforschung zehn DLR-Institute – Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, Institut für Antriebstechnik,Institut für Fahrzeugkonzepte, Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Institut für Physik der Atmosphäre, Institut für Technische Thermodynamik, Institut für Verkehrssystemtechnik sowie die Einrichtung Simulation- und Softwaretechnik – zusammen. Weiterer Projektpartner ist das Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) mit dem Institut für Meteorologie und Klimaforschung.
DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt www.dlr.de

Von Dorothee Bürkle, Dr.-Ing Dirk Heinrichs, Dr. Cornelia Rahn.

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