Berlin

Der Komplex Märkisches Ufer war die Gewerkschaftszentrale und ein Kongresszentrum

Berlin war immer eine Reise wert: Unter dem Namen „Gesamtkomplex märkisches Ufer“ errichtete der FDGB, am kölnischen Park 3, 1026 Berlin, ein attraktives Kongresszentrum und gleichzeitig Sitz der Gewerkschaftszentrale. Der freie Deutsche Gewerkschaftsbund – FDGB war der Dachverband der Gewerkschaften der DDR und wurde im Juni 1945 gegründet. Fast jeder Werktätige, ob Arbeiter oder Angestellter, war Mitglied und der Verband hatte 10 Millionen Mitglieder. Im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands löste sich der FDGB am 30. September 1990 auf und danach erfolgte die „Abwicklung“ allen Vermögens durch die Treuhand. Der „Gesamtkomplex märkisches Ufer“ stand leer. Im November 2001 eröffnete in diesem super modernen Gebäude die Volksrepublik China ihre Botschaft.

Historie & Memoires sind nachgefragte Themen – Erinnern Sie sich noch?

In den Feedback-Mails an die ReiseTravel Redaktion lautet oft die Frage: Wie war das damals?

Was verbirgt sich hinter dem „Gesamtkomplex Märkisches Ufer“?

ReiseTravel bat den Autor und Regisseur Gerald H. Ueberscher um Informationen und wir zitieren aus seinem Buch: So war mein Leben – Erinnerungen an drei Vergangenheiten plus Extras.

Manches war machbar

Wolfgang K. war Ingenieur und wir seit ein paar Jahren gut befreundet. In der Vergangenheit hatte ich verschiedene Programme, für den Betrieb seiner Freundin, mit Erfolg in Szene gesetzt. In den Gesprächen zeigte er sich, von meiner Art ein Programm zu inszenieren, sehr angetan. Nun war er seit einiger Zeit Aufbauleiter Märkisches Ufer, ein repräsentativer Gebäudekomplex wurde in Berlin errichtet. Bereits am 15. Juni 1987 erteilte er mir schriftlich einen Auftrag zur „Eröffnungsveranstaltung“ am 14. Juni 1988. Ein normaler Vorgang und für mich der berufliche Arbeitsalltag.

Bei Großaufträgen musste ich eine schriftliche Konzeption verfassen, darin begründen, warum der Künstler X und die Sängerin Y speziell in diesem speziellen Programm auftreten soll. In diesem konkreten Fall war das etwas ganz Besonderes: „Der auf der Grundlage der Beschlüsse der Partei- und Staatsführung konzipierte und erbaute repräsentative Gebäudekomplex des FDGB-Bundesvorstandes wird seiner Bestimmung übergeben“. Eröffnet wurde der „Gesamtkomplex am Märkischen Ufer“, das Haus der Gewerkschaften und später im Volksmund als „Tisch-Kasten“ bezeichnet Haus.

Harry Tisch (1927 bis 1995) stand seit 1975 an der Spitze des FDGB – Freier Deutscher Gewerkschaftsbund der DDR. Im neuen Gebäude sollte sein Büro und solche für seine Mitarbeiter entstehen. Ein weiterer, aber integrierter, Komplex wurde als Kongresszentrum mit Hotel gebaut und hier sollten vor allem Gäste aus dem Ausland nächtigen. Zahlreiche Restaurants, Konferenzräume, Fitness Center und freizeitrelevante Bereiche waren integriert. Alles vom Feinsten und super modern.   

In Programmen dieser Art, diesem langen Vorlauf und dann noch ein Neubau, ändert sich manches im Laufe der Zeit. Geplant war eine Fernsehdokumentation, die im Vorfeld und auch zur Eröffnung „gedreht“ wurde. Dem sollte eine Eröffnungsfeier folgen, mit Künstler aus der DDR. Der Bau verlief planmäßig, Baufirmen kamen aus der ganzen DDR, nur beste Materialien kamen zum Einsatz und es wurde am Ende auch pünktlich eröffnet.

Auf dem Dach des Gebäudes strahlte seit dem Richtfest ein FDGB Emblem und machte somit auf dem „Eigentümer“ aufmerksam. Täglich fuhren die S-Bahnen vorbei, genau gegenüber liegt der Bahnhof Jannowitzbrücke und so mancher Fahrgast stellte die Frage: Was wird das? Das zentrale Haus des FDGB? Mit den Geldern unserer Beiträge?

Somit entstand plötzlich „ein politisches Problem“ und das wollte der FDGB keinesfalls. Das von mir konzipiert Eröffnungsprogramm wurde abgesagt und die bereits vertraglich verpflichteten Mitwirkenden erhielten ein Ausfallhonorar. Nun sollte ich nur noch ein „technisches Programm“ zur Demonstration der Leistungsfähigkeit aller eingesetzten Technik, gestalten. Das war mal etwas ganz Neues. Nach der „inoffiziellen“ Eröffnung im kleinen Kreis sollte eine kurze Besichtigung des Hauses erfolgen und dann im Festsaal ein „Technikprogramm“ von 30 Minuten starten. Am Ende war ein kleiner Imbiss vorgesehen.

Änderungen jeglicher Art waren mir seit Jahren bekannt, das war eben so. Es lohnt nicht, sich darüber zu Erregen. Auch in diesem Fall. Aber das Programm musste geprobt werden.

Geplant war folgender Ablauf: Die Gäste, etwa 50 bis 100 Personen, nehmen Platz. Ein Video über den Bau von drei Minuten Länge wird vorgeführt. Auf der Bühne ein Konzertflügel. Eine Pianistin spielt das Klavier Konzert B Moll von Peter Tschaikowski. Diese Melodie bildete immer die „Erkennung“ bei Solidaritätskonzerten „Dem Frieden die Freiheit“. Dazwischen sollte ein kurzer Text eingefügt werden, gesprochen von Lutz Hoff, TV-Moderator der populären Sendung: Schätzen Sie mal.

Dem sollte ein Schauspieler folgen, ein russischer Künstler, der sollte einen Text von Maxim Gorki von zwei Minuten Länge zitieren. Das Haus war mit modernster Simultanübersetzung ausgestattet. Fünf Dolmetscher, in unterschiedlichen Sprachen, konnten zum Einsatz kommen und per Kopfhörer konnte jeder die entsprechende Übersetzung in seiner Sprache im Saal hören, diese Simultantechnik wurde demonstriert.

Danach sollte per Band „Also sprach Zarathustra“ von Richard Wagner eingespielt werden und eine Demonstration aller Tontechnik des Hauses erfolgen. Gefolgt von einer Harfenistin auf der Bühne, ein Saxofonist läuft durch den Saal und als ruhiges Instrument ein Cello auf der Bühne. Lutz Hoff als Moderator sollte Überleitungen zu den künstlerischen Darbietungen conferieren, durch den Saal laufend, und besonders den technischen Aspekt hervorheben: Demonstration aller organisatorischen Varianten und Möglichkeiten in den Vordergrund stellen.

Es war kein Programm zur Unterhaltung, die zukünftigen Nutzer des Hauses sollten erfahren, was hier machbar oder inszeniert werden konnte. Im Endprinzip war es eine Art „technische Abnahme“ und die Bauleitung hätte eventuell auftretende Probleme abstellen können. Geplant waren im neuen Haus „Internationale Tagungen und Konferenzen“.

Unsere vorgesehene „Technik“ musste auf der Bühne und im Saal aufgebaut und in Form eines Soundchecks akustisch probiert werden, jeder Mitwirkende probte. Etwa eine Stunde. Während dieser Probe kam der „Beauftragte“ FDGB Genosse und forderte von mir: „Der Ansager fliegt raus“. Abgesehen von jeglichem Stil und Etikette, das regelt man anders. Meine Einwände fanden kein Gehör. Nun bat ich Lutz Hoff, der ja einen Vertrag hatte, im Restaurant zu warten.   

Harry Tisch und seine Begleiter betreten den Saal, nehmen Platz, ich erhielt von Wolfgang K. das vereinbarte Zeichen zum Beginn. Der Start erfolgte, nun ohne „Ansager“ und der im Ablauf vorgesehene „russisch sprechende Schauspieler“ will gerade beginnen, da erfolgte ein lauter Zwischenruf: „Halt! Wer ist Ueberscher?“

Klar und laut hallte dieser Ruf durch den Saal, dann war absolute Ruhe. Ich gab mich zu erkennen und zeigte mich. „Du bist also der Ueberscher, komm bitte Mal her“.

Das „Programm“ war unterbrochen, die agierenden Künstler und Mitstreiter blieben auf ihren Positionen und keiner im Saal sagte etwas, einfach nichts. Ich begab mich zu Harry Tisch, der reichte mir seine Hand und hatte meinen Ablaufplan in der anderen Hand. Leider nicht den Aktuellen und den ohne Lutz Hoff, nun stellte er mir die Frage: „Wo ist Lutz Hoff? Schätzen sie mal, sehe ich mir im Fernsehen gern an!“

Manchmal konnte man im Rahmen der künstlerischen Arbeit auf dem Gebiet der Unterhaltung schon in die Enge getrieben werden. Ein „Reinreden“ in den Ablauf eines Programmes kannte ich. Ob im Fernsehen oder auch auf der Bühne und immer waren die plakativen Worte des Genossen Siegfried Meißgeier, Komitee für Unterhaltungskunst: „Genossen, das müssen wir politisch sehen“, in meinen Ohren. Aber auch ein Künstler muss das aushalten. Neben Harry Tisch saß der „Beauftragte“ Genosse, der Schuldige. Was antwortet man? Nichts! 

„Genosse Tisch, das aktuelle Programm entspricht doch mehr Ihren Wünschen und Anforderungen. Sie bringen sich selbst ein und ich finde das gut. Somit können sie alle technischen Möglichkeiten noch besser beurteilen, alles Selbst in die Hand nehmen“, sagte ich.

„Gut, mach weiter“, seine Erwiderung. Noch mehrmals unterbrach Harry Tisch den Ablauf und beauftragte seine eigenen Mitarbeiter das Mikroport in die Hand zu nehmen und einen Text zu sprechen.

Nicht mit den Mächtigen anlegen, lautete meine Devise. Leider waren sehr oft die unteren Chargen viel schlimmer und gefährlicher. Nach dieser „Eröffnung“ wurden Häppchen gereicht und Harry Tisch machte seine Runde und sprach mit den Anwesenden. Nun rief er erneut: „Ueberscher, komm Mal her“.

Jetzt nahm er mich beiseite, an einem Stehtisch. „Mir hat das sehr gut gefallen. Nun ist mir bekannt, was unser neues Haus für technische Möglichkeiten bietet. Du machst doch auch andere, richtige, Programme. Im September möchte ich ein großes Unterhaltungsprogramm haben. Kannst du das für mich gestalten“.

„Genosse Tisch, dafür ist die KGD (Konzert und Gastspieldirektion) zuständig und verantwortlich“.

„Die KGD, das läuft nicht, die sind nicht gut. Du machst das besser“, per Handschlag wurde der Auftrag besiegelt.

Mein „neuer“ Partner war der „Beauftragte“ Genosse. Noch drei weitere Programme inszenierte ich für den FDGB. Harry Tisch war Mitglied im Politbüro der SED und gehörte somit zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der DDR. Er war auch er Einzige aus der hohen Führungsriege, mit dem ich je Kontakt hatte.

FDGB Märkisches Ufer

Ab Sommer 1987 bis zur Eröffnungsveranstaltung am 14. Juni 1988 fertigten wir Filmaufnahmen. Von den Bauarbeiten, bis zur Inneneinrichtung des Hauses, jegliche Technik war vom Feinsten und mit internationalen Standards versehen. Leider war unsere damalige Videotechnik nicht unbedingt spitze. Außer meinem Team: Zwei Kameramänner, war nur eine Fotografin eingesetzt und diese fertigte Fotos fürs FDGB Archiv. Die Eröffnung des Hauses am 14. Juni 1988 erfolgte im „kleinen Kreis“ mit etwa 80 Personen. Zahlreiche fleißige Mitarbeiter der hauseigenen Gastronomie verwöhnten mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten. Drei Tage später veröffentlichten die Medien eine kleine „offizielle“ Meldung: „FDGB mit neuem Gebäude“.

Manches war machbar – Auch die „heimliche“ Eröffnung der neuen Zentrale: FDGB Märkisches Ufer – ein super modernes Kongresszentrum.

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