Berlin | Preußische Rechtsauffassung |
Preußische Rechtsauffassung
Sehr geehrte ReiseTravel User, verehrte Freunde der Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg: Die preußische Rechtsauffassung für ein liberales Deutsches Kaiserreich bedeutet auch die Grundlage für unsere Gesellschaft von heute.
Noch immer wird dem 1871 auf die Staatenbühne tretenden Deutschen Kaiserreich reflexartig und dabei gerne auch wider besseres Wissen jener Liberalismus abgesprochen, mit dem sich andere Großmächte Europas nur zu gerne gebrüstet haben. Ist eine solche Verneinung angesichts der gemeisterten gesellschaftlichen Umbrüche der Gründerzeit sowie des Aufstiegs zur weltweiten Führungsnation in Wirtschaft, Wissenschaft und Recht bis zur Jahrhundertwende überhaupt haltbar?
Um mit den Worten des englischen Nationalökonomen Adam Smith (1723 bis 1790) zu sprechen: „Im wirtschaftlichen Erfolg spiegelt sich die Freiheit des einzelnen in einem Staate wider.“ Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches mussten vielfältige Probleme gelöst werden. Eine territoriale Einheit war beileibe noch keine Einheit im Denken. Noch im Jahr 1866 standen sich Deutsche verschiedener Länder im österreichisch-preußischen Krieg feindlich gegenüber.
Volker Tschapke Präsident Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg
Ein Industrialisierungsschub nie gekannten Ausmaßes brach über Land und Volk herein, der eine entsprechend ausufernde Landflucht zur Folge hatte. Zudem wuchs die Bevölkerung ab 1871 jedes Jahr durchschnittlich um 600.000 Menschen. Hierbei ist zu beachten, dass im Gründerjahr 420.000 preußische Beamte nunmehr 40 Mio. Einwohner verwalten mussten. Zum Vergleich: heute entfallen auf 81 Mio. Einwohner bundesweit etwa 5 Mio. Staatsbedienstete. Unter der preußischen Federführung des Reichskanzlers Otto von Bismarck hielt das Prinzip des Gemeinwohls auf dem gesamten Staatsgebiet Einzug. Gleichwohl sollte ein starker Staat die Freiheitsrechte und Selbstentfaltungsmöglichkeiten jedes einzelnen garantieren. Die gewachsene Rechtstradition und die gelebte Rechtskultur in der Preußischen Verwaltung war für die Erfolgsgeschichte des Deutschen Kaiserreiches dabei ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Ethische Maxime waren Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit, Fleiß und Pflichterfüllung. Auch Bismarck und selbst Kaiser Wilhelm II. mussten sich dieser Rechtsstaatlichkeit unterwerfen. Als der Reichskanzler den preußischen Juristen und Verfechter einer autonomen Verwaltungsgerichtsbarkeit Rudolf von Gneist (1816 bis 1895) mit der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Gemeindeordnung beauftragte, stellte er damit die Weichen für eine lokale Selbstverwaltung der Gemeinden im Reich. Schnell bereitete diese Autonomie Bismarck jedoch Kopfzerbrechen, wie er in seinem Buch „Erinnerung und Gedanken“ (erschienen 1890) bekannte: „Wir hatten gehofft, dass durch die Einführung der lokalen Selbstverwaltung die Staatsbehörden an Beamten entbürdet werden; aber im Gegenteile, die Zahl der Beamten und die Geschäftslast sind durch die Correspondenzen mit den Organen der Selbstverwaltung erheblich gesteigert worden. Es muss früher oder später der Wunde Punkt eintreten, wo wir von der Last der Schreiberei und der unteren Bürokratie erdrückt werden.“
Dennoch war und blieb die Gemeindeordnung fortschrittlicher Ausdruck einer von Bürgern gelebten politischen Kultur, regelmäßig bestaunt und studiert von internationalen Delegationen. Der Kaiser seinerseits unterlag vor Gericht einem Warenhausbesitzer. Dieser hatte im Juni des Jahres 1901 das erste private Automobil Berlins erworben und ließ es mit dem Kennzeichen IA-1 registrieren. Wilhelm II. war jedoch nicht gewillt, sein nachfolgendes Privatfahrzeug auf IA-2 registrieren zu lassen und bestand auf die Eins. Das Gericht entschied gegen den Kaiser, der fortan ohne Kennzeichen fuhr - mit einer auch für ihn erforderlichen Sondergenehmigung der Polizei. Das Recht einen Richter wegen Befangenheit abzulehnen, auf die Unversehrtheit von Wohnung und Eigentum vertrauen zu können, eine weit reichende Presse- und Informationsfreiheit sowie der Schutz vor willkürlicher Verhaftung waren nur einige der weiteren Persönlichkeitsrechte, die konsequent umgesetzt wurden. Mit dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) trat am 1. Januar 1900 schließlich ein Gesetzeswerk in Kraft, das in seiner Klarheit und Ausgewogenheit beispiellos war. An die 50 Staaten weltweit haben es ganz oder in Teilen in ihr eigenes Rechtssystem überführt. Das BGB beinhaltete das gesamte Privatrecht und war bereits der Leitfaden für eine moderne Marktwirtschaft, enthielt es doch ein Handels- und Gesellschaftsrecht inkl. Warenzeichen-, Patent- und Urheberrecht. Das Vereins- und Versammlungsrecht präsentierte sich deutlich freizügiger als noch zuvor.
Seit dem 19. Jahrhundert haben die Wissenschaften die Welt revolutioniert. Veränderungen in den Wissenschaften stetig voranzutreiben und mit diesen neuen Erkenntnissen die Welt zu verändern, das zeichnet Modernität aus. In diesem Sinne war das Preußen der Gründerzeit bereits ein moderner Staat, das Kaiserreich in seiner Gesamtheit folgte zügig nach. Die Geschichtswissenschaft genoss auch in Preußen über lange Zeit den höchsten Stellenwert. Sie präsentierte und interpretierte die Vergangenheit und schuf damit gegenwärtige Identität und Orientierung. Beeindruckendes Beispiel ist die von König Friedrich Wilhelm IV. ausgestattete Ägypten-Expedition der Jahre 1842 bis 1845. Im Ergebnis konnte der Expeditionsleiter und Sprachwissenschaftler Karl Richard Lepsius (1810 bis 1884) in Berlin die wissenschaftliche Ägyptologie begründen und damit den internationalen Ruhm Preußens mehren. Bis ins Jahr 1871 war das vermeintlich objektive wissenschaftliche Arbeiten durchaus beherrscht von subjektiven Wertmaßstäben. Das änderte sich nun. Eine konsequente kritische Auseinandersetzung und Bearbeitung der verschiedenen Quellen gewann an Bedeutung. Dieses exakte und antispekulative Arbeiten zur Ergründung von Tatsachen wird auch als „Positivismus“ bezeichnet. Es führte gesamtgesellschaftlich zu einer deutlichen Ausrichtung auf Gegenwart und Zukunft, weg von der Historie. Neue Wissenschaften rückten in den Fokus. Hierzu gehörte vor allem die systematische Wissenschaft des Zivilrechts. Lange vor Inkrafttreten des BGB flankierte sie bereits das bis dahin geltende „unkodifizierte gemeine Recht“ und zeichnete sich im Wesentlichen durch drei Charakteristika aus:
1. Außerjuristische Vorgänge und politische, religiöse sowie soziale Wertorientierungen werden außer Acht gelassen.
2. Die gesamte Rechtsordnung muss klar und eindeutig formuliert sowie in einem streng logisch aufgebauten formalen System zusammengefasst sein.
3. Alle Rechtsfälle müssen sich dem Inhalt nach in einem logischen System wieder finden und dieses ggf. entsprechend erweitert werden. Richter haben dieses System bei der Rechtsanwendung durchweg zugrunde zu legen, um Objektivität zu wahren.
Das Rechtssystem im Deutschen Kaiserreich schob einer Willkür durch den Staat einen Riegel vor und hielt gesellschaftliche und Individualrechte in der Waage. Schlichtung und Ausgleich erfolgten durch formale Regeln, nicht durch Machtverhältnisse.
Was hätte der „Alte Fritz“ wohl dazu gesagt …
Mit Blick auf das unter seiner Federführung entstandene „Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“, das schließlich am 1. Juni 1794 nach seinem Tod als „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten“ in Kraft getreten ist, hätte Friedrich der Große wohl auch das Rechtssystem im Deutschen Kaiserreich mit Genugtuung betrachtet. Denn „Ich habe mich entschlossen, niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen; denn in den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen und der Herrscher soll schweigen“, waren schon die Worte in seinem Politischen Testament des Jahres 1752. Dass gerade Friedrich selber mehrfach gegen dieses Prinzip verstieß, war keinesfalls eine Missachtung des herrschenden Rechts aus Selbstzweck.
Ganz im Gegenteil sah er in solchen Fällen die Individualrechte von Klägern oder Beklagten untergraben. Sehr konkret wurde er in seinem Politischen Testament von 1768: „Wenn man auch der Hydra der Rechtsverdrehung ein paar Köpfe abschlägt, wachsen ihr doch neue. Die Raubgier erscheint in neuer Maske, und die Gesetze
werden durch willkürliche Auslegung umgangen […]. Sicherheit für Besitz und Eigentum: Das ist die Grundlage jeder Gesellschaft und jeder guten Regierung. Dies Gesetz gilt für den Herrscher wie für den letzten Untertan. Er muss darüber wachen, dass es befolgt wird, und er muss die Amtsträger, die dagegen verstoßen, mit äußerster Strenge bestrafen.“
Das insbesondere von royalen und adligen Kreisen des 18. Jahrhunderts als suspekt und für den eigenen Machterhalt durchaus als gefährlich aufgenommene Rechtsempfinden des preußischen Monarchen muss umso mehr als revolutionär und bahnbrechend begriffen werden. Aussagen wie „... daß in meinen Augen ein armer Bauer ebenso viel gilt wie der vornehmste Graf und der reichste Edelmann, und ist das Recht so wie für vornehme als für geringe Leute“, verschaffte ihm in einer Epoche der Sklaverei - in und für Preußen zu jeder Zeit undenkbar - europaweit den Status eines Helden des „kleinen Mannes“. Von Portugal bis Sizilien kannte man den „Alten Fritz“, waren seine Portraits zu finden. Gesammelte zeitgenössische Flugblätter befinden sich heute noch in der Burg Hohenzollern. Sicher gäbe es besonders zum „Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten“ noch viel zu sagen, jedoch verdient dieses Meisterwerk einen eigenen Bericht.
Kurzum: Friedrich der Große hat den Samen für Rechtsstaat und Demokratie in Europa mit gesät und den Keimling durch sein Lebenswerk bis ins Deutsche Kaiserreich getragen.
Sehr geehrte ReiseTravel User, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Den Geburtstagskindern preußisches Fortune und alles Gute im neuen Lebensjahr, den Erkrankten baldige Genesung
Pro Gloria et Patria
Gott befohlen
Volker Tschapke
Präsident Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg
Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg e.V. c/o Hilton Berlin
Mohrenstrasse 30, D-10117 Berlin, Telefon: 030 – 2023 2015, www.preussen.org
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