Lüdenscheid | Geschwindigkeit und Kontrollen |
DVR- Presseseminar: Kontrollen sind nötig, ohne Wenn und Aber. Ohne sie würde das tägliche Leben im Straßenverkehr zusätzliche Gefahren herauf beschwören, Menschenleben kosten!
Temporausch: Man fährt durch geschlossene Ortschaften, auf freier Landstraße oder auf der Autobahn. Und es begleitet einen fast ständig: Ein Hinweis auf Geschwindigkeitsbegrenzung. 30 km/h, 50 km/h, 70 km/h und 100 bis 130 km/h. Wie gehen wir damit um und ist eine Sanktion, die wirkt, bei Überschreitung gerechtfertigt. Diese Frage wurde bei einem Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) ausgiebig unter die Lupe genommen.
Ein Fazit ist gleich zu Beginn festzuhalten: Kontrollen sind nötig, ohne Wenn und Aber. Ohne sie würde das tägliche Leben im Straßenverkehr zusätzliche Gefahren herauf beschwören, Menschenleben kosten.
Und ebenso: Abzocke, ein oft missbräuchlich benutztes Wort, gilt nicht. Man hat sich an die Vorschriften zu halten, kann sie nicht nach eigenem Ermessen interpretieren. So sieht es nach der Veranstaltung auch VKM-Redaktionsleiter Sven Rademacher: „Maßnahmen zur Überwachung der Geschwindigkeit sind absolut notwendig, der Vorwurf des Abzockens ungerechtfertigt. Es gibt kein Recht auf zu schnelles Fahren und Geschwindigkeitskontrollen machen unsere Straßen nachweislich sicherer“.
Referent Rainer Wendt zieht einen direkten Vergleich zu Geschwindigkeit und Verkehrstoten. Obwohl die Zahlen rückläufig sind, seien es immer noch zu viele, die durch zu schnelles Fahren verunglücken. Das Ziel, die Toten von 2010 bis 2020, um etwa 40 Prozent zu senken, werde verfehlt. „Wir in Deutschland sind eigentlich sehr regelkonform, aber es gibt noch eine Menge an Unvernünftigen“, sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er wehrte sich gegen den Vorwurf, dass durch Geschwindigkeitskontrollen „Geld aus der Tasche“ gezogen wird, vielmehr nehme man Falschparkern Millionen ab und den Rasern durch die Stadt nichts.
Bei einer Kontrolle mit Ahndung rät er zur direkten Aussprache nach dem Vorfall mit den Polizeikräften, damit sich der „Sünder“ gleich mit seinem Verhalten konfrontiert sieht und Verständnis für die Überwachung aufbringt. Wendt bedauert, dass Ermittlungen zur Feststellung des Fahrers öfters im Sande verlaufen, weil dieser nicht zu ermitteln ist.
Für Sanktionen gebe es keine Alternative, so der Gewerkschaftler, schon gering erscheinende Verkehrsverstöße könnten gravierende Folgen haben – gerade bei der Geschwindigkeit. Die Menschen im Straßenverkehr müssten ein subjektives und damit auch Sanktionsrisiko verspüren. Jeder sollte überall damit rechnen, kontrolliert zu werden.
Um Fehler und Ärger für die Betroffenen zu vermeiden, sei einwandfreies technisches Gerät nötig, betonte der Bundesvorsitzende, lediglich durch beobachtende Polizeikräfte festgestellte Verstöße würden zu endlosen Beweisanträgen und dann zur Einstellung der Verfahren führen. Er favorisierte eine „Halterhaftung“ wie sie im europäischen Ausland gehandhabt wird.
Geschwindigkeit
Mit dem Einfluss der Geschwindigkeit auf das Verletzungsmuster und die Verletzungsschwere setzte sich Diplomingenieur Dietmar Otte auseinander. Der Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover nennt die Geschwindigkeit einen Parameter, „den wir unbewusst gar nicht merken“. Der Bremsweg sei bei 70 km/h doppelt so hoch wie bei 70 km/h, „mit verheerenden Folgen bis zum Tod“.
Eine Geschwindigkeitsbegrenzung helfe da vor allem Fußgängern und Radfahrern. Wie wenig die Leute auf äußere Einflüsse bei der Geschwindigkeit achten, habe er gerade bei seiner Fahrt auf der Autobahn von Hannover nach Lüdenscheid zum Seminar erlebt. „Dort schien die Sonne, hier regnete es, in der Schnelligkeit der Autos war keinerlei Unterschied zu erkennen“.
Sicherheitskonzepte wie Gurte, Knautschzone, Airbags und ABS oder ESP gäben Anlass zu etwas Aufatmen bei Unfällen, doch immer noch über 3.000 Verkehrstote jährlich und mehr als 70.000 Verletzte, davon ein Fünftel Schwerstverletzte, ließen nachdenken. Weil zu hohe Geschwindigkeit oft die Ursache ist.
Die Empfehlung des Unfallforschers: Verstärkte Sensibilisierung der Fahrer, vermehrte Kontrollen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, und als Tipp für den Gesetzgeber eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen. Zusätzlich könnte dort eine Aufhebung des Rechtsfahrgebots in Zusammenhang mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung den Überholdruck für die mittlere und linke Fahrspur reduzieren und damit den psychologischen Zwang auf ein schnelleres Linksfahren mindern.
Polizist Rainer Fuchs (links) mit VKM-Redaktionsleiter Sven Rademacher.
Illegale Autorennen
Emotionalität und Unverständnis für Verkehrsrüpel prägten den Vortrag von Rainer Fuchs von der Polizei Köln. Der Mann konnte hautnah aus der Praxis berichten, ist er doch in der Domstadt der Leiter des Projekts „Rennen“. Dröhnende Musik, quietschende Reifen, Rauch, so untermalte er Filmausschnitte aus dem Genre, „manche sind in der illegalen Raserszene wie Formel 1 Fahrer unterwegs“, beklagte er.
Das Problemalter liege zwischen 18 Jahren und 25 Jahren und die Zugehörigkeit sei ausschließlich männlich. Diese Spezi nehme billigend in Kauf, dass Menschen sterben, „die Justiz ist für solche Belange besonders gefordert“.
Es machte den Zuhörenden und Zusehenden betroffen, mit welcher fast schon krimineller Energie junge Leute den Tod Anderer riskieren. Das Ergebnis operativer Maßnahmen über zu schnelles Fahren im Allgemeinen, setze laut Fuchs ein warnendes Signal: „Jeder Zehnte hält sich nicht an die Vorschriften“. Das liege oft auch an persönlicher Fehleinschätzung.
Und eines stellte der Polizist noch klar: Wer im Straßenverkehr ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder veranstaltet, muss mit Konsequenten rechnen, auch wenn nichts passiert“. Das sollte jedem klar sein, appellierte er. Zudem entsprächen die dabei benutzten PS-Boliden auch nicht verkehrsrechtlichen Ansprüchen, sie seien oft nur geleast oder geliehen.
Auf die kommunale Geschwindigkeitsüberwachung, die im Volksmund ebenfalls als Abzocke bezeichnet wird, ging Dr. Detlev Lipphardt vom DVR ein. Für ihn sind solche Maßnahmen notwendig, weil sie den Verkehrsteilnehmer schützen und es ja auch eine Toleranzgrenze gibt. Der Fahrer sollte nicht hinterfragen, warum gerade hier eine Messung erfolgt, sondern sich einfach an das vorgeschriebene Tempo halten. Lipphard wies extra darauf hin, dass der überwiegende Anteil geahndeter Verwarnungen unter 70 Euro liege, „die meisten Betroffenen sind da einsichtig“. Höheres Risiko gehöre jedoch höher bestraft.
Begriffe wie „Radarfalle“, klingelnde Kassen“ oder „Stadt rüstet finanziell auf“ würden beim Bürger ein negatives Image auslösen, deshalb wünschte sich Lipphard auch ein distanzierteres Verhältnis und Hinterfragen zu solches in der Öffentlichkeit gemachten Aussagen.
„Der Schutz des Einzelnen ist vorrangig, Messungen werden nicht an bestimmten Stellen vorgenommen, um dem Bürger zu schaden“, so sein Credo. Entscheidend für die Auswahl der Messstellen sei das Unfallgeschehen in Folge überhöhter Geschwindigkeit.
Und eine Folgerung zog Lipphard noch: Fiskalische Aspekte bei der kommunalen Überwachung, das heißt, ob die Einnahmen die Ausgaben übersteigen, sind fehl am Platze, die Sicherheit hat den Vorrang.
Zum Thema passten auch die Ausführungen von Anke Stelljes über die Verwendung von Bußgeldern im Verkehrsbereich. Nach den Aussagen der Leiterin des Straßenverkehrsamtes des Landkreises Osterholz nahe Bremen werden dort seit 1999 eigenständig neben der Polizei Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt.
Und das Wichtigste: Der jährliche Überschuss wird ausschließlich für verkehrssichernde Maßnahmen verwendet. Da komme schon eine Menge Geld zusammen, so Stelljes, für heuer rechne man mit einerhohen sechsstelligen Summe. Damit können vielfältige Projekte unterstützt und verschiedene Institutionen gefördert werden. Wie Feuerwehren, bauliche Maßnahmen für Radwege, die Verkehrserziehung in Kindergärten und Sicherheitstraining für Fahranfänger. Für das sonst keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt würden.
Das sei nach wie vor sinnvoll, meinte sie. Durch die Entscheidung über die Verwendung der Gelder habe sich die Akzeptanz für Geschwindigkeitskontrollen erhöht. Der Vorwurf der „Abzocke“ verliere an Gewicht, zumal beim Verkehrssünder ein Bewusstsein entstehe, mit dem Bußgeld „etwas Gutes zurückzugeben“ an die Gesellschaft mit gleichzeitiger Erhöhung der Verkehrssicherheit. „Ist ja für einen guten Zweck“, zeige sich mancher Verkehrsteilnehmer einsichtig.
Mit dem Einsatz mobiler, stationärer und halbstationärer Geschwindigkeitsmessanlagen und den Techniken setzten sich schließlich noch Wolfgang Lang vom Unternehmen Vitronic und Steffen Schulze von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt auseinander. Begründeten Neuerungen und Verbesserungen, weil nicht angepasste Geschwindigkeit eine Hauptunfallursache bleibt.
Fast überall in Deutschland werde zu schnell gefahren, Schwerpunkte bildeten besonders Autobahn-Baustellen.
ReiseTravel Fact: Sowohl punktuelle Geschwindigkeitsüberwachung als auch Abschnittskontrollen wären sinnvoll, um zu schnellen Verkehr zu verzögern, wobei sie noch die Kernfunktionalität des Meßsystems erklärten mit dem Vorteil, die Geschwindigkeit auf einem längeren Straßenabschnitt zu prüfen. Die Beachtung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit wird ein Dauerthema in der Gesellschaft bleiben, waren sich alle Referenten einig. Zu allererst sollte sich aber der Mensch selbst an die Vorschriften halten.
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Horst Wunner.
Unser Autor arbeitet als Journalist und lebt in Altenplos in Bayern.
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