Binz

Perle der Seebäderarchitektur

Kein Sommer ohne Ostsee. Kein Sommer ohne Binz. Darauf schwörte meine Mutter schon. Jedes Jahr zog es sie an die frische Seeluft, an diesen magischen feinsandigen Strand, dem flachen Wasser und der Kreideküste. Für 5 Mark die Nacht quartierten uns die Einheimischen in Schuppen oder Lauben ein. „Jagt die Hühner aus dem Stall, die Gäste kommen“, so hieß es in Binz schon im 19. Jahrhundert. Man stellte den Badegästen die rohrgedeckten Ställe zur Verfügung. Fürst zu Putbus ließ anfangs seine Badegäste sogar noch mit Pferdekarren ins Wasser fahren. Erst nach und nach entstanden Umkleidehütten und Badestege. Die Einheimischen betrachteten die "Baders", "Strandlöpers" und "Luftsnappers" allerdings eher skeptisch.

Am Strand und in den Strandkörben durfte man sich nur in Tageskleidung zeigen wegen der Sitte. Für „Sonnenbader“ wurde ein Luftbad errichtet, streng geordnet nach Damen- Herren- und Familienbad, umgeben von einem hohen Bretterzaun.

Sehen und gesehen werden

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Badespaß im Seebad Binz

Mit steigender Besucherzahl wurden die ersten Hotels, Logierhäuser und Geschäfte errichtet, allesamt immer dichter in Nähe des Strandes. Man baute an, stockte auf. Die Häuser bekamen reich verzierte Loggien, Balkone, Veranden, Erker, Türmchen oder Säulen. Man sprach von der ”Bäderarchitektur” oder auch „Laubsägenarchitektur“ aufgrund der floralen oder orientalischen Muster. Diese romantische und mondäne Baukunst in den Seebädern, hatte ihre eigenen Gesetze. Im Gegensatz zu Kur- und Badeorten im Binnenland, wollte man sich in den Seebädern vergnügen. Das gesellschaftliche Leben war ebenso anziehend wie die Heilkraft des Meeres und die klare Luft. Badeanstalten, Kurhäuser, Seebrücken und Musikpavillons entstanden. Industrielle, Ärzte, Juristen, Beamte und Künstler strömten nach Binz. Auf der Strandpromenade hieß es: sehen und gesehen werden.

Wechselvolle Geschichte

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Klaus Boy führt durch die Bäderachitektur von Binz: Klaus Boy ist fast jedes Haus vertraut, vor allem in der Putbuser Straße. Er verweist auf die kastenförmigen Putzbauten mit ihren Balkonen, Loggien oder Veranden mit verzierten Holz- oder Metallbrüstungen. "Wer es sich leisten konnte, baute noch Türmchen und Erker an", erzählt Boy."

Nach dem Krieg und selbst in der DDR fielen viele der Strandvillen in einen tiefen Dornröschenschlaf. Während der „Aktion Rose“ 1953, wurden viele Villenbesitzer enteignet. In den Häusern zogen Flüchtlinge ein, Heimkinder oder Wohnungssuchende. In den siebziger und achtziger Jahren baute errichtete man entlang der Strandpromenade FDGB-Urlauberheime.

Es war die Zeit, als meine Mutter ihre Sehnsucht nach dem Meer mit dem Nützlichen zu verbinden begann. Sie reinigte die Zimmer der Ferienheime, bediente in den sommerlich überfüllten Gaststätten an der Strandpromenade die Gäste oder half in der Küche aus. Dafür waren uns Kost und Logis gesichert. Hauptsache, an der See sein. 

Bäderarchitektur im neuen Glanz

In dieser Zeit nagte die salzige Ostseeluft an den Fassaden der hochherrschaftlichen Häuser. Dass die alten Villen jedoch nicht abgerissen wurden, kommt ihnen heute zugute. Nach der Wende erfolgte die Rücknahme der Enteignung. Die Häuser wurden saniert, einige abgerissen, viele neu gebaut. Teure Eigentumswohnungen, vermietet an Feriengäste. Bei den Einheimischen hatten sich die Investoren nicht gerade beliebt gemacht. Ein Thema, zu dem sich Klaus Boy bedeckt hält. Im Gegensatz zu vielen anderen Binzer kam der einstige Lehrer für Musik und Kunsterziehung mit den Einschnitten der Wende gut zurecht. Er schulte um, ging in die Touristikbranche und nimmt heute die Urlauber mit auf eine Zeitreise durch Binz, das seine einzigartige Anziehung noch immer aus seiner Seebad Tradition schöpft. Kein Haus gleicht dem anderen. Antike Tempelportale, Säulen neben gotischen Fenstern, selbst alpenländische und nordische Holzhäuser. Gemein ist allen das Weiß, das vornehm und elegant mit dem Strand um die Wette strahlt, über den Dächern das Blau des Himmels und zu Füßen das Meer. 

Traumhaus Villa Haiderose

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Zu den verfallensten Häusern an der Strandpromenade gehörte die 1896 erbaute Villa Haiderose. „Doch ich hatte mich sofort in ihrem morbiden Charme verliebt“, schwärmt die Inhaberin Charlotte Mews-Ostermoor. „Irgendwie spürte ich die besondere Energie, die in den alten Mauern steckte und erlöst werden wollte. Die Gesundheits- und Wellnessberaterin stammt aus Ostfriesland und besuchte mit ihrem Mann oft den Bruder im Osten, der in den Wirren des Krieges auf der Flucht verloren ging und Jahre später in Binz eine neue Heimat fand. Die Treffen der Geschwister machten Binz zu einem Sehnsuchtsort. Und die Villa Haiderose wurde ein Traumhaus, das Charlotte Mews-Ostermoor mit ihrem Mann erwarb und behutsam sanieren ließ. Heute ein Kleinod im strahlenden Weiß, mit den Farben des Meeres eingerichtet, romantisch, einladend.

Auf dem Balkon von einer der neun Suiten ein Blick durch die vom Wind rauschenden Bäume direkt auf das Meer. Näher an der Ostsee kann man in Binz nicht wohnen.

Die gastliche Hausherrin lädt ein zu „Sehnsuchtszeiten“, an denen sie Teezeremonien zelebriert. Je nach Wetter am Strand, an geheimnisvollen Orten im Hinterland von Rügen oder in ihrem liebevoll gepflegten Garten.

Luftsnappers von heute

Die belebte Binzer Hauptstraße mit den zahlreichen Geschäften und Gaststätten führt bis an die 370 m lange Seebrücke, die Anlegestelle der Ausflugsschiffe und Fußgängerknotenpunkt. Ein quirliges Treiben auf der Strandpromenade, ein ewiges Auf und Ab, ein Kommen und Gehen. Etwas abseits führt eine kleine Seitenstraße in die sogenannte Kunstmeile. Schmuckdesigner, Kunsthandwerker haben hier ihre Läden und Werkstätten, wie die Keramikerin Lydia Budnick. In den Farben des Meeres schimmert blaues Mosaik auf weiß glasiertem Steinzeug und leuchtendem Porzellan. In der Verkaufsgalerie wird gedreht, gemalt und gebrannt. Lustige Vogelhäuschen, pralle Meerjungfrauen und schmunzelnde Könige setzen frech-fröhliche Akzente vor der offenen Ladentür. Lydia Budnick stammt aus dem Vogtland, hat Philosophin studiert. Doch ihr Herz schlägt für das Töpfern. „Am schönsten ist es, den Ton zu bearbeiten. Ich gebe mich ihm hin, werde eins mit ihm. Das ist wie meditieren, man dreht ohne nachzudenken und muss sich doch konzentrieren. Wenn ich mich ablenkenden Gedanken hingebe, gelingt nichts.“ Gründer der Kunstmeile ist der aus Frankreich stammende Fotograf Robert Denier. Der Elsässer war fasziniert von dem besonderen Licht auf Rügen. Der Reportage-Fotograf bereiste zuvor Afrika und Lateinamerika. Er überrascht mit Panorama Fotografien, die die Insel von ihrer schönsten Seite zeigen.

Gourmet nach pommersche Art

Nostalgisch, fantasievoll und urgemütlich ist das Ambiente der „Strandhalle Binz“. Ein 100 Jahre alter schwedischer Holzbau. Unterm Kronleuchter versinke ich auf einem Kanapee an einem Nähmaschinentisch. Über mir Landschaftsmalereien mit Motiven von Rügen. Die Strandhalle war früher Lagerplatz für Strandkörbe, im Sommer ein Tanzsaal für die Ostseegäste. Das Objekt wurde enteignet, später aßen FDGB Urlauber hier im vier Schichtsystem. Für den aus Westfalen stammenden Koch soll das Essen „lecker und bezahlbar“ sein. „Wir stehen nicht für das Edle und Zarte, sondern für das Deftige und Nahrhafte“. Dazu gehören die legendären Geheimrezepturen, einfache, leicht verdauliche pommersche und mecklenburgische Gerichte wie Birnen-Sellerie-Cremesuppe oder Ostseedorsch mit Scheiterhaufen.

Der letzte Küstenfischer

Dorsch bekommt man auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In der „Fischräucherei Kuse“, am Ende der Promenade, direkt am Strand in der Granitzer Bucht. Jürgen Kuse ist der letzte Küstenfischer im Ort, in vierter Generation. Täglich, außer bei starkem Sturm, geht es raus auf die Ostsee. Das Schönste sei immer die Rücktour zum Strand, wenn die Sonne auf die weißen Villen scheint und sie zum Strahlen bringt, schwärmt er.

Die rettende Idee, den frischen Fisch, selbst geräuchert und direkt an die Gäste zu verkaufen, hat der gebürtige Binzer die Wende gut überstehen lassen. Er machte auf eigene Faust weiter. Seine gemütliche Imbiss Bretterhütte am Strand ist längst Kult.

Jürgen Kuse fängt die Fische wie schon sein Urgroßvater, schonend mit Stellnetzen. Im Frühjahr Heringe. Dann Hornfisch, Dorsch, Flunder, Scholle. Und Aal. Und wenn es wieder kälter wird, Seelachs.

Für Sohn Manuel, der gerade sein Kapitänspatent macht und das Fischereigeschäft des Vaters einmal übernehmen wird, bedeutet der Fischfang Berufung. „Morgens den Sonnenaufgang auf dem Meer zu betrachten, das ist Freiheit“, schwärmt der 28-Jährige. „Und wenn Mutter bei der Rückkehr ruft: Frühstück ist fertig!, ist das Glück.“ Natürlich gibt es auch Regentage, das Ozonloch und EU-Fangquoten. Doch die Kuses machen weiter. Am Strand liegt das Boot für den nächsten Morgen bereit. Um vier Uhr werden Vater und Sohn los tuckern hinaus auf das Meer, das jetzt matt schimmert und auf dem sich die Wellen im unaufhörlichen Rhythmus kräuseln.

Maler Frank Otto Sperlich

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Kunst in der Kunstkate Karow

Ein paar Kilometer von Binz entfernt, in Karo, treffe ich noch einmal das Meer. Direkt an der Dorfstraße in einem alten Bauernhaus. Es ist die Kunstkate Karow, in der der Maler und Filmemacher Frank Otto Sperlich sein Atelier, sein Zuhause hat. Die ausgebaute Galerie unter dem frisch gedeckten Reeddach hat die Magie des weiten Meeres. An den alten Steinwänden ein ganzer Zyklus von Meereswellen, auf dem Boden nebeneinander gereiht oder übereinander gestapelt. Momentaufnahmen von Farben, Form und Bewegung der Wellen, dass man das Rauschen zu hören glaubt. Festgehalten mit Acryl auf Leinwand. Mal rieseln sie sanft vor sich hin, dann wieder bäumen sie sich auf mit aller Wucht, bis sie sich brechen und doch immer weiter fließen.

Der Künstler Frank Otto Sperlich lernte Rügen schon als Kind kennen, als er mit seinen Eltern hier Urlaub machte. Die Insel und das Meer blieben für ihn immer ein Ort voller Zauber und Geheimnis. Und Sehnsucht. Vielleicht nach dem, was hinter dem Horizont wohl wartet?

Rosenstadt Putbus

Wenn sich die untergehende Abendsonne sanft immer tiefer der Erde neigt, entfaltet sich ein goldenes Licht von atemberaubender Kraft über Felder und Wälder. Mitten hindurch bimmelt und bummelt die Kleinbahn „Rasender Roland“ mit bis zu 30 Kilometer pro Stunde. Vermutlich stammt daher auch ihr Name. Den "Rasenden Roland" gibt es seit 1895. Die Eisenbahnromantik führt vom Bahnhof Binz in die Ostseebäder Sellin, Baabe, Göhren oder nach Putbus, der ehemaligen Fürstenresidenz derer zu Putbus. Der Ort entstand ursprünglich aus der slawischen Siedlung „Pod Buz“, dem Namen nach „Unter dem Holunderbusch“. Doch es sind die Rosen, deren betörender Duft ich mich nicht entziehen kann. Um die 200 Rosenstöcke geben der Stadt ein schmuckes Aussehen. Ein Kleinod der „Cirkus“, der klassizistische Stadtkern und der Schlosspark mit seinen uralten Eichen, den riesigen Mammutbäumen, Rosskastanien oder Tulpenbäumen. Das Schloss wurde in DDR Zeiten gesprengt. Die Orangerie zu Ausstellungsräumen umfunktioniert. Theater, Ateliers, Galerien laden zum Betrachten ein oder einfach nur zu Gesprächen über „Gott und die Kunst“, wie es in der Galerie Rotklee üblich ist. Frank Otto Sperlich, Gründungsmitglied der Galerie, will mit den Inselgästen nicht nur Sichtweisen teilen auf Bilder, Skulpturen oder Installationen, sondern auch zu drängenden Fragen der Zeit. Die gegenwärtige Ausstellung mit dem Titel „Inspiriert von“ zeigt Werke, die sich in Beziehung zu bekannten Künstlern stellen wie von Oskar Schlemmer, Wolfgang Mattheuer oder auch von Weltreligionen wie dem Koran.

Ich verlasse Rügen mit meinen eigenen inneren Bildern. „Inspiriert“ von der einzigartigen Schönheit der Insel. Goldgelb strahlender Gingster, Sanddorn, Feuersteine, alte Baumalleen, Abendrot, Meeresrauschen, Spuren im Sand .

ReiseTravel Service

Anreise: Mit der Bahn ab Berlin mit Ostsee-Ticket für 49 Euro Hin und Zurück. Mit dem Fernreisebus ab Hamburg, Berlin, Dresden, Chemnitz oder Zwickau oder mit dem Flugzeug bis Rostock von Köln, Stuttgart und München.

Gemeinde Ostseebad Binz - Kurverwaltung, Tel. 038393-148 148

Führung durch Binz "Zeitreise“ jeden Freitag um 10 Uhr ab Haus des Gastes. Tel. 038393/148-148,

Jagdschloss Granitz Moderne Ausstellung zum alten Schloss und seinen illustren Gästen. Tel. 03 83 93/ 667 18 76 40

Geschichte KdF (Kraft durch Freude) -Seebad“ Prora, Dokumentationszentrum. Tel. 038393-13991.

Übernachten: "Villa Haiderose": Appartement für zwei ab 95 Euro, Strandpromenade 14, 18609 Ostseebad Binz, Tel. 03 83 93/51 39

Übrigens hat Binz ungewöhnlich viele Sonnenstunden, etwa 2000 im Jahr.

Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich

Christel Sperlich ReiseTravel.euFernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen

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