Traunstein

Musik und Landschaft im Duett bei einer E-Bike-Tour auf Spuren des jungen Mozart im Chiemgau: Roll over Mozart. Mozart-Spuren im Chiemgau

Mozart weist den Weg: „Hodle-je-iii-dii“. Klar, der geschmetterte Bergsound klingt so gar nicht nach Mozart, gehört aber zum Repertoire von Andrea Wittmann. Die ist nämlich Jodel-Weltmeisterin und hat auch sonst musikalisch Einiges drauf. Als Tourguide begleitet sie Liebhaber klassischer Musik auf dem E-Bike rund um das 1000-jährige Benediktinerkloster Seeon. Schon im Rokoko musizierten in der Abtei Äbte und Patres.

Andrea Wittmann an der „Mozartorgel“ im Kloster Seeon

Radeln nach Noten. Musikalische Radtour Chiemgau. Roll over Mozart

Die Kirchenmusikerin radelt mit Klassikfreunden von Note zu Note

240 Jahre später sind nordwestlich des Chiemsees die „Musiksommer“ die klangvollste Zeit im Jahr. Dann folgen Urlauber der heimatverbundenen Kirchenmusikerin zwischen Inn und Salzach über versteckte Pfade auf Spuren von Wolfgang Amadeus Mozart. Abends tauscht sie den Fahrraddress gegen das Kleine Schwarze, ist an Kirchenorgeln und am Dirigentenpult zu hören und zu sehen. „Joa scho!“ Dass Mozart als Bub mit seiner reisefreudigen Familie einige Male auf das zauberhafte Klosteranwesen nahe am Chiemsee kam, habe ihr Musikinteresse ganz bestimmt „a bisserl“ beeinflusst, gesteht sie einer Radlerin.

Presto. Andrea tritt wieder in die Pedalen. Mit ihrer Gruppe rollt sie weiter von Note zu Note auf einer 25 Kilometer langen bayerischen Etappe des Mozartradwegs zwischen Obing und Chieming. Erster Halt ist eine schmale Straße am Klostersee. Vermutlich sei Mozarts Pferdegespann hier bei seinen Stippvisiten zwischen 1765 und 1780 immer angekommen. Der Wunderknabe habe das Kloster aber nicht nur besucht, sondern auch Musik hinterlassen. „Wir sind gottlob und dank glücklich… angekommen“, notierte er nach einer holprigen Fahrt auf der harten Kutschbank über Stock und Stein. Zwar plagte dem „Wolferl“ nach ungemütlicher Fahrt von Salzburg bis Seeon meistens ein „feuerroter, schwieliger“ Popo. Das hinderte ihn aber nicht, zwei Offertorien an dem idyllischen Fleckchen Erde in Bayern zu komponieren, das später ein kleines Stück Musikgeschichte beisteuern sollte. Für den Knaben waren es indessen ruhelose Zeiten. Nahezu zehn Jahre lang reiste er unermüdlich über rumplige Straßen bis Bayern, Wien, Mailand oder Paris. Ein Drittel seines nur 35-jährigen Lebens war der Musiker auf Achse. Begleitet von heftigen Winden im Herbst, von Kälte im Winter, Ungeziefer im Sommer und immer auf der Flucht vor Krankheiten, verbrachte er seine Kindheit zwischen derbem Volk und gepuderten Hofdamen.

„Skulpturale“ Sicht auf das Kloster Seeon inmitten eines Moorsees

Radeln nach Noten. Musikalische Radtour Chiemgau. Roll over Mozart

Die ehemalige Benediktinern-Abtei ist Start und Ziel auf dem Mozartweg

Auf einem Hügel zieht eine prächtige Eiche die Blicke auf sich. Die „Mozarteiche“? Nach Spaziergängen durch das Grün sanfter Wiesen habe der 10-Jährige unter der alten Stieleiche auf einer Bank geruht – erzählt man sich. Belegt ist das nicht. Vermutlich hielt er sich auf dieser Anhöhe aber gerne auf. Ist ja auch wurscht! Damals wie heute bietet dort eine Bank eine nahezu meditative Sicht auf das Kloster und die Berg- und Tallandschaft des Chiemgaus.

Der Dreiklang von Landschaft, Musik und Architektur hatte auch den Chef des Klosterhotels, Gerald Schölzel, in die geschichtsträchtigen Mauern kommen lassen. Die zu schlicht-eleganten Zimmern umgebauten ehemaligen Mönchszellen ließ er 2021 modernisieren. Benachbarte Gebäudeflügel dienen als Bildungszentrum und Konzertsaal, der gotische Gewölbekeller beherbergt ein rustikales Restaurant. Bei einem Urdunkelbier, das noch immer im Klosterstübl aus dem Zapfhahn fließt, wird nachvollziehbar, warum Vater Leopold sich über alle Maß auf gefüllte Krüge freute, während der Sohn in der Klosterkirche Orgel spielte. „Mozartorgel“, betont Andrea. Das Instrument dürfe sich so nennen, weil der Kirchenmusiker Max Keller Zeuge von Mozarts Spiel auf der heute restaurierten Klaviatur war. Zudem sei es die einzige Kirchenorgel, die der Teenager im Chiemgau bespielte. „Ich habe damals in Seeon Wolfgang Amadeus Mozart gehört und gesehen..." zitiert sie den früheren Kapellorganisten.

Als ein „Rokokojuwel“ wird die Stiftskirche des Kloster Baumburg auf der Route des Mozartwegs bezeichnet

Radeln nach Noten. Musikalische Radtour Chiemgau. Roll over Mozart

Auf dem Anwesen in Altenmarkt finden bis September Konzerte und Theaterspiele statt

Hatte Mozart in Seeon meistens Zugang zur instrumentalen Möblierung des Gotteshauses, musste er sich auf seinen Reisen mit einem Clavicord zufriedengeben. Einige dieser seit dem 15. Jahrhundert bespielten transportablen, sehr leisen Tasteninstrumente hat Michael Kaltenecker in seiner Instrumenten-Sammlung. In der Schadhauser-Pianowerkstatt seines Großvaters in Altenmarkt baut, repariert, und bringt er Klaviere wieder in Stimmung. Bei einem Rundgang durch die Schauräume beschreibt der Modellschreiner die Bedeutung von über viele Jahre getrocknete Resonanzböden als tonale Grundlage für den Klang der Klaviere. Schlossbesitzer und Künstler, die aus Alt wieder Neu machen möchten, zählen ebenso zu seinen Kunden wie Besitzer komplett „zerzauster“ Klaviere, denen es ein Anliegen ist, „Honoriges“ als Original zu erhalten. Besonders stolz ist Kaltenecker auf ein Oldie, das er Besuchern gerne vorführt: Ein Clavicord, auf dem schon Mozart gespielt haben soll.

An welcher Poststation genau die Familie Mozart einkehrte oder Station machen mussten, weil eine Achse streikte, das Wagenrad brach oder die Pferde gewechselt wurden, ist nur vage überliefert. Ganz sicher aber kehrten sie gleich um die Ecke der Pianowerkstatt ein, wo jetzt der „Gasthof zur Post“ steht.

Allegro. Vor der Silhouette der Chiemgauer Alpen rollen die Biker weiter. Andrea weiß, wo es langgeht. Ohne lästiges Karten- oder Schilderlesen, dafür mit Hörmuscheln im Ohr, lauschen einige Teilnehmer beim Genussradeln über hügelige Wirtschaftswege und durch einsame Täler mozartschen Klängen. Noch schnell ein Fotostopp beim alten Pfarrhaus von Obing. Das morbide Haus sieht noch heute so aus wie vor 250 Jahren als es Poststation auf der Route Traunstein-Wasserburg war und von den Mozarts gerne besucht wurde. Vater Leopold hatte hier oft gefeiert, getanzt, gezecht und sich an dem geliebten süffigen Bier der Seeoner Benediktiner berauscht.

Allegretto. Auf einem Stolperweg an der Alz haben die Pedalritter einen kurzen, steilen Abhang hinunter an den Fluss zu bewältigen. Konzentriert balancieren sie die gewichtigen Stahlrösser auf befestigten Holzplanken den Hang hinab und hieven sie in einen Kahn. Jetzt wird´s zünftig. Am anderen Ufer im nur Minuten entfernten Gasthof Roiter werden schon die Weißbiere gezapft, Kartoffelknödel gefüllt und regionale Produkte wie Schweinswürstl oder Auerochsenfleisch gebraten.

Zeigt, was er hat und kann.

Radeln nach Noten. Musikalische Radtour Chiemgau. Roll over Mozart

Michael Kaltenecker bringt Klaviere wieder in Stimmung und besitzt Instrumente aus Mozarts Zeiten                                          

Gediegener geht es am Abend in der Grassauer Villa Sawallisch zu. Wer sich in der Musikakademie der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung in eine Ferienwohnung einquartiert, darf Meistern und Stipendiaten über die Schulter schauen, aus zahlreichen Konzerten im Jahr auswählen oder in der Parklandschaft zwischen Chiemsee und Kampenwand einfach nur entspannen. Derweil eine Meisterklasse mit entspannter Grifftechnik komplizierte Tonfolgen aus dem Fagott zaubert, berichtet die Hausherrin von einer himmlischen Expedition. Mit der Raumsonde Voyager sei 1977 als „menschliches Kulturgut“ Musik von Bach über Gershwin bis Chuck Berry ins All geschickt worden. Darunter auch die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“. Wolfgang Sawallisch habe bei der Aufnahme das Bayerische Staatsorchester dirigiert.

Adagio. Als die Radlergruppe ihre Tour Roll over Mozart vor dem Kloster Seeon beendet, ist sie dem Mythos des Genies ein kleines Stück näher gekommen. Im Klostergarten schleppt die Bedienung behände Maßkrüge an die Tische. Aus Fenstern klingen Musikfetzen hinüber – ein Ensemble probt für ein abendliches Konzert.

Mozart hier, Mozart da. Als Produktname ist Mozart für Süßwaren ebenso beliebt wie für Liköre oder Eisenbahnen. Auch in den USA und Australien heißen Straßen und Plätze „Mozart“. Wegen seiner flötenden „musikalischen“ Töne gibt es sogar einen „Mozartfrosch“. Auf die Frage, warum es in Oberbayern noch kein Mozartbier gibt, weiß aber auch der Wirt keine Antwort.                                        

ReiseTravel Service

Der „Musiksommer“ im Chiemgau findet mit zahlreichen Konzerten jedes Jahr im Sommer statt. Die Teilstrecke des Mozartwegs im Chiemgau verläuft von Obing bis Chieming.

Anreise: Mit der Bahn bis Endorf oder Traunstein. Weiterfahrt mit dem Taxi.

Mit dem Auto: Von der A8 aus Richtung München Ausfahrt 106 Bernau über Prien bis Seebruck. In der Villa Sawallisch kosten DZ ab 119 Euro. www.sawallisch-stiftung.de Telefon: 08641- 699 8553. Anreise mit dem Auto von der A8 Ausfahrt Bernau über Rottau nach Grassau.

Übernachten im Kloster Seeon: Die komfortablen DZ in ehemaligen Mönchszellen kosten ab 129 Euro. www.Kloster-Seeon.de Telefon: 08624-8970. Hier gibt es auch Informationen zu Konzerten und andere kulturelle Veranstaltungen.

Essen und Trinken: Gemütlich, rustikale Biergartenatmosphäre im Gasthaus Zum Roiter in Altenmarkt an der Alz. Probieren; Matjes von der Chiemseerenke mit Speckbratkartoffeln. www.roiter.de Exklusives Ambiente im Hotel Achental in Grassau. Probieren: Gebratener Kalbsrücken auf karamellisiertem grünem Spargel. www.das-achental.com

Ferien verlängern: Zum Beispiel in Prien. Von dort fahren Schiffe in 30-Minuten-Takt zur Herreninsel und Fraueninsel. Hotel direkt am Anleger: Hotel Schlossblick. DZ ab 125 Euro. www.schlossblick-chiemsee.de

Auskünfte: www.chiemsee-chiemgau.info - Telefon: 0861-909590-0

Literatur: Verlässlicher Begleiter für unterwegs: „Chiemgau“, Reise Know-How, 17,90 Euro. Spannend geschriebene Lebensbeschreibung „Mozart – Genius und Eros“, Eva Gesine Baur, Verlag C.H Beck, Taschenbuch 16,95 Euro.                 

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.

Manfred LaedtkeUnser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.

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