Berlin

Die Aktuelle Kamera sendete 1968 die Diskussionen um die neue Verfassung der DDR

Die Partei hat immer "recht"!? - Keinesfalls!: Walter Ulbricht unterbreitete 1967 auf dem VII. Parteitag der SED den Vorschlag die seit 1949 gültige Verfassung der DDR zu ändern. Bereits der erste Artikel galt der rechtlichen Absicherung des staatlichen Führungsanspruches der SED durch die „Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“. Nach der Veröffentlichung des Entwurfes im Februar 1968 erfolgte eine „Volksaussprache“. In den staatlichen Medien lief eine Breit gefächerte Kampagne für den Entwurf der Verfassung.

Historie & Memoires sind nachgefragte Themen – Erinnern Sie sich noch?

In den Feedback Mails an die ReiseTravel Redaktion lautet oft die Frage:

Wie war das damals, wer machte wann was?

ReiseTravel bat den Autor und Regisseur Gerald H. Ueberscher um nähere Informationen:

Ein Sonderstudio Verfassung im DDR Fernsehen?

Die SED-Grundorganisation im Fernsehbereich Unterhaltung in Grünau hatte etwa 15 Mitglieder, im Prinzip waren das alle Produktions- und Redaktionsleiter, seit einiger Zeit gehörte ich dazu. Pflichtbewusst hatte ich bisher an zwei Versammlungen teilgenommen und hielt mich dezent im Hintergrund. Der Deutsche Fernsehfunk war ein politisches Instrument und in der „Unterhaltung politisch unterbesetzt“, zu wenige SED-Mitglieder, betonte Günter Röder, mein Produktionsleiter. Anfang Januar 1968 wurde ich um unbedingtes Erscheinen zur APO-Versammlung gebeten. In der anberaumten SED-Parteiversammlung kam der Parteisekretär sofort auf dem Punkt: Ein Mitarbeiter der Unterhaltung sollte zum „Sonderstudio Verfassung“ delegiert werden. Bisher hatte kein einziger Kollege zugesagt, war zu Vernehmen. Jetzt wollte man mich dazu bewegen. Der Hintergrund war politisch relevant. Eine "politische" Debatte, eine Diskussion um die neue „Verfassung der DDR“ wurde gestartet. Mit dem 1. Sekretär des Politbüros Walter Ulbricht an der Spitze sollten „massenwirksame Großveranstaltungen“ durch den Deutschen Fernsehfunk in Szene gesetzt werden.

Welche Aufgaben kamen auf Sie zu?

Die gestellte Aufgabe lautete: „Organisation aller vorgesehenen Sendungen“. Mich reizte nicht unbedingt das politische Anliegen, sondern die neuen Möglichkeiten etwas „Neues zu Erlernen“. Stand ich doch zu dieser Zeit erst am Anfang meiner künstlerischen Karriere und Lernen kann niemals schaden. Diese, meine neue Redaktion hatte ihren Sitz in Adlershof, in einer der zahlreichen Baracken der Aktuellen Kamera.

Vom 31. Januar bis zum 12. März 1968 war ich im „Sonderstudio Verfassung“ tätig und Horst Jank mein Produktionschef. Nach der Begrüßung sagte dieser: „Sofort nach Altglienicke und in der Fahrbereitschaft einen Pkw abholen“, das war nach langer Zeit eine freundliche Botschaft. Nun fuhr ich einen „Moskwitsch“.

Welche Inhalte wurden gesendet?

Unter Leitung von Chefredakteur Wolfgang Reichardt begann sofort die Arbeit und gemeinsam mit Eva Ramsdorf als Regisseurin erfolgte der Start. Koordination aller Sendungen, dazu waren Termine im ZK der SED erforderlich, dem folgten die Absprachen mit den vorgesehenen Einsatzorten. Leipzig und Weimar waren die Wichtigsten aber auch Suhl und Ruhland sowie zahlreiche weitere Orte standen auf dem Plan. Vorerst stand Büroarbeit auf dem Programm. Jedes einzelne Gewerk musste die Namen mit exakten Personalien aller eingesetzten Mitarbeiter nennen. Ich fertigte eine Gesamtliste, die wurde im ZK abgegeben. Nur die namentlich benannten durften zum Einsatz kommen. Vor der ersten Direktübertragung wurde unser Redaktionsteam Walter Ulbricht persönlich vorgestellt, ein Gespräch von etwa 15 Minuten und Wolfgang Reichardt stellte uns vor.

Am Tag der jeweiligen Übertragungen hielt Walter Ulbricht immer eine Rede, die dauerte in der Regel 60 Minuten. Der jeweilige Saal war voll und es wurde stark applaudiert. Jede einzelne Rede wurde direkt übertragen und auch in Berlin aufgezeichnet sowie danach zeitversetzt nochmals gesendet. Das lief alles reibungslos.

Für mich war die Arbeit im Hintergrund relevant. Im Ü-Wagen saß die Regisseurin Eva Ramsdorf, sah sich die Bilder der Kameras an und erteilte dem Schnittmeister ihre Anweisungen. Ein normaler Vorgang. Nun musste aber für die abendliche Ausgabe „Aktuelle Kamera“ ein Beitrag von zweimal drei Minuten Länge vorbereitet werden. Darauf war ich neugierig.

Der „Erste“ Mann im Staat spricht eine Stunde, jedes einzelne Wort wird auf die Goldwaage gelegt und nun soll gekürzt werden. Während der zahlreichen Einsätze brachte mir Eva Ramsdorf die Grundbegriffe zum Schneiden, Überblenden und das Mischen vom Ton bei, für mich war das eine feine Sache. Wolfgang Reichardt erläuterte mir die redaktionelle Vorgehensweise. Es war zwar Politik, aber hier habe ich eine Menge gelernt und konnte dies Später sehr gut in meiner Arbeit kreativ einsetzten. Hier erlernte ich von der Pike auf mein Handwerk im Fernsehen.

Am 1. März 1968 19.30 Uhr sendete der Deutsche Fernsehsehfunk Live aus dem „Café Alwin Jank“ in Ruhland:

Wolfgang Reichardt mit Elektromeister Josef Heilmeier

Fernsehchef Hans Höschel im Gespräch mit Elektromeister Josef Heilmeier - weitere Einwohner der Stadt und Fernsehmitarbeiter, kurz vor der Sendung. Das Thema der „Aktuelle Kamera“ lautete: Neue Verfassung der DDR. Wegen „kulinarischen“ Mangels, kam damals das Catering für alle Beteiligten übrigens aus Dresden, vom dortigen Interhotel „Astoria“.

Eine Episode?

Alle Mitarbeiter übernachteten in Hotels der jeweiligen Stadt und ein Fernseh-Bus befuhr die Touren. Im engeren Team waren wir vier Personen, oft mussten wir wesentlich früher vor Ort sein oder kamen später weg, dazu hatte ich den Pkw erhalten.

In Weimar hatten wir Probleme mit der Übernachtung, wir mussten nach Suhl fahren und das war ein recht weiter Weg. Im Hotel „Elefant“ Weimar hatten wir im Foyer eine Art „Welcome Desk“ eingerichtet, gedacht für den Empfang der Ehrengäste und Interviews. Im „Elefant“ wohnte Walter Ulbricht und sein engeres Gefolge. Alle anderen „Zimmer waren frei“, hatte ich an der Rezeption erfahren. Da ich im Rahmen der Arbeit mit dem Protokollchef kooperieren musste, stellte ich meine Frage zum Hotel. Nach meiner Rücksprache erhielten wir vier Einzelzimmer im Hotel „Elefant“ und ich ein Dankeschön von meinen Mitstreitern.

Weimar 1968 - Sonderstudio Verfassung: Unser Team! Eva Ramsdorf

Weimar 1968 - Sonderstudio Verfassung: Unser Team! Eva Ramsdorf (l.)

Am Abend verabredeten wir uns im „Café Am Markt“ in der Innenstadt, auf ein Bier. Der Weg dorthin war kurz: Aus dem Hotel raus, links rum, zehn Meter, erneut links rum, weitere zehn Meter, rechts rum zum Café.

Die Kollegen waren bereits vorgegangen, ich hatte noch Telefonate zu erledigen und gegen 19 Uhr verlies ich das Hotel. Das Personal an der Rezeption kannte mich und ich sagte: „Um 23 Uhr bin ich wieder hier.“ Im Foyer saßen drei oder vier „wachsame“ Genossen. Laut sagte ich „Auf Wiedersehen“ und lief langsam durch das die Hotelhalle. Nichts wie raus und zu den Kollegen.

Links rum, schnellen Schrittes wieder links rum, noch etwas schneller recht rum und aus war es. Ich war mit dem Genossen 1. Sekretär des Politbüros und Staatsratsvorsitzenden und dessen Gattin Lotte Ulbricht zusammengestoßen. Oh weh, was macht man da. Ich blieb sofort kerzengerade stehen und entschuldigte mich. Hauptsache die wachsamen Genossen werden nicht nervös und unruhig, dachte ich mir. „Sie sind vom Fernsehen. Sie kenne ich doch“, lautete die Feststellung von Walter Ulbricht. Ein Glück, so glimpflich klärte es sich auf. „Gehen Sie langsamer, morgen möchte ich Sie wieder sehen“. Dankeschön und „Auf Wiedersehen!“. 

Das sagte Ulbricht?

Ja! Auch auf Walter Ulbricht traf ich erneut. Am 28. Dezember 1968 wurde im Gebäude des Staatsrates der DDR für die Silvester Sendung eine Ansprache aufgezeichnet. Nach allen Absprachen und Proben erfolgte um 15 Uhr die Aufzeichnung der Rede von etwa fünf Minuten Länge. Walter Ulbricht betrat den Saal, grüßte laut, sah mich und kam zu mir: „Na, diesmal nicht so schnell“, waren seine Worte und er reichte mir die Hand. Hatte er doch ein enorm gutes Gedächtnis. Meine anwesenden Kollegen schauten mich an und stellten im Nachgang ihre Fragen. „Wir kennen uns eben“, damit hatte ich Ruhe und bei den Redaktionsleitern ab sofort einen guten Stand. Ein weiteres Mal traf ich auf Walter Ulbricht im Oktober 1969. Zur Einführung des Farbfernsehens zeichneten wir seine Ansprache auf. Die Sendung: Grüße Gäste Gratulanten - wurde am 3. Oktober 1969 im neuen Programm DDR 2. ausgestrahlt.

Das Sonderstudio Verfassung war für Sie ein Erfolg?

Nach diesem Einsatz erhielt ich eine Geldprämie. Hatte super Kollegen kennengelernt, mit denen ich auch später arbeitete und wieder einmal hatte ich sehr viel gelernt. Durch meine Arbeit im „Sonderstudio“ lernte ich interessante Menschen kennen, auch Mitarbeiter aus anderen Redaktionen. Heinz Pinkert war Leiter der Abteilung Film. Vom 17. bis 19. Oktober 1968 fanden in Magdeburg die „10. Amateurfilm-Tage“ statt. Nun sollte ich das Festival organisieren. Es wurde ein Erfolg, auch erhielt ich ein Honorar.

Nach der Rückkehr liefen meine Einsätze für anstehende aktuelle Produktionen weiter. Vom 1. bis 11. April 1968 produzierten wir die Sendung mit dem polnischen Star Komponisten Marek Sart und Rolf Herricht, Gastgeberin war Marta Rafael. Danach ging es wieder nach Leipzig, in der Pfeffermühle produzierten wir mehrere Kabarettsendungen. Ebenfalls in Leipzig die Sendung „Interquiz“. Dem folgten mehrere Sendungen: „Sind Sie sicher“, mit Karl Gass. Ebenso die Sendungen „Wünsch Dir was“ mit Irmgard Düren.

Eine damalige interne Regelung im Fernsehen besagte: Alle beruflichen Einsätze zur Produktion an Wochenenden, Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen werden als „freie Tage“ abgebummelt. Dabei galt, die Produktionen stehen im Vordergrund, deshalb musste dies immer sehr exakt mit dem Produktionsleiter abgestimmt werden. Nun hatte ich jede Menge freie Tage, Resturlaub und Jahresurlaub 1968.

Vielen Dank! 

Marek Sart Komponist und Schauspieler Rolf Herricht 1968 im TV

Die TV Sendung: „Meister der Melodie“ mit Marta Rafael (1926 bis 2017) war damals eine populäre Serie. Marta Rafael war eine begnadete Schauspielerin und Sängerin, stammte aus Ungarn und sie war mit Karl Eduard von Schnitzler verheiratet. Sie führte gekonnt durch die Sendung.

Marek Sart Komponist mit Rolf Herricht und Marta Rafael by ReiseTravel.eu

 

 

 

 

 

 

„Lothar Heinke, Reporter der Zeitung: Der Morgen, bat mich eine Meldung mit Fotos, über diese Sendung zu Schreiben“, betont Gerald H. Ueberscher.

Auch in den folgenden Jahren traten Marta Rafael, Rolf Herricht sowie Peter Wieland in den von Ueberscher inszenierten Programmen auf.

 

Ausgabe: Der Morgen vom 16. Mai 1968. 

 

 

 

 

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