Erfurt

Erfahrbare Schönheiten „Ja, so warn`s…“ Burgenland Thüringen

Im Rückspiegel der Geschichte: Das Schöne liegt oft so nah. Manchmal hoch oben, weit sichtbar unter blauem Himmel. Wie in Thüringen.

In dem 16.000 Quadratkilometer kleinen Freistaat stehen auf engem Raum so viele Burgen, Schlösser und Ruinen wie nirgendwo anders in Europa. Ältere Zeitgenossen im Westen der Republik erinnern sich an wöchentlich erscheinende Groschenheftchen wie „Sigurd, der ritterliche Held“ oder „Falk, Ritter ohne Furcht und Tadel“. Von Pädagogen in den 1960er Jahren als „Schund“ mit spitzen Fingern auf den Index gesetzt, ließen die bunten Comics Kinder und Jugendliche von Abenteuern hoch zu Ross, von Prinzen und Prinzessinnen, kühnen Rittern und geheimnisvollen Burgen träumen.

Zur selben Zeit sind in der DDR die Kobolde Dig, Dag und Digedag in Jugendzimmern unterwegs. Mit Ritter Runkel entführen die Digedags ihre Leserschar auf Burgen und in ferne Fantasiewelten.

Die Wirklichkeit sah meistens anders aus. Zugbrücken zu damals nur wenigen zugänglichen Festungen waren hochgeklappt. Und so wie Westernfans Kindheitserinnerungen an Cowboys und Indianer in Texas oder Tucson/Arizona nachspüren, steigen Zeitreisende aller Altersgruppen in Thüringen hinauf ins Mittelalter auf die Suche nach Geschichten, Mythen, Legenden – und nach Wahrheiten jenseits vertrauter Klischees. Von „steinernen Geschichtsbüchern“ spricht Theresa Wolff. Mit einer Kampagne hatten Landestouristiker erst kürzlich Initiativen ergänzt, ihre Schätze plakativ in Szene zu setzen. 100 von 400 Gemäuern seien bislang touristisch erschlossen, sagt Theresa. Dann winkt sie ihre Gäste in den Kleinbus.

Heldburg

Auf der Heldburg befindet sich seit 2016 das erste und einzige umfassende Burgenmuseum im deutschsprachigen Raum

Im südlichen Zipfel von Thüringen windet sich die Straße in Kehren hinauf zur Veste Heldburg. Auf einem spitzen Vulkanfelsen thront in prächtigen Renaissanceformen 400 Meter über sattgrünen Wipfeln die einstige Wehranlage aus dem 12. Jahrhundert. Ist deren Festungscharakter auch noch erkennbar, als Deutsches Burgenmuseum hat sich der Zweck der einstigen Bastion jedoch gewandelt.

Wer baute wo, wie und warum eine Burg? Warum wurden manche wieder aufgebaut, andere nicht? Woher kommen Redewendungen „etwas im Schilde führen““ oder „Ross und Reiter nennen“? Und waren Burgen wirklich kalt und hatten alle Folterkammern?

Die vom Mittelalter bis ins 20 Jahrhundert nahezu durchgehend genutzte mandelförmige Anlage ist heute quasi der historische Rückspiegel für Burgen insbesondere in Deutschland und Österreich: Wer ein Burgen-Hopping plant, bekommt in dem Museum an Multimedia-Stationen, mit Modellen oder vor Utensilien aus der Ritterzeit hieb und stichfest geschichtliches Rüstzeug mit für eine spannende Reise ins Anno Dazumal.

Nach den Appetithappen auf mehr Mittelalter geht es mit neu gewonnenem Ritterwissen im Nordwesten Thüringens genussvoll weiter. In der Burg Scharfenstein erwartet Reisende zwar kein Zechgelage an klobigen Holztischen, jedoch Hochprozentiges in feinstem Ambiente.

Bernd Ehbrecht

Auf Burg Scharfenstein macht Whiskyexperte Bernd Ehbrecht gerne ein Fass auf

Bernd Ehbrecht ist ein Mann mit vielen B´s. Bauer, Banker, Brauer, Brenner, Burgherr. Nach einer Schottlandreise sagte sich der 68-Jährige, um Träume zu verwirklichen, muss man aus ihnen erwachen. Mit viel Hingabe widmet er sich seiner „Nine Springs Whiskywelt“ auf der Höhenburg.

Whisky-Kenner kennen diesen „Brenn“punkt, lieben den markanten Duft der mindestens drei Jahre in Holzfässern gelagerten edlen Spirituosen. Bei der Verkostung im historisch-schicken Gewölbekeller lässt sich der Hausherr nicht lumpen, schenkt Gästen wacker ein, welche die Kostproben seiner hauseigenen Erzeugnisse auf der Zunge zergehen lassen. „Whiskytrinken will gelernt sein“, mahnt er. Am besten aus einem Snifter oder Nosing Glas - tulpenförmig müsse es sein. Und ja, Hände weg von „on the rocks“. Ein Single Malt Whisky mit Eis sei ohnehin eine Todsünde. Apropos Sünde: Dass er auf Scharfenstein seine kleine Whiskywelt einrichten durfte, habe er auch einem einst geplanten Papstbesuch zu verdanken. Benedikt XVI habe dann doch nicht die Burg betreten. Mit Gottes Hilfe sei das Vorhaben aber Anlass gewesen, die von der Treuhand vernachlässigte Immobilie wieder aufzupeppen und zu verpachten.

Einige Burgherren und -fräuleins, möchten sich lieber nicht der Gefahr aussetzen später wie Jonny Walker zu riechen, und ziehen in der hauseigenen Kaffeerösterei das munter machende Gebräu hochprozentigen Tropfen vor. Wäre ja auch schade, ein anschließend fürstliches Nachtquartier im Boutiquehotel der Burg nur im Rausch zu erleben.

Eingebettet in eine reizvolle Landschaft haben auch Ruinen ihren Charme. Eine knappe Autostunde entfernt küssten Rittersleute´ die Ruine Hanstein wach.

Hanstein

Zwei Türme der gewaltigen Burgruine Hanstein wurden wieder aufgebaut

Einer der Märchenprinzen ist ein ehemaliger Lehrer, heißt Jürgen Beckmann und zeigt Besuchern als „Ritter Clemens von der Wiese“ die Überreste der gotischen Anlage. „Ab 1945 war das Areal Sperrgebiet und DDR-Beobachtungsposten“, zeigt er auf den jetzt mit Grün überwucherten ehemaligen 500 Meter langen kahlen Todeskorridor.

Als Clemens der 1998 gegründeten Eichsfelder Ritterschaft beitrat, um mittelalterliche Gebräuche zu erhalten und Kulturwerke wieder zugänglich zu machen, dümpelten die Zeitzeugen aus Stein in Schutt und Geröll vor sich hin. Inzwischen gibt es ein kleines Museum und einen Rittersaal. Der aufgeräumte weitläufige Park ist Kulisse für Kino, Konzerte und Mittelalterfeste.

Wo einst Theodor Storm, Heinrich Heine und die Gebrüder Grimm geschrieben und gebechert haben, bewegte sich später im gleichnamigen Film auch „Der Medicus“. „Alles was London ist, ist hier“, berichtet Ritter Clemens stolz.

Weil auf großen Ausflügen gerne auch mal der kleine Hunger kommt, verspricht Tourbegleiterin Theresa - na klar - eine Thüringer Rostbratwurst. Nach Originalrezept. Und mit Aussicht.

Kulinarische Anlaufstelle ist die Wartburg mit 360° Panorama.

Martin Luther

Dass hier schon Adlige, Ritter und Gelehrte kulinarische Raffinessen serviert bekamen, ist freilich nur eine informative „Beilage“ beim Rundgang mit Florian Stahl durch das UNESCO-Weltkulturerbe. Der gelernte Zimmermann wuchs am Fuß der Burg auf und kennt jeden Winkel, jede Begebenheit in dem Prototyp für Burgpaläste. Martin Luther habe sich auf der Burg als „Junker Jörg“ vor den Häschern des römisch-deutschen Königs versteckt und die Bibel übersetzt.

Der Wandfleck nach einem angeblichen Tintenfasswurf des Reformators auf den Teufel ist allerdings schon lange nicht mehr zu sehen. Touristen nahmen immer wieder Putzstücke als Relikte mit nach Hause. Der Guide erzählt von der frommen Heiligen Elizabeth, von Burschenschaftlern und Goethe, der hier ein Kunstmuseum einrichten wollte.

Psst! Im prachtvollen Festsaal lauschen Besucher gerade an authentischem Ort der Ouvertüre zu Wagners „Tannenhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“.

Auf der Weiterfahrt nach Erfurt tauchen am Horizont Ruinen der „Drei Gleichen“ auf. Der Begriff soll entstanden sein, als 1231 ein Blitz wie ein Dreizack drei Burgen auf einen Schlag traf.

Erfurt? Schmückt keine Burg und kein schmuckes Schloss. Über die historische Altstadt erhebt sich aber Mitteleuropas besterhaltene barocke Festungsanlage. Ein Fahrstuhl bringt Besucher hinauf auf den 231 Meter hohen Petersberg, der zur Bundesgartenschau 2021 sein heutiges Aussehen mit Gästezentrum und Hotel bekam. „Seid Ihr gut zu Fuß?“ Zwischen Festungsmauern, Kasernen, Basilika und Kerkern zeigt Wolfgang Schultz in die Unterwelt der zwölf Hektar großen Zitadelle. Mit einer Taschenlampe geht der ehemalige Soldat den tapsenden Scouts voran durch ein Labyrinth finsterer Horchgänge. Wachmänner bezogen unter dem Plateau entlang auf 2 700 Metern Lauschposten, um auszuspähen, ob Feinde die Mauern angreifen. Draußen auf dem Petersberg blicken Besucher über die nahe Altstadt Erfurts. Draußen auf dem Petersberg blicken Besucher staunend über Erfurts Altstadt. Wer jetzt aber beginnt sämtliche Türme der Stadt zu zählen - verpasst vielleicht die nächste Burg.                                                                                                 

Informationen

Anreise: Organisierte Burgtouren oder ein Burgen-Hopping werden noch nicht angeboten. Rundtouren sind mit dem Auto bzw. Mietwagen möglich. Die Zitadelle in Erfurt und die Wartburg bei Eisenach sind mit der Bahn und dem ÖPNV erreichbar.

Sonderausstellung im Deutschen Burgenmuseum Heldburg „Bauernkrieg und Burgen“ vom 13. April bis 2. November 2025.

Unterkunft: „Das Kehrs“ (Erfurt, Petersberg). DZ ab 139 Euro. www.daskehrs.de

„Burghotel Scharfenstein“ (Leinefelde-Worbis OT Beuren). DZ ab 149 Euro. www.burghotel-scharfenstein.de

Probieren: Thüringer Rostbratwurst mit Gewürz-Mix.  Das Originalrezept aus dem Jahr 1631 hütet das Staatsarchiv in Weimar. Außerdem: Thüringer Klöße mit Rinderrouladen sowie „Geschmink“, ein traditionelles Sonntagsessen aus gebackenem Lamm, Birnen und Kartoffeln. Als Dessert ein Stück Blechkuchen, saftig und süß.

Auskünfte: www.thueringen-entdecken.de und www.burgenstrasse-thueringen.de

Literatur: Bildband mit ausführlichen Texten „Die Burgenstraße Thüringen“, Michael Imhof Verlag, ISBN 978-3-7319-1168-5, 25 Euro.

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke

Manfred LädtkeUnser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.

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