Dresden

In Sachsens märchenhafte Schlösser Hartenfels und Moritzburg werden „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und „Dornröschen“ wie in einer Traumwelt nachempfunden und zugleich die Geschlechterrollen neu interpretiert

Ein Besuch zu den einstigen Filmkulissen lohnt sich: „Ruckidigu. Blut ist im Schuh. Der Schuh ist zu klein. Die rechte Braut ist noch daheim.“ Kaum ein Mädchen, kaum eine Frau steigt die sagenumwobenen Stufen der königlichen Steintreppe von Schloss Moritzburg hinauf, ohne in den Schuh zu schlüpfen. Blitzschnell sind die Snickers abgestreift, doch der Fuß passt garantiert nicht in die schmale Öffnung. Er ist aus Bronze geformt und an eine Metallplatte verschraubt. Der legendäre Schuh erinnert an die Schlüsselszene der 1973 hier gedrehten tschechisch-deutschen Filmproduktion „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, als das Mädchen bei der Flucht vom Ball des Prinzen ihren Schuh verlor. „Da werde ich doch gern wieder zum Kind, schwärmt Galina aus Kasachstan, die mit ihrer ganzen Familie aus Süddeutschland angereist ist. Drei Frauen in den 60ern laufen auf das Schloss zu und hören auf ihrem Handy den Soundtrack des Märchens von Karel Svoboda. Sie kommen aus Brandenburg, zelebrieren hier ihren Mädelstag und pressen auch ihren Fuß in das blinkende Metall. „Leider“, bedauern sie und lachen verschmitzt. „Wir sind da auch raus, schließlich haben wir unsere Prinzen zuhause.“

Moritzburg bei Dresden

Vom Jagd- zum Märchenschloss

Nur knapp 15 Kilometer von Dresden entfernt, liegt die märchenhafte Moritzburg, malerisch umgeben von Glanz schimmernden Teichen und anmutigen Parkanlagen. Das im 16. Jahrhundert erbaute Schloss lässt August der Starke, König in Polen und Kurfürst von Sachsen, zu einem repräsentativen, barocken Jagdschloss umbauen. Prachtvolle Möbel, lederne und mit Seide bestickte Goldtapeten, Gemälde, Jagdtrophäen und Meissner Porzellane in Festsälen und Gemächern zeugen davon. Im Winter des Jahres 1973 wird es der perfekte Drehort für den wohl schönsten Märchenfilm aller Zeiten.

„Wenn die Besucher in die Ausstellung kommen, wollen sie sich in ihre Traumwelt fallen lassen. Sie wissen, es ist eine filmische Illusion, es wird viel gefaked, aber die Gefühle sind echt. Wir versuchen, die Filmatmosphäre nachzustellen, Dekorationsbauten, Requisiten, die Garderobe. Wir berichten von den Drehtagen, auch von Pleiten und Pannen“, erzählt die Kuratorin Margitta Hensel. So fiel damals trotz Temperaturen unter Null in und um Moritzburg keine einzige Schneeflocke für die Filmaufnahmen. Da half nur Kunstschnee aus Fischmehl und und der stank furchtbar. Der Schlossteich war zugefroren, ein schwarzer Fleck. Schlittschuhfahrer sorgten dafür, dass er für die Totalen weiß erstrahlte.

Die Kuratorin freut sich über den andauernden enormen Besucheransturm aus ganz Deutschland und anderen Ländern, besonders vor Weihnachten. Erwachsene, Kinder, Großeltern und Familien würden in der kalten Jahreszeit in langen Schlangen vor der Tür stehen, sodass die Schlossherrschaften schon ein Zeitticket ausgeben müssen. Jährlich seien es Millionen Gäste. In diesem Jahr jährte sich der Dreh zum Märchenfilm zum fünfzigsten Mal.

Wurden früher Eisenbahnen, Puppen und Teddys ausgestellt, kann sich Schloss Moritzburg, bereits seit 2009 mit einer Aschenbrödel Ausstellung sehen lassen. Beliebt seien auch wechselnde Sonderthemen und Fragestellungen an die Märchenenthusiasten.

Wer bin ich? Welche Rollen im Film entsprechen mir eigentlich. So könnten die Besucherinnen und Besucher reflektieren, wen von den vielen interessanten Charakteren sie sich am meisten zugehörig fühlen.

Selbstbewusst und witzig

Aschenbrödel, die Hauptperson, ist selbstbewusst und emanzipiert. Sie will gesehen und erkannt werden und stellt dem Prinzen nicht umsonst drei Rätsel auf, bevor sie sich auf ihn einlässt. »Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht“, heißt es im Märchen. „Nur wenn der Prinz sie auch als ganzheitliche Person sieht und erkennt, erst dann bekommt er sie. Und nicht einfach so, die kauf ich mir jetzt mal, ich bin schließlich der Prinz. Nein. Hier ist eine grundsätzliche Beziehungskonstellation sehr liebevoll und lustig dargestellt“, meint die Kuratorin Margitta Hensel.

„Ich denke, jeder trägt ein wenig Aschenbrödel in sich selbst. Das zeigt sich vor allem im Arbeitsleben.“ Sie lacht. „Man ist ja nicht die Chefin, sondern Untergebene. Und die Arbeit, die gemacht werden muss, gilt es nun mal abzuleisten, im Beruf wie auch in der Familie. Und natürlich wird man manchmal auch nicht gesehen, nicht gewürdigt. Solche Situationen sind sicher jedem schon passiert, auch mir.“

Die Schönheit des Märchens

„Aschenbrödel, dieses unheimlich hübsche Mädchen trägt eine tiefe Seele, eine Liebe in sich, nicht nur für die Tiere, sondern auch für ihre Mitmenschen. Und das spürt man, das geht sehr zu Herzen.“

Berührt werde aber auch das Thema der Stiefeltern, die Beziehung zu einem Elternteil, der vielleicht nicht sein richtiger ist. Konflikte, wie sie heute häufig noch in Patchwork Familien vorkommen. Niemand ist geschult darin, wie wir damit umgehen. „Das kann nur in Form der Liebe geschehen. Ob Elternliebe, Kinderliebe, Partnerliebe - Anerkennung ist unser Kernthema. Es geht mir am meisten zu Herzen, wenn ich sehe, wie die Schönheit des Märchens auf die Gäste strahlt. Wenn ich in ihre leuchtenden Augen sehe, macht mich das total glücklich. Daraus schöpfe ich auch meine Kraft.“

Zu guter Letzt können die Besucherinnen und Besucher ihre Herzenswünsche auf einen Zettel schreiben und mit einem Ritual gelangen sie dann ins Universum. Gesundheit und Liebe stünden im Vordergrund und bei den Kindern ist oft auch ein Pferd dabei.

Hartenfels Torgau

Zwei Schlösser. Zwei Märchen.

„Dornröschen war ein schönes Kind“, heißt es in Grimms Märchen. Gleich am Eingang der Ausstellungsräume von Schloss Hartenfels in Torgau steht das schöne Kind, eine lebensgroße Puppe mit schwarzem Haar und ziemlich strengem Blick. Sie lädt ein in die Ausstellung „Das Märchenschloss im Blütentraum“. Der Große Wendelstein von Schloss Hartenfels diente 1971 als Kulisse für den DEFA-Film „Dornröschen“ in der Regie von Walter Beck nach der Überlieferung des Märchens durch die Gebrüder Grimm. Die freitragende spiralförmige Wendeltreppe, die ganz ohne tragende Mittelsäule auskommt, gilt als Meisterwerk deutscher Renaissancearchitektur.

Zwei weitere von der DEFA produzierte Dornröschen Stoffe sind in der Ausstellung zu sehen: Zeichentrick Animationen, deren Original Puppen die Schlüsselszenen nachstellen. Beispielsweise das Fest mit den 12 Feen oder die Verwandlung der bösen Fee. Ausgehend von dem Dornröschen Klassiker werden in einem interaktiven Bilderbuch die Grundmotive und kulturgeschichtlichen Hintergründe des Märchens von der „Schlafenden Schönen“ vorgestellt, wie sie in verschiedenen Ländern Europas gesammelt und erzählt worden sind. Was ist die historische Bedeutung des Flachses, was hat es mit dem Spinnen auf sich, was ist eine Spindel, was kann man alles spinnen? Was hat es mit den Disteln auf sich, was ist die Faszination der Rosenblüte oder wie sind die Kostüme zur damaligen Zeit zu bewerten? Highlight der Ausstellung ist eine Fotostation. Hier können sich alle, ob Kinder oder Erwachsene in die Rolle der Märchenfiguren hineinversetzen.

Einmal Prinzessin sein

Auf einer Garderobenstange hängen zahlreiche Königskleider aus Brokat, Samt und Seide. Umhänge, Kopfschmuck aus Federn, goldfarbene Kronen. Die achtjährige Lina lässt sich den Reißverschluss am Rücken zuziehen, streift sich weiße Samthandschuhe bis zu den Ellenbogen hoch, rutscht in die Absatzschuhe und setzt sich einen Hut mit langen Federn auf. Betrachtet sich im Spiegel, nimmt den Hut ab und ersetzt ihn durch eine goldene Krone. Dann setzt sie sich anmutig und stolz auf das königliche, rote Samtsofa und strahlt. Schließlich befindet sie sich in einem fürstlichen Residenzschloss.

Die Torgauer Dornröschen Ausstellung beleuchtet rundum das Märchen ausgewählte literarische Varianten und filmische Adaptionen des 20. und 21. Jahrhunderts. Eine Vielzahl von Interpretationsebenen, die unter anderem auch die gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechterrollen in den Blick nehmen. Wird Aschenbrödel in ihrer Partnerwahl Klarheit und Autonomie nachgesagt, kommt Dornröschen in der Gender Frage nicht gut bei weg. Hinter Dornröschen verberge sich eine Metaebene, die auf den ersten Blick einem gar nicht ins Auge springt, sagt Stefanie Molnar, die Torgauer Museumspädagogin.

Vorbei die Romantik im Märchen?

„Es ist die Erzählung eines jungen Mädchens, das sich nicht an gesellschaftliche Konventionen hält. Mit 15 Jahren, einem Alter, in dem früher Mädchen schon verlobt wurden, geht sie allein, ohne ihre Zofe auf Abenteuersuche, spaziert im ganzen Schloss herum, steigt einen alten Turm hinauf, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat. Sie wird daraufhin von der Spindel gestochen, verliert ihre körperliche Unversehrtheit. Ein Blutstropfen tritt hervor, was auch als Entjungferung interpretiert werden könnte“, glaubt Stefanie Molnar. „Daraufhin wird sie aus der Gesellschaft entnommen. Im Märchen durch den hundertjährigen Schlaf. Durch ihre Eltern, die sie hinter einer Dornenhecke verbergen, bis Gras über die Angelegenheit wachsen würde und sich nach den vielen Jahren keiner mehr daran erinnern könne, was eigentlich passiert ist.“

Die symbolische Dornenhecke schirmt das Dornröschen ab vor der Gesellschaft. Sie lässt niemanden durch. Die Prinzen, die zu ihr durchdringen wollen, bleiben jämmerlich an den Dornen hängen, finden den Tod. „Erst nach hundert Jahren kommt einer, dem öffnet sie sich. Aber der tut gar nichts dafür. Er ist einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er zieht nicht einmal sein Schwert. Tritt auf die Dornenhecke zu, sie öffnet sich. Der Prinz, der die Hintergrundgeschichte nicht kennt, küsst die Prinzessin im Schlaf und sie erwacht.“ Stefanie Molnar ist empört. „Er bittet Dornröschen nicht um Erlaubnis. Sie selbst hat gar kein Mitspracherecht. Sie hat ihn vorher noch nicht einmal gesehen. Heutzutage ist das ein sexueller Übergriff, undenkbar, dass dies heute geschehen dürfte.“ Allerdings gibt die Feministin zu bedenken: „Für die damals gesellschaftlich geächtete junge Frau war es jedoch die einzige Chance, einen jungen Mann zu finden, der sie trotzdem mit auf sein Schloß nimmt. Alle freuen sich nun, dass die Geschichte noch ein gutes Ende genommen hat.“

Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich

Christel Sperlich Fernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen.

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