Bad Breisig

Stress und Emotionen beeinflussen das Autofahren

Nerv mich nicht, ich muss fahren!: Emotionen und Motive regen uns zum Handeln an und bestimmen unser Verhalten maßgeblich. Je nach Art oder Ausprägung können Angst, Langeweile oder Stress eine entscheidende Rolle beim Zustandekommen von Verkehrsunfällen spielen. Ein Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Bad Breisig widmete sich dem Thema „Emotionen im Straßenverkehr“. Fachreferenten diskutierten aktuelle Erkenntnisse sowie mögliche Maßnahmen, um das Unfallrisiko zu senken.

Prof. Dr. Mark Vollrath, Lehrstuhl für Ingenieur- und Verkehrspsychologie, TU Braunschweig, referierte zum Thema: Nerv mich nicht, ich muss fahren! Die im Titel angesprochene Situation hat sicherlich jeder schon einmal erlebt – der Verkehr ist beanspruchend, und wenn dann noch der Beifahrer kommentiert, entstehen Stress und Ärger. Aber ist wirklich Stress DAS Problem beim Fahren?

Ist nicht die Abwesenheit von Stress, zu wenig Beanspruchung, Monotonie und Müdigkeit viel gefährlicher? Oder der Stress bei der Arbeit, der dazu führt, dass man völlig erschöpft ins Fahrzeug steigt?

Die Analyse von Unfalldaten zeigt tatsächlich einige Hinweise auf Stress: Man fährt zu schnell und drängelt, was zu Auffahrunfällen führen kann. Man lässt sich ablenken, rechnet nicht damit, dass etwas passiert. Dadurch entstehen ebenfalls Auffahrunfälle und Fahrunfälle“.

Nur keinen Unfall

Stress und Emotionen beeinflussen das Autofahren

Man hat Alkohol getrunken, fährt riskant, was gehäuft bei Fahrunfällen zu finden ist.

Weil man gestresst ist, passt man zu wenig auf, und wenn dann jemand vor einem bremst, wenn die Kreuzungssituation komplex ist, wenn man beim Spurwechsel den Blick in den Rückspiegel vergisst, geschehen die entsprechenden Unfälle.

Doch was ist Stress überhaupt? Bei Stress im engen Sinn geht es darum, dass Anforderungen auf einen einstürmen, man völlig überfordert ist, und daher chaotisch oder fehlerhaft reagiert. Um Stress in diesem Sinne scheint es bei Unfällen eher selten zu gehen. Umwelt, Verkehr und das eigene Fahrzeug sind selten wirklich stressig, Fahrer sind hoch geübt und kompetent und Fahrer können die Belastung selbst regulieren, durch die Wahl der Route, der Fahrtzeit, der Geschwindigkeit.

Überforderung ist hier der bessere Begriff. Interessant ist, dass Überforderung häufig durch zu geringe Belastung entsteht. Wenn das Fahren langweilig und monoton ist, werden Müdigkeitsunfälle wahrscheinlich, und diese andere Seite des Stresses scheint ein größeres Problem zu sein als die Überforderung. Und Fahrer bekämpfen ihre Langeweile durch Nebentätigkeiten und überfordern sich erst dadurch. Manche Fahrer brauchen Stress – Sensation Seeking ist hier ein Schlagwort, die Suche nach Nervenkitzel. Ein riskanter Fahrstil führt allerdings zu einem erhöhten Unfallrisiko. Und manche Fahrer schränken die eigene Leistungsfähigkeit durch Alkohol oder Drogen so weit ein, dass Überforderung entsteht. Und schließlich entstehen sicherlich auch punktuell Situationen, die kurzfristig die Fähigkeiten der Fahrer überschreiten.

Wir wirken sich Stress und unterschiedliche Emotionen auf das Autofahren aus? Wird das Verkehrsklima in Deutschland wirklich rauer? Was kann der Gesetzgeber unternehmen, um Rücksichtslosigkeit und Aggression im Verkehr zu reduzieren? Warum diskutieren wir in Deutschland das generelle Tempolimit auf Autobahnen so gefühlsgeladen? Was bewirken emotionale Unfallberichte und Unterrichtskonzepte bei der besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmergruppe der jungen Fahrer? Welche Strategien verfolgen Verkehrssicherheitskampagnen und wie wirksam sind sie? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt des DVR Seminars „Emotionen im Straßenverkehr“.

Der DVR hat sich die Aufgabe gestellt: Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Schwerpunkte sind Fragen des menschlichen Verhaltens, der Fahrzeugtechnik, der Infrastruktur, des Verkehrsrechts, der Verkehrsüberwachung und der Verkehrsmedizin. Der Verein koordiniert die vielfältigen Aktivitäten seiner Mitglieder, entwickelt Programme und passt diese kontinuierlich neuen Anforderungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen an. Eine seiner zentralen Aufgaben liegt in der Bündelung der Bemühungen aller beteiligten Stellen zu einem gemeinsamen und wirksamen Handeln (Koordinierungsfunktion). Der DVR vertritt die Positionen, die geeignet sind, Leben zu retten bzw. schwere Verletzungen zu vermeiden, deutlich in der Politik, den gesellschaftlichen Gruppen, den Medien, den Bundes-, Landes-, europäischen und sonstigen nationalen und internationalen Institutionen.

Aggression im Straßenverkehr: „Staatliche Schutzpflicht gegen Rücksichtslosigkeit im Verkehr“, über dieses Thema referierte Prof. Dr. Gerrit Manssen, Universität Regensburg, Fakultät für Rechtswissenschaft. Aggressives Verhalten ist eine wesentliche Unfallursache auf deutschen Straßen, insbesondere in Zusammenhang mit Geschwindigkeitsverstößen und der Unterschreitung des erforderlichen Abstandes („Drängeln“). Schätzung des ADAC: Ca. 1.000 Verkehrstote pro Jahr sind die Folge aggressiven Fahrens.

Maßnahmen gegen rücksichtsloses Fahrverhalten sind vom Schutzauftrag der Verfassung für Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gefordert.

Die Zahl von Toten und Schwerverletzten ist trotz deutlichen Verbesserungen in der Vergangenheit nach wie vor verfassungsrechtlich nicht akzeptabel. Es muss mehr getan werden, um die Verkehrssicherheit zu garantieren. Bisher scheitern solche Maßnahmen oft aus drei Gründen: Die Verkehrspolitik in Deutschland ist traditionell sehr strukturkonservativ.

Die Verkehrspolitik der Bundesregierung wertet Renditeinteressen der deutschen Automobilindustrie offensichtlich als vorrangig gegenüber Sicherheitsbelangen (schnelles, „sportliches“ - also rücksichtsloses- Fahren in Deutschland als Verkaufsargument für deutsche Pkw). Änderungen im Verkehrsrecht sind politisch extrem unpopulär. Notwendige Reformen können aber nicht durch Gerichte, sondern nur durch politische Mehrheiten durchgesetzt werden. In Erwägung zu ziehen sind deshalb folgende Maßnahmen: Förderung eines gleichmäßigeren Verkehrsverlaufs vor allem auf Autobahnen durch eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung und ein jedenfalls grundsätzliches Lkw-Überholverbot. Das übermäßig schnelle Fahren sowie das „Drängeln“ ist durch eine Überarbeitung des § 315c StGB strafrechtlich besser zu erfassen: Aufnahme entsprechender Verhaltensweisen als Straftatbestand, bessere Abstufung der Strafandrohung bei vorsätzlicher Begehung mit fahrlässiger Gefährdung, Schaffung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes wie beim Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinwirkung. Die Empfehlungen des 51. Verkehrsgerichtstages 2013 (verstärkte Verkehrsüberwachung, Monitoring für die Entwicklung der Aggressivität, Schaffung eines Deliktskataloges für „aggressive Delikte“ im Hinblick auf die Fahreignungsprüfung, Verbesserung der Verkehrskultur) waren zu allgemein und unpräzise.

Prof. Dr. Christoph Klimmt sprach über „Ziele und Strategien von Verkehrssicherheitskampagnen“ und betonte: „Verkehrssicherheitskampagnen versuchen, auf das Verhalten von Verkehrsteilnehmer in sicherheitsförderlicher Weise einzuwirken. Weil Verhalten selbst kaum direkt verändert werden kann, wählen Kampagnen fast immer den ‚Umweg‘ über die (angestrebte) Beeinflussung solcher Eigenschaften beispielsweise von Autofahrerinnen und -fahrern, die einerseits das eigentliche Verhalten (mit-) beeinflussen (wie etwa Einstellungen und Erwartungen), andererseits aber ihrerseits durch Kommunikation von außen beeinflusst werden können“.

Als Beispiele sind die Kampagnen des Bundesverkehrsministeriums („Runter vom Gas!“), die gemeinsam mit dem DVR konzipiert und realisiert wurden. Fiktive Bilder von Unfallopfern sollten die Erwartung des Publikums bezüglich der Gefährlichkeit von schweren Autounfällen sowie die Angst vor solchen Unfällen beeinflussen, damit diese beiden Faktoren (hoffentlich) im nächsten Schritt auf Verhaltensvornahmen und eigentliches Fahrverhalten weiter-

Zur Frage „Lebensträume“ sprach Andrea Leirich, Landesverkehrswacht Mecklenburg-Vorpommern e.V. Seit dem Jahr 2013 wird das Projekt „CrashKurs MV“ durchgeführt. Neben der großen Kernveranstaltung mit möglichst allen Schülern des zweiten Ausbildungsjahres einer Berufsschule gibt es in Mecklenburg-Vorpommern noch eine verbindliche Vor- und Nachbereitung im Unterricht sowie einen zusätzlichen Aktionstag „Verkehrssicherheit“. Wichtiges Anliegen ist die Einbindung der Schule, sowohl der Schulleitung als auch der beteiligten Lehrerinnen und Lehrer.

Rasen, Drängeln und Pöbeln begegnet über der Hälfte der Autofahrer auf der Autobahn“, meldet der ADAC. Emotionen entstehen beim Fahren vor allem dann, wenn die eigenen Ziele von außen blockiert werden – Ärger und Wut sind die Folge, aggressives Verhalten der Ausdruck dieser Emotionen. Auch positive Emotionen werden berichtet. Die Forschung konzentriert sich auf die negativen. Relativ viele Fahrer drücken ihren Ärger aus, schimpfen, beschweren sich beim Beifahrer oder hupen. Sehr wenige Fahrer gehen weiter, folgen dem Blockierer, drängen ihn ab, lassen ihn nicht rein oder ähnliches. Die letzten haben ein erhöhtes Unfallrisiko, während sich dies für die Schimpfer nicht nachweisen lässt – also lieber den Ärger nur verbal rauslassen.

Man kann auch Emotionen ins Auto mitbringen. Gerade heftige, lang nachwirkende Emotionen sind aber vermutlich eher selten, ihre Auswirkungen sind unbekannt. Im Fahrzeug können aber auch Emotionen entstehen, ohne dass der Verkehr beteiligt ist. Bei angenehmen Gesprächen gehen Blicke und Konzentration zum Beifahrer, sodass die Aufmerksamkeit nach außen nachlässt. Bei Streit im Auto wird schneller gefahren und man reagiert viel zu spät auf kritische Ereignisse im Verkehr. Ein Mittel, Emotionen im Auto zu beeinflussen, ist allerdings weit bekannt und benutzt – Musik. Entspannende Musik entspannt auch den Fahrstil. Aggressive Musik scheint eher kontraproduktiv. Allerdings ist momentan schwer abzuschätzen, wie häufig und stark diese Auswirkungen sind.

Insgesamt ist Stress in der extremen Form eher kein Problem im Verkehr. Zu hohe Beanspruchung kann Unfälle verursachen, wenn der Fahrer nicht mehr Gegenregulieren kann, wenn die Situation plötzlich zu komplex wird, wenn der Fahrer seinen Zustand selbst einschränkt oder sich überschätzt und ablenkt. Mindestens genauso gefährlich wie Überforderung sind Langeweile und Müdigkeit – weil man einschlafen kann, aber auch, weil sich Fahrer dann ablenken. Emotionen sollte man nicht unterschätzen, auch nicht beim Fahren, und auch den angenehmen Gefühlen sollte man lieber nach der Fahrt nachgehen.

DVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Auguststraße 29, D-53229 Bonn, www.dvr.de 

Von Gerald H. Ueberscher.

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