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Kriminell, komisch, klangvoll. Lachsalven und Gruseltage in Ostfriesland: Mordsspaß an Land und auf Wasser
Spasskultur auf Ostfriesisch: Ostfriesland ist nicht nur ein Landstrich zum Durchatmen, sondern vielerorts auch mit hohem Spaßfaktor.
„Ich habe mich totgelacht!“, bemerkt eine Touristin. „Und Ihr?“ „Hatten einen Mordsspaß!“, antwortet ihr Gegenüber. In Ostfriesland liegen Klamauk, Kurioses, Klangvolles und Kriminelles oft eng beieinander.
Watt ne´ Gaudi.
Tauziehen auf friesisch im Watt
Schlammschlachten mit Schlickschlitten und Fußball im Watt oder Klootschießen und Besenwurf-Wettkampf auf Straßen, kündigt der Veranstaltungskalender im westlichsten Ostfrieslandzipfel Krummhörn an. Und im Örtchen Upleward dürfen sich Badegäste ausgerechnet auf der dem Meer abgewandten Seite vor dem Deich an einem „Trockenstrand“ sonnen. Man könnte meinen, die spinnen, die Ostfriesen. Von wegen. Das friesische Unterhaltungspotpourri zwischen Norden-Norddeich, Greetsiel und Leer amüsiert und schaudert Touristen und Einheimische gleichermaßen.
Aufgepasst! Nur 15 Autominuten vom „Trockenstrand“ entfernt befindet sich nahe der wuchtigen Kreuzkirche im idyllischen Warfendorf Pilsum ein „Sehr kleines Haus“. Versteckt in einem unscheinbaren Einfamilienhaus bietet der Saal der Kleinkunstbühne Platz für 54 Popos. Hausherr bzw. Kommandant ist „Ausbilder Schmidt“ alias Holger Müller. Kurvte der Comedian vor Corona seine Gäste bei launigen Landpartien noch in einem Lachbus durchs platte Land, lässt er jetzt auf der Hinterhaus-Wiese oder bei Schietwetter im Theatersaal zur „Lachbustour ohne Bus“ antreten. Statt Sightseeing gibt es dann zum Finale einen Dorfrundgang. „Das muss hier alles zack, zack gehen“, macht sich der vom netten Holger Müller zum Kommisskopf mutierte Kabarettist zwischen Getränkeausschank und Kostümwechsel selber Beine. „Still gesessen“ pfeift der in einen Panzer verliebte Krieger mit Barett, in Stiefeln, Nahkampfhose und mit Sonnenbrille im Saal seine Gäste an. Er komme zwar ohne Waffe, aber mit dem Spezialauftrag, seinem Publikum mit Lachsalven einzuheizen. Im Foyer werden später noch mal die Gläser gefüllt, bis der Befehl „Abmarsch“ die Runde macht. Schluss mit lustig? Nee, van wegen. Beim Dorfspaziergang kursieren Witze wie: Was macht ein Ostfriese mit einem Messer auf dem Deich? Er will in See stechen.
Dorfspaziergang in Pilsum nach einer Lachparade im Kabarett „Sehr kleines Haus“
Witzologie. Wenn schon Witze, dann mit einer Prise Witzelogie, also urkundlicher Ahnenforschung, meint ein Teilnehmer. Dass Ostfriesen den Ostfriesenwitz ganz alleine erfunden haben, sei jedenfalls ein Witz. Ostfriesische und Oldenburger Gymnasiasten waren es, die 1968 bei einem Schulausflug in einer West-Berliner Herberge dem Alkohol frönten und gegenseitig ihre Herkunftsregionen durch den Kakao zogen. Je voller die Gläser, umso doller die Zoten: „Warum zieht ein Ostfriese ein Seil von Emden nach Oldenburg?“. Antwort: Schieben geht nicht. Zurück im oldenburgischen Ammerland veröffentlichte der spätere Professor und Angstforscher Borwin Bandelow die Sprüche im Schülerblatt Trompeter und karikierte den „Homo ostfrisiensis“ als verschrobenen, trotteligen Hinterwäldler. Mithilfe des selbstironischen ostfriesischen Blödelbarden Otto Waalkes zahlte sich der Nonsens Jahre später vor allem für den Tourismus und damit verbundene Grundstückspreise aus. Die „dösigen“ Friesen müssen fortan nicht mehr jeden Pfennig auf die Parkbank legen, um etwas Geld auf der Bank zu haben. Ha, ha.
Mit Otto hat Emden Ostfriesland ein Gesicht gegeben. Lustig ist in der Stadt mit Flair am Meer aber nicht nur eine Seefahrt. Ein paar Otto-Hüpfer vom Anleger entfernt verspricht „Dat Otto-Huus“ ein Stimmungshoch. Wer beim Betreten des Museums Ottos „Ottifant“ zu nahe auf die Pelle rückt, muss sich zur Begrüßung von dem elefantösen Türwächter ein kehliges Grunzen und einen „gekotzten“ Wasserschwall in eine Schüssel gefallen lassen. Kehrt der Besucher dann Kostümen aus dem Film „Catweazle“, Ottos Kinderstube oder Requisiten aus Jugendjahren den Rücken, kommt er vom Schmunzelkabinett ins Jux-Kino des Blödelbarden. Wie ein Irrwisch fegt Otto mit fisseligen Haaren über die Leinwand, lässt nonstop Gags und Kalauer Revue passieren. Bei einem plötzlichen Juxausfall werden Sauerstoffmasken gereicht, denn sauer macht lustig, teilt der Komiker in der „Hausordnung“ mit.
An der Küste und im Binnenstädtchen Leer bleibt das Lachen im Halse stecken. Lokale Krimiautoren wie Klaus-Peter Wolf und Peter Gerdes haben die Provinz in eine Welle von Blut und Gewalt getaucht, die im November zum ersten Mal in „Krimi- & Gruseltage“ mündet. Weil nirgends literarisch so gerne und fantasiereich gemeuchelt wird wie in Deutschlands Krimi-Hochburg, haben der Erfinder des Ostfrieslandkrimis, Klaus-Peter Wolf, und der örtliche Tourismus-Service in Norden-Norddeich einen Raum für das „Kriminelle“ geschaffen. Im ersten Ostfriesischen Krimimuseum sind sogar die ständigen Original-Kulissen des Polizeikommissariats aus ZDF-Verfilmungen der Wolf´schen Bestseller untergebracht und für das Publikum zugänglich.
Kriminell. Eine kleine Koje ist dem Autor Peter Gerdes gewidmet. In Leer wartet der ehemalige Lehrer und Journalist mit seiner Frau Heike auf dem Steg des Grachtenboots „Koralle“. Vorsicht: Mord an Bord! Als das Schiff zur kriminellen Hafenrundfahrt über das Flüsschen Leda gleitet liest das Autorenduo abwechselnd aus ihren Thrillern. Passagiere kommen nicht nur wegen der hochstehenden Sonne ins Schwitzen. Zwischen Verrat, Inselmord, Ebbe und Blut verrät Gerdes mit Ausblick auf die Altstadt, dass das filmreife Leer nicht gleich Leer ist. Jedenfalls nicht in der lokalen TV-Krimiserie „Friesland“. Als Polizeistation sei das historische Gebäude der Stadtbibliothek fotogener. Andere Schauplätze würden in ein Kölner Studio verlegt.
Wem nun Frieslands Mordwesten zu schaurig ist und zum Lachen nicht in den Keller will, bekommt an der Küste in Norddeich ordentlich etwas auf die Ohren. Dort ist der Musikschuppen „Meta“ immer noch Sehnsuchtsort mit hohem Spaßfaktor für Beat- und Rockveteranen. Inzwischen gereifte Ostfriesen denken mit Wehmut an den Urknall live gespielter Beat-Musik zwischen Bauernhof und Kuhwiese zurück.
„Meta“ ist eine institutionelle Ikone in Norddeich. Als Disco öffnet der einst legendäre Musikschuppen derzeit jede Samstagnacht
Bei “Meta“. Im rustikalen Ambiente der Musikkneipe hatte Ostfrieslands Jugend von 1960 bis Mitte der 1970er Jahre „heel veel Spaaß“. Geschoren wurden zu jener Zeit nur die Schafe. Burschen ließen ihrer Haarpracht freien Lauf, Girls den Pferdeschwanz wippen, oder sie erschienen – stets einen Stilkamm in der Tasche – mit toupierten Haaren auf der Tanzfläche. Lokalpatrioten vergleichen „Meta“ sogar mit Liverpools legendärem Cavern Club und dem Star-Club in Hamburg. Immerhin schaffte es die Fischerstochter Meta Rogall aus dem Dorfkrug ihres Vaters den für viele heißesten Jugendschuppen zwischen Hamburg und Amsterdam zu machen. Unmittelbar hinterm Deich, wo nur wenige Meter weiter Nordseewellen an die Ufer klatschten, spielten Bands aus London und Holland. The Scorpions, Birth Control und The Twilights sammelten hier erste Bühnenerfahrungen. Howard Carpendale gab als Teenager den Elvis und der ebenfalls noch unbekannte Otto trat mit seiner Band The Rustlers, später in Metas vom Beat-Club zur Diskothek neu eröffneten Immobilie als Discjockey auf.
Im Alter von erst 59 Jahren stirbt die als „Mutter Courage der ostfriesischen Rockgeschichte“ gefeierte Pionieren. Plötzlich wird es still im Haus an der Waterkant. Im Jahr 2010 erinnert die Landesbühne Wilhelmshaven mit dem Musical „Meta, Norddeich“ noch einmal an die couragierte Ostfriesin.
Selbst wenn schon ein paar Spinnweben an den Erinnerungen hängen, jeden Samstagabend geht es immer noch rund, dreht sich heute noch der Plattenteller in Meta´s Musikschuppen. Zwar ist die Oldschool-Diskothek mit Fischernetzen und alten Ledersofas längst kein lukratives Etablissement mehr, dennoch führt Sohn Sven am Plattenregler das Erbe seiner Mutter weiter. Wie lange noch, ist freilich so ungewiss wie der Ausgang eines nicht zu Ende gelesenen Krimis. Noch jedenfalls haben Gäste und der Chef in dem wie aus der Welt gefallenen Musikschuppen einen Mordsspaß.
Peter Gerdes
Der in Emden geborene Peter Gerdes (70) ist waschechter Ostfriese unter zahlreichen ostfriesischen Krimiautoren.
In Leer empfängt Krimiautor Peter Gerdes seine Gäste zu kriminellen Hafenrundfahrten und liest aus seinen Thrillern
Mit 16 Jahren fuhr er bereits zur See, studierte später Germanistik und Anglistik und arbeitete als Journalist und Lehrer. Bevor Gerdes 1995 ins Krimigenre wechselte veröffentlichte er Lyrik, Songtexte und Kurzprosa. Allein zwei Dutzend Krimis veröffentlichte er in der Hauptkommissar Stahnke-Reihe. Der Autor ist Leiter der Ostfriesischen Krimitage. Gerdes neuestes Buch beschreibt „Inselmorde zwischen Ebbe und Blut“.
Service
www.ostfriesland.travel sowie www.die-nordsee.de Unterkunft: „Goldener Anker“. Ruhig gelegen im Fischerdörfchen Greetsiel. www.goldener-anker-greetsiel.de - Lachbustour: www.lachbustour.de - Kriminelle Hafenrundfahrt: www.mordwesten.de Otto Huus Emden: www.datottohuus.de - Metas Musikschuppen: www.metasmusikschuppen.de - Ostfriesisches Krimimuseum: www.norddeich.de/krimimuseum Krimi- und Gruseltage: 15. – 24. November. www.norddeich.de
Essen: Alte Brauerei in Pilsum. www.alte-brauerei-pilsum.de Probieren: Duett von Lachs und Zander in Weißweinsauce.
Krimi: „Tödlicher Vierer“, Peter Gerdes, Gmeiner Verlag, 15 Euro.
Reiseführer: „Ostfriesland“, Reise Know-How, 19,90 Euro. Bildband: „Ich liebe das Meer wie meine Seele“ von Heike und Peter Gerdes. Ellert & Richter Verlag. 192 Seiten, 29,95 Euro.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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