Berlin

„Bitte „Striptease“ im Programm“, lautete oft ein "frommer" Wunsch

Sündhafte Lust auf Freude: In Fragen Moral war die DDR in den Jahren bis etwa 1988 ein besonders konservatives Land. In der allgemeinen Öffentlichkeit sprach man nicht über „bestimmte Dinge“; diese sollten nur rein privat im Schlafzimmer erfolgen und möglichst noch stark abgedunkelt. Natürlich gab es diverse "private Partys“ und immer auch Menschen mit Geld in der Tasche. So manches junge Mädchen „zog“ sich aus und „legte“ sich hin.

Besonders zur Leipziger Messe sah "man(n)" sehr hübsche attraktive junge Damen, die waren alle sehr freundlich und entgegenkommend, gegenüber Männern, egal wie alt diese auch waren. Die Damen bereiteten dann bestimmt Freude, erfüllten diverse Wünsche, verlangten allerdings auch Geld für ihr Entgegenkommen. Alle infrage kommenden Interessenten wussten natürlich, wo diese Szene örtlich beheimatet ist. Dies alles war bekannt und geduldet, in der "guten" DDR, und alles "ging seinen sozialistischen Gang!".

Historie & Memoires sind nachgefragte Themen – Erinnern Sie sich noch?

In den Feedback Mails an die ReiseTravel Redaktion lautet oft die Frage:

Wie war das damals, wer machte wann was?

ReiseTravel bat den Autor und Regisseur Gerald H. Ueberscher um Informationen:

Striptease auf den Bühnen in der DDR, war das möglich?

In meinen zahlreichen Programmen versuchte ich die Wünsche der Auftraggeber zu Erfüllen und natürlich die der Besucher. Manches war machbar, anderes etwas komplizierter: Die „Kunst“ der erotischen Entkleidung in der Öffentlichkeit war schlicht und einfach verboten. Ein entsprechendes Gesetz war mir nicht bekannt, es war aber einfach verboten. Striptease Auftritte erfolgten nicht. Verbotenes lockt und jegliche Versuchung ist groß. Im Alltag stellte ich permanent fest: Bedarf ist vorhanden!

Dessous Mode 1988

Nachtbar Harzgerode mit einer Mode Show der besonderen Art!

Sie hatten eine Idee?

Ja, diese war allerdings sehr langfristig angelegt. Immer einen Blick in die Zukunft werfen, was könnte kommen und was künstlerisch machbar werden. Ideen sollte man immer haben: Man kann ja nie wissen!

Nach dem Programm „Chemiearbeiterball“ in Schwedt 1972 erhielt ich ein besonderes Lob vom Generaldirektor Dr. Werner Frohn. Eine terminliche Verabredung erfolgte für den nächsten Tag und ich erhielt Folgeaufträge.

Frohn war ein aufgeschlossener Mensch. Als Mitglied im ZK der SED unternahm er auch Reisen in das westliche Ausland, aktuell stand eine Reise nach Frankreich an. Frohn hatte Humor und fragte: „Was soll ich mitbringen“.

Das war natürlich ironisch gemeint. „Bitte bringen Sie mir die Schallplatte „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit“. Nun schaute er mich an und sagte: Ja! Zum Gespräch in seinem Büro hatten wir keinerlei Zeugen. Vier Wochen später fuhr ich erneut nach Schwedt und Dr. Werner Frohn übergab mir eine Schallplatte mit dem Titel „Il Etait une Fois Dans Lóuest“. Dabei betonter er: „Wenn Sie wüssten, wie schwer dass alles war“, damit meinte er keinesfalls die Zollkontrollen.

Das Problem war einfach und kompliziert zugleich. Auch ich war in der DDR „eingemauert“, wir konnten uns nur in den elektronischen „Westmedien“ informieren: Sergio Leone drehte 1968 den Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit der Musik von Ennio Morricone. Die Melodie verzaubert die Menschen und der Film wurde preisgekrönt.

Der Inhalt ist simpel, doch die Musik fasziniert: Drei bedrohlich wirkende Männer in langen Staubmänteln betreten einen einsamen Bahnhof mitten in der amerikanischen Wüste. Ein Zug fährt ein. Als der Zug abfährt, hören die Männer plötzlich eine rätselhafte Melodie. Der „Mundharmonikaspieler“ in Person von Charles Bronson ist im Bild zu Sehen und musikalisch zu Hören: C’era una volta il West oder das Lied vom Tod. Markant, prägnant, einfühlsam und unter die Haut gehend.

Dr. Werner Frohn war ein dynamischer Mensch und sehr aufgeschlossen, er sprach aber nicht französisch. Nun hatte ich den Titel „Spiel mir das Lied vom Tod“ genannt, das war aber ein Deutscher Untertitel. Im Original „Once Upon a Time in the West“ und in Paris unter dem Label “C’era una volta il West“ lag die Platte im Regal. Deshalb musste Frohn im Pariser Platten-Shop nun richtig aktiv werden.

Der Film war ein Welterfolg, wurde in der DDR leider nicht aufgeführt. Erst während eines Aufenthaltes in Budapest konnte ich diesen Film 1983 in einem kleinen Kino sehen. So manches verstand ich allerdings nicht: Der Film war in Spanisch synchronisiert und hatte Untertitel in Ungarisch.

Nachtbar D.- Dieser „Vorspann“ war der tägliche Start um 23.00 Uhr:

775 Jahre Dessau mit Nachtbar, Miss Dessau, Erotik und Heiratsmarkt!

Nachtbar D. zählte zu den Extras "775 Jahre Dessau" und dieser „Vorspann“ leitete die mitternächtliche Show ein. Täglich wurde von „TV-Dessau“ Rückschau auf den jeweiligen Tag, unter dem Motto „Dessauer Notizen“, gehalten und täglich zwischen 23.00 bis früh um 2.00 Uhr wurde die „Nachtbar D.“ in Szene gesetzt. Idee Redaktion Regie Gerald H. Ueberscher.

Eine Schallplatte ist doch nicht erotisch?

Als Redakteur und Regisseur arbeitet man kreativ, mit allen seinen Mitarbeitern und Mitstreitern. Kurt Hoy war Tontechniker und hatte ein privates Unternehmen: Er fertigte einen Umschnitt auf Tonband, zwecks Abspielen auf der Bühne. Der Film und somit alle Musiktitel hatten keine AWA Aufführungsrechte, heute GEMA. Deshalb lies ich den Titel immer nur Anspielen, aber relativ selten und das nur zu verschiedenen Gelegenheiten.

Karl-Heinz Tetzner arbeitete als freier Dramaturg und wir hatten bereits mehrfach kooperiert. Tetzner war um die 60 Jahre und er kannte so manche junge Dame: „An der Komischen Oper agiert ein Mädchen und die zieht sich auf der Bühne aus“.

Ich traf mich mit der Dame, wir besprachen das Thema und wurden uns schnell einig. Obwohl noch sehr jung, verfügte sie bereits über große Erfahrungen. Ein „nur Ausziehen“ auf der Bühne geht nicht. Eine Idee war gefragt.

Der Sänger Jörg Martin kam aus Siebenbürgen und hatte eine tiefe sonore Stimme. Nun inszenierte ich eine „Erotische Darbietung“ für die Bühne von 2.30 Minuten Länge. Im Rahmen einer Betriebsveranstaltung, die sehr rustikal gestaltet war, baute ich erstmals diese „künstlerisch wertvolle“ Darbietung in das laufende Programm ein. Der Produzent war einverstanden, zahlte auch das Honorar. So starteten wir Ende 1976 den ersten „offiziellen Striptease der DDR" im „Saalbau Friedrichshain“, in Berlin.

Dancing Queen

Einmal Star sein: Ihr Auftritt!

In Form einer Karaoke Show konnte jeder Interessent, in einen Nebenraum Tanzen, dann folgte ein gemeinsames "Ansehen" und nach dem OK des"!Darstellers" wurde das Video im laufenden Programm auf einer Großleinwand übertragen. Dazu konnten alle tanzen, viele sahen sich allerdings sehr intensiv das Video an. Leider hatten wir fast nie Männer!

Das Publikum war begeistert oder?

Gleich vorweg: Es war ein Erfolg! Die Dieter-Janik-Band spielte und der Moderator Lutz Hoff sagte im Verlaufe des Programms die nächste Darbietung an: „Der Sänger Jörg Martin liest Ihnen eine Geschichte der Brüder Grimm vor: Die Sterntaler!“ 

Neben der Tanzfläche waren Sitzreihen und an einem Tisch neben einer Säule saß ein älterer Herr, diesen hatte ich mir optisch ausgesucht, der sah „gemütlich“ aus. Lutz Hoff begab sich zum Tisch und moderierte: „Sie kennen doch sicherlich die Geschichte. Nein. Dann sage ich die kurz auf. Doch nein, nicht ich. Bitte begrüßen sie Jörg Martin“.
Den Sänger Jörg Martin hatte ich in einem Sessel platziert, wir schalteten das Licht aus und nur ein „Spot“, ein Scheinwerfer, war auf Jörg Martin gerichtet.

Mit Musikbeginn, der unter die Haut gehenden "Todes Melodie", begann er seinen Text vorzutragen: Ein armes Waisenkind, das außer einem Stück Brot nichts besitzt, geht in die Welt hinaus. Unterwegs verschenkt es sein Brot, dann seine Mütze, sein Leibchen, sein Röckchen und schließlich auch sein Hemdchen an andere Bedürftige. Da fallen die Sterne als Silbertaler von Neues, feines Leinenhemdchen an, in das es sie aufsammelt.

Bereits die ersten Musiktakte begeisterten. Direkt hinter diesen „älteren Herrn“ startete nun der Auftritt meiner „Tänzerin“ von der Komischen Oper.

Während der redaktionellen Absprache, die keine Probe darstellte, fragt diese "Künstlerin", „soll ich mich ganz ausziehen“. Natürlich sagte ich ja. Allerdings wollte ich das nicht bis zum Ende, der Nacktheit - machen. Meine Absicht war, einfach den „Spot“ wegdrehen, deshalb stand ich persönlich hinter dem Scheinwerfer. Die Darbietung lief absolut gut.

Eine hübsche junge Frau in dieser Form sieht man auch nicht alle Tage. Alle Zuschauer hatten ihre Blicke gebannt auf die „Künstlerin“ gerichtet, ich nicht.

Ich beobachtete nur das Verhalten und die Reaktionen der anwesenden Gäste, besonders den von mir ausgewählten älteren Herrn an der Säule. Der war mehr als begeistert, stand auf und applaudierte, dem schlossen sich alle Zuschauer an. Erst im allerletzten Moment hatte ich die Lampe „etwas“ weggedreht.

Ein Erfolg?

Natürlich. Solcher „Auftritt“ sprach sich schnell herum. Es blieb abzuwarten, was die „Offiziellen“ sagen werden. War es doch der erste „Striptease“ auf einer Bühne in der DDR. Vorerst geschah nichts. Am Jahresende gestaltete ich in drei Sälen im „Café Moskau“ in Berlin die Silvesterprogramme, hier bauten wir diese Darbietung nochmals ein. Diese „künstlerische Darbietung“ war natürlich mit Kosten verbunden, auch wenn es nur Jörg Martin und die Tänzerin war, auch lagen keine Rechte zur Aufführung auf der Bühne vor.

Der Sekretär für Kultur, SED Kreisleitung Berlin Mitte, lud mich zum Gespräch in sein Büro: "Ihre Programme sind immer gut und kommen an. Bitte keinen Striptease, keinesfalls, Das möchten wir nicht, das ist westliche Unkultur". Deshalb forcierte ich nicht. Ich wollte ja nicht in Ungnade fallen! 

Gab es "Nachwuchs" oder?

In jeder Branche gibt es jederzeit Nachwuchs. Neue Talente wachsen heran. Jeder Mensch kann, wenn er denn möchte, einen künstlerischen Weg einschlagen. Nur Mut, gehört dazu. In meinen folgenden Programmen traten das „Duo Flash“ aus Cottbus auf, ebenso das „Duo Pepp“ das waren zwei Girlies aus Karl-Marx-Stadt. Beide Darbietungen nannten sich „Erotischer Tanz“, waren nur leicht bekleidet und auch das kam an, sie verfügten auch über eine staatliche Zulassung.

Mitte 1985 gestaltete ich ein Tourneeprogramm für die KGD Halle. Integriert hatte ich das Gesangsduo „Ute & Jean“ mit ihren Hits und Bernd Walter, ein Humorist der Spitzenklasse. Zur optischen Bereicherung hatte ich eine Modenschau eingebaut. Dies waren sechs attraktive Mannequins aus Cottbus. Während der Proben lernte ich die Fähigkeiten und die Bewegungen der einzelnen Mannequins kennen. So manche wollte auch „groß“ rauskommen, zumindest hatte ich diesen Eindruck.

Conny Lehmann war im beruflichen Leben Krankenschwester und verkörperte im Programm auf der Bühne das „Spitzen-Model“.

Sie war nicht nur süß anzusehen, sie verfügte über sehr grazile Varianten einer ästhetischen Bewegung. Wir führten ein Gespräch, sie hörte auf mich und nun war sie eine „Solistin“ auf der Bühne. In Programmen, im Saal und kleineren Bühnen, setzte ich sie in allen folgenden Programmen oft ein.

Der Moderator sagte an. "Erleben sie eine attraktive Dame auf der Bühne: Aber Achtung, meine Herren, zuerst kommt sie in ihre Reihe. Hier ist „Miss C.“ und schauen sie genau hin!"

Miss C. - Erotik Made 1988

Miss C. begab von der Bühne in den Saal, suchte sich einen Mann aus – dieser sollte möglichst nicht mit einer Frau in seiner Begleitung anwesend sein. Dieses „Opfer“ nahm sie an die Hand. Begab sich auf die Bühne und setzte diesen auf einen vorbereiteten Stuhl. Im dezenten Licht gehalten sollte dieser der folgenden Darbietung optisch folgen.

Während des Tanzes entblätterte sich Miss C. und überreichte alle ausgezogene „Utensilien“ den auf dem Stuhl sitzenden Mann zur kurzzeitigen "Aufbewahrung". Als der „BH“ an der Reihe war, setzte sich Miss C. auf den Schoß und flüsterte leise: „Bitte meinen BH aufknöpfen“.

Manchmal klappte das, oft war der „Auserwählte“ mächtig nervös. Miss C. hatte alles im Griff. Mit freiem „Oberkörper“ entließ sie den Mann. Das Gaudi war groß und alle begeistert. „Miss C.“ aus Cottbus hatte Erfolge und tourte auf den Bühnen durch das Land. 

Kulturpolitik und Erotik auf der Unterhaltungsbühne?

Striptease und dann noch auf der Bühne war der Inbegriff für „unmoralisch“, galt als „Dekadenz des maroden Kapitalismus mit seiner Ausbeutung der Frauen“. In der DDR waren Frauen unsere Heldinnen und dies nicht nur am 7. März, den „Internationalen Frauentag“.

Meine „Programme zum Frauentag“ waren beliebt und kamen immer gut an. Die Auftraggeber, darunter viele gestandene Frauen, äußerten oft ihre Wünsche zu den Mitwirkenden. Natürlich verlangten diese Frauen einen "richtigen Mann auf der Bühne". Viele standen positiv gegenüber einer „Miss-Wahl“ und hätten sich das gern auch in ihrem Betrieb gewünscht. Misswahlen waren ein tabu Thema.

Doch auch hier galt: Zum richtigen Zeitpunkt das Richtige. Erstmals erfolgte eine offizielle Miss-Wahl 1988 in Dessau. Im Rahmen der Gesamtprogramme "775 Jahre Dessau" hatte ich eine Wahl zur „Miss Dessau“ vorgeschlagen, das war 1986, und das wurde auch akzeptiert. Diese gewählte "Miss Dessau" trat in fast allen Programmen, gemeinsam mit der neu geschaffenen Symbolfigur "Alter Dessauer" auf und begeisterte, selbst beim "Fußballspiel der Prominenten". Die moralischen Fronten hatten sich, nicht nur in Dessau" etwas entspannt.

Wie so oft im Leben, wenn es Vorreiter gibt, folgen die Nachahmer. „Wenn Ueberscher das macht, kann auch ich das Tun“. Ab Herbst 1988 setzten in einigen Orten der DDR "Misswahlen" ein, die oft nur pure Erotik beinhalteten. Leider, aber so war das eben, im Land des Sozialismus. 

Vielen Dank für das Gespräch und die Informationen!

"1. Miss Wahl in der DDR 1988 - Miss Dessau - wurde gekürt

 1. Miss Wahl in der DDR 1988: Miss Dessau ReiseTravel.eu

Rund 10 Aufgaben galt es zu Erfüllen, darunter gekonntes Eingießen von Sekt. Lutz Hoff – TV Sendung: Schätzen Sie mal – moderierte.

Miss Dessau 1988 - 11 junge Damen schafften es bis zum Finale:

Miss Dessau 1988 ReiseTravel.eu

Lutz Hoff präsentierte die: "1. Miss Wahl in der DDR" im Mai 1988 in Dessau.

Sehr geehrte ReiseTravel User, wir wünschen Ihnen beim Lesen viel Freude. Natürlich verbunden mit der Bitte: Historie & Memoires – Erinnern Sie sich? Wenn ja, so hoffen wir, schreiben Sie uns: Ihre eigenen Erinnerungen. Gern werden wir diese veröffentlichen. Vielen Dank.

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