Leipzig | Das Bier ohne Bedenken |
Jens Gröger braut die „Edelgose“, ein altes, traditionelles Leipziger Bier in seiner Gasthausbrauerei: Es ist die einzige noch existierende Gosenschenke ihrer Art
„Was unter den Blumen die Rose, ist unter den Bieren die Gose“, meint Jens Gröger und zeigt auf einen der zahlreichen Sprüche, die an den Wänden seiner Gaststätte hängen. Hinter der Jugendstil Fassade in der Menkestraße mit dem halbrunden Gose-Erker befindet sich die berühmte Original Gosenschenke. Es ist die Richtung zum Schillerhaus, in dem der Klassiker die „Ode an die Freude“ schuf. Freudig strahlt auch der sympathische Gastwirt. Jens Gröger liebt das besondere, das außergewöhnliche Bier. Die Gose, ein leicht säuerlich-salzig schmeckendes obergäriges Bier mit einem Alkoholgehalt um 4,5 Prozent, hat es ihm angetan. Das traditionelle Bier verdankt seinen besonderen Geschmack dem Zusatz von Kochsalz und Koriander sowie dem hohen Anteil an biologischer Milchsäure und entspricht damit nicht dem Deutschen Reinheitsgebot, hat aber viele Liebhaber. Aufgrund der Beliebtheit von Gose-Bier in Leipzig wurde Leipzig lange auch Gosestadt genannt.
Wechselvolle Zeiten
Bereits im Mittelalter wurde die Bierspezialität in Goslar im Harz gebraut und kam im 18. Jahrhundert nach Leipzig. Damals schon hieß es: „es tranken die Studiosen - so zwei bis zwanzig Gosen!
Auch der damalige Student Johann Wolfgang von Goethe soll das Bier getrunken haben, erzählt Jens Gröger begeistert. Hinter seinem Tresen holt er eine der dunkelgrünen typischen Original Goseflaschen hervor. Die eigenwillige Form, der breite flache Bauch und der lange schmale Hals waren für die zweite Gärung verantwortlich.
Die Plätze im urigen Biergarten mit Terrasse und dem uralten Baumbestand sind noch leer. Die Rollläden des Gartenausschanks runtergezogen. An der Außenwand des Gasthauses hängt die denkmalgeschützte Sonnenuhr mit dem symbolgewaltigen Morgenverkünder, dem schwarzen Hahn.
Das Wirtshaus öffnet erst am Nachmittag. So hat Jens Gröger noch Zeit, von dem Leipziger Traditionsgetränk zu schwärmen. Er spricht viel und leidenschaftlich, ist witzig und entspannt. Die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ geht für ihn einher mit ihrer Entstehungsgeschichte. 1899 wird sie eröffnet und erlebt bald ihre Blütezeit.
Bei einem Phosphor Bombardement wird im 2. Weltkrieg 1943 der gesamte Gebäudeflügel mit den damals fünf Gasträumen, Garten und den Kolonaden völlig zerstört. Danach improvisiert man aus dem Nichts heraus und das Geschäft wird mit Mut und engagierten Goseliebhabern weiter geführt. „Wenn selbst der Rathausturm versinkt, darauf könnt ihr wetten, solange man hier Gose trinkt, ist Leipzig noch zu retten“, hieß es. Die Gose wird zwar wieder hergestellt, büßt aber seine Popularität ein. Und verschwand im Laufe der Zeit.
Ende der 1950-er Jahre wird die Schenke geschlossen und bald auch die Gose Produktion eingestellt. Erst Mitte der 80-er Jahre erwacht sie wieder zu einem beliebten Pilgerort der Gose Freunde.
Ein neuer Pächter entwickelt die Gosenschenke zu einer Kleinkunstbühne mit Kabarett. Jens Gröger, der bis dahin dort als Zapfer tätig ist, wird 2012 der neue Gosewirt. Der waschechte Leipziger wächst im Stadtteil Gohlis auf und kennt jeden Stein im Viertel. Er machte eine Lehre als Handelskaufmann, dann seinen Meister.
An den Wandel seines Kiezes und Arbeitsortes erinnert er sich noch genau. „Man kann sich das heute kaum noch vorstellen. Die Straßen waren trist und leer. Die Häuser zum großen Teil verkommen und ruinös. Die Fassaden grau. Der Putz bröckelte vor sich hin. Mit der Wende änderte sich alles. Es war eine spannende und auch sorgenvolle Zeit. Ich arbeitete in der Schänke noch als Geschäftsführer und hatte große Angst um meinen Arbeitsplatz. Die Häuser waren nun überall mit Planen verhangen. Baugerüste wurden aufgestellt. Wie Phönix aus der Asche gingen die frisch sanierten Häuser aus dem alten Verfall hervor.“
So auch die Gosenschenke in der Menckestraße 5. Die historische Gaststube gleicht noch immer dem Aussehen der Zwanziger Jahre. Die Holzvertäfelung an den Wänden der Biedermeierstube, rustikale Tische und Stühle strahlen heimische Gemütlichkeit aus. Wie in einer Ausstellung geben zahlreiche Abbildungen, Fotos, Stiche und Sprüche Einblick in das Flair alter Zeiten.
Heute back ich, morgen brau ich...
Erstmals in der über hundertjährigen Geschichte braut Jens Gröger seit vier Jahren im Biergarten eine eigens kreierte milde Sorte, die Edelgose. Zweimal in der Woche steht er mit seinen Mitarbeitern in der kleinen Biergarten Brauerei.
Backen und Brauen gehörten früher zusammen. Nach dem Kuchen backen ging es zum Bier brauen. Daher stammt auch Rumpelstielzchens Ausspruch „Heute back ich, morgen brau ich...“
Damals galt als das beste gebraute Bier an den Orten, wo im gleichen Haus auch gebacken wurde. Die Hefebestandteile, die nach dem Backen noch einige Zeit in der Luft hängten, lösten sich im Braukessel und bewirkten im Bier eine Spontangärung. So hatten die mittelalterlichen Bäcker oder die Frauen, die ihre eigenen Brötchen backten und ebenfalls brauten, oft das schmackhafteste Bier.
Mehrere Schritte wie Eiweißrast, Maltoserast und Verzuckerungsrast würden über den Geschmack und Alkoholgehalt des Bieres entscheiden, meint Jens Gröger. Die Rezepturen, Temperaturen und Zeiten der jeweiligen Prozedur müssten präzise eingehalten werden. „Wir haben nur vier Tanks, da können wir nicht lange herum experimentieren. Anregungen für genaue Zutaten und Mischungsverhältnisse findet der Jungbrauer in der großen Bierbibel, einem Standardwerk, das neben Grundlagen der Bierherstellung auch die Geschichte des Bierbrauens erforscht, ihre wichtigsten Sorten und Geschmacksrichtungen vorstellt.
Zuhause in der privaten Küche fing alles an. „Meine Frau, die schon lange klagte, daß ich mich nur noch im Wirtshaus aufhielt, wehrte sich gegen die heimischen Brauexperimente. „Alles klebte. Schüsseln, Eimer, Bottiche, Flaschen, Gläser. Das war schon unappetitlich und auf Dauer nicht zu ertragen. So hatte sich meine Frau das Leben mit einem Gastwirt nicht vorgestellt.“ Also verlegte Jens Gröger die Brauerei in den Biergarten. Gern zeigt Jens Gröger den Besuchern seine kleine Brauerei, erklärt die Technologie. Das Brauen dauert 12 Stunden, die Gärung etwa vier bis zehn Tage. Die Reife um die vier Wochen. Mit Vergnügen lässt Jens Gröger von den unterschiedlichen Biersorten kosten. Klassisch trinkt man die Gose mit einem Sirup, das ist der sogenannte Sonnenschirm. Mit einem Kirschlikör, das ist die Frauenfreundliche. Weil etwas süßlich. Oder mit einem Kümmellikör - Allasch, das ist dann der Regenschirm. Und der sei gut für die Potenz, meint Jens Gröger und schmunzelt. In seiner Hausbrauerei entsteht die „Edelgose“, das „Kellergold“ und das Schwarzbier „Schwarzer Hahn“.
Die Goselose Zeit im Lockdown
Jens Gröger hat eine schwere Zeit hinter sich. „Während des Lockdowns war alles verdorben. Ich mußte die Schenke schließen und sämtliche Zutaten, die ich bereits für die Gose Produktion ansetzte, vernichten. Auch die Personalsituation war prekär. Zum Glück gab es Kurzarbeiter Geld.“ Jens Gröger legte für seine Angestellten aus der eigenen Tasche was drauf. „Ich war froh über jeden Mitarbeiter, der geblieben ist. Studenten zu bekommen, war schwierig. Die meisten arbeiteten jetzt zu Hause. Selbst Pauschalkräfte konnte ich nicht gewinnen.“
Und die brauchte Jens Gröger, denn er setzte nun den Schwerpunkt auf typisch Leipziger Mittagsgerichte und lieferte sie außer Haus aus. Er lebte von Ersparnissen und Rücklagen. Mit weiteren staatlichen Hilfen außer die aus dem ersten Lockdown und den Fixkosten konnte er nicht rechnen. „Bei bis zu 10 Mitarbeitern hätte ich Unterstützung bekommen. Ich hatte aber 10,5 Mitarbeiter, da einige ja auch in Teilzeit arbeiten. Andererseits konnte ich ein zinsloses Darlehen aufnehmen. Und mein Vermieter erließ mir die Mietkosten. Großzügigkeit hat mich über die finanziellen Engpässe hinweg gerettet. Nun kann ich das Geld wieder zurückzahlen.“
Normalerweise hat Jens Gröger seine Gosenschenke 364 Tage im Jahr geöffnet. Nun ging es von Hundert auf Null zurück.
„Für mich das dabei eigentlich Schlimmste war: wir hatten schönes Wetter und keiner durfte kommen. Stammgäste, Neuankömmlinge und Touristen blieben aus. Viele Tagesgäste aus den umliegenden Bürohäusern waren im Homeoffice, erinnert sich der Gastwirt. Die Schließung hing wie ein Damoklesschwert über mir.“ Doch die Zuversicht hat ihn nie verlassen. „Wir konnten einkaufen und spazieren gehen. Wir hatten ein Dach über dem Kopf und zu Essen. Und wir hatten uns. Den Zusammenhalt in der Familie.“
Die ersten zwei Wochen nach der Öffnung ging es in der Schenke noch sehr verhalten zu aufgrund der Kontaktbeschränkungen und der schriftlichen Kontaktverfolgung. Jetzt ist Jens Gröger wieder in seinem Element. „Die Gose ist in erster Linie eine Lebensanschauung“, meint er und hebt hinter seinem Tresen das Glas mit dem frisch aus dem Hahn gezapften Bier in die Höhe. „Gosianna“ prostet er seinen Gästen, die inzwischen in seiner Schenke eingekehrt sind, fröhlich zu. Unter ihnen zahlreiche Stammgäste. Neuleipziger werden schnell in die Gosenfamilie aufgenommen.
„Man findet über die Gosenschenke zueinander, philosophiert über deren Herkunft oder den Geschmack des Bieres. Und die Touristen sind so begeistert von der Stadt Leipzig, daß es mich jedes Mal erstaunt, was sie so alles hier an Sehenswürdigkeiten, an Geschichte und Kultur erleben. Ich selbst schaue mir die Stadt gar nicht mehr so bewußt an“, gesteht er einsichtig, als wolle er das ändern.
Vor zwei Jahren bekam Jens Gröger bei einem Wettbewerb in London für seine „Edelgose“ das „Sour & Wild Beer“ Gold der Landessieger verliehen. Sein Lokal ist auch bei vielen internationalen Gästen beliebt. „The Beertraveler“ aus Amerika zählt die Schenke zu den besten 150 Bierlokalen der Welt. Und der Biergarten gehört zu den 10 schönsten Biergärten in Deutschland.
Allmählich floriert die Leipziger Goseschenke „Ohne Bedenken“ wieder. Und wie in früheren Zeiten fließt viel Gose durch die Kehlen der Goseaner. „Die erste Gose trinkt man aus Neugier. Die zweite aus Tapferkeit, die dritte trinkt man aus Leichtsinn.“ Das sei Geheimnis dieses Bieres, weiß Jens Kröger. Der Name der Gosenschenke geht auf den Kellner Karl Schmidt zurück, der um 1900 immer auf die Frage „Kann man das Gesöff Gose auch trinken? stets mit den Worten antwortete „Ohne Bedenken“.
Service
Gosenschenke Ohne Bedenken Inhaber Jens Gröger. Menckestraße 5, D-04155 Leipzig.
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich
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