Stuttgart

Da kann man was erleben: „Mal gruselig, mal kurios, aber stets geheimnisvoll“, Geschichte und Geschichten von der Schwäbischen Alb

Mythos Schwäbische Alb: Allmählich weicht das Grün buntem Laub. Nebelschwaden wabern über das herbstliche Land und bleiben in Ästen hängen. Es wird stiller und die Schwäbische Alb wandelt sich im milden Licht zur optischen Kulisse für ihre Mythen und Sagen. Lichte Buchenwälder, karge Wachholderheiden, raue Steinformationen und weitgeschwungene Täler breiten sich auf dem Fleckchen Erde aus, das 70 Kilometer südlich von Stuttgart wie ein Laib Brot im Schwabenland liegt. Vor mehr als 150 Millionen Jahren befand sich in dieser wie ein Schweizer Käse durchlöcherten Karstlandschaft ein Meer, das später kegelförmige Gebirge modellierte. Die 700 Meter hoch gelegene friedliche Region ist ein Ruhepol für die Seele, meist „einen Kittel kälter“ als anderswo und ein "zapfig“ erfrischendes Reiseziel auch an heißen Tagen.

Heiß her ging es in dem süddeutschen Mittelgebirge nur als Kelten, Römer und Stauffer die Alb durchstreiften. Noch vor 60 Jahren galt eher als uncool, mit Knickerbocker und Wanderstab kreuz und quer weltvergessene Pfade zu erkunden. Heute treffen Alb-Wanderer auf ein touristisch erschlossenes Abenteuerland mit 100 geöffneten Burgen und Schlössern sowie Dutzender verborgener Grotten, imposanter Tropfstein- und begehbarer Schauhöhlen. Sechs dieser unterirdischen Orte  stehen auf der UNESCO-Welterbeliste.

Gipfelburg Teck

Die Gipfelburg Teck ist beliebtes Wanderziel in 775 Meter Höhe

Weit oben auf dem Teckberg bei Kirchheim thront die als Dreieck angelegte Burg Teck. Das Innere der markanten Gipfelanlage ist zwar touristische No-go- Area, dafür eröffnet sich vom Höhenrücken der Burg sowie vom benachbarten Gelben Fels ein spektakuläres Panorama in Cinemascope auf das Alpenvorland.

Festes Schuhwerk bietet sich an, um später einen Blick in die Unterwelt  zu werfen. Ein kurzer, manchmal rutschiger Waldpfad führt am Fuß der Burg zum Sibyllenloch, ist aber auch für Kinder passierbar. Wie die meisten Hohlräume im Kalkstein der Alb hat auch dieses verwunschene Plätzchen eine „sagenhafte“ Geschichte. In dem nach einer keltischen Göttin benannten Felsloch soll eine Frau von hoher stolzer Gestalt gehaust haben. Deren Weisheit und Prophezeiungen waren talauf, talab geschätzt, sodass Menschen das unwegsame Gelände hinab stiegen und sich Rat holten.

Weil ihre missratenen Söhne jedoch als Räuber und Saufbolde das Land in Angst und Schrecken versetzten, rauschte die verzweifelte Seherin eines Tages in einem Feuerwagen durch die Lüfte davon. Wo der mit zwei Wildkatzen bespannte Wagen die Erde berührte, sollen in der „Sibyllenspur“ Gras und Korn üppiger gewachsen sein. In Wirklichkeit sei die Bodenlinie eine römische Befestigungsanlage aus dem 2. Jahrhundert, klärt eine Expertin auf. Entlang des ursprünglichen Verlaufs der Gräben und Befestigungen gebe es aber tatsächlich unterschiedlich schnelles Wachstum. Derweil tasten sich die Besucher mit Taschenlampen durch das finstere Loch, bis es in einer Sackgasse endet.

Wohin die Wege von Königen und Kaisern führten, zeigt ein monumentales Rundbild im Kloster Lorch. 12 Szenen zeichnen im Stammkloster der Staufer Aufstieg und Fall des Herrschergeschlechts nach, berichten von Liebe, Intrigen und dem Gang nach Canossa. Weil die Darstellungen mit deftigem Humor gewürzt sind und eine mittelalterlich gekleidete Erzählerin die Historie mit Sagen und Geschichte garniert, gehen auch hier junge Gäste auf eine unterhaltsame Rundreise.

Weite Sicht in das Alpenvorland vom Gelben Felsen

Weite Sicht in das Alpenvorland vom Gelben Felsen

Wer bei großräumigen Alb-Erkundungen freilich allein auf den ÖPNV setzt, wartet hier einsam auf weiter Flur. Ein Auto bedarf es schon, um zwischen lichten Höhepunkten und versteinerter Unterwelt zu pendeln. Bei jedem Highlight gibt es Stellplätze, um auf Schusters Rappen umzusteigen. Auf einem Bergsporn über dem Beutental ist es nur ein Steinwurf vom Parkplatz bis zum Wäscherschloss. Eine Ringmauer aus Buckelquaderstein schützt das bescheidene Bauwerk. Das soll die Wiege der mächtigen schwäbischen Staufer sein? Kein Zweifel. Wirklich beeindruckend ist jedoch nur der Ausblick auf die Kaiserberge Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen.

Über die Herkunft des Burgnamens spekulieren Historiker immer noch. Fest steht nur, dass die Annahme, Kaiser „Barbarossa“ habe hier ein Techtelmechtel mit einer schönen Wäscherin gehabt und ihr die Immobilie geschenkt, ins Reich der Fabel gehört. Eine Festung fernab vom Wasser in der Ödnis habe den Staufern wohl kaum als „Waschsalon“ gedient, gibt Sannah zu bedenken. Oder nimmt der Burgname Bezug auf einen Gütertausch des Klosters Lorch mit dem Ritter „Konrad der Wascher“? Eine Antwort gibt bestimmt das Schlossmuseum zur staufischen Geschichte…

Hingucker für Romantiker:

Schloss Lichtenstein

Das Schloss Lichtenstein ließ ein Graf bauen. Inspiriert zur Verwirklichung seines Alb-Traums hatte ihn Wilhelm Hauffs Roman „Lichtenstein“

65 Kilometer weiter geht es wieder in eine Welt untertage. In der Wolfsschlucht bei Bad Urach hat die Schillingshöhle keine Sage hinterlassen, aber Literaturgeschichte geschrieben. In seinem Jugendroman „Rulaman“ (1878) nennt David Friedrich Weinland die 245 Meter lange Felsengrotte „Tulkahöhle“ und macht sie zum zentralen Schauplatz. Der wiederentdeckte Urzeit-Klassiker schildert Abenteuer eines Häuptlingssohnes in der Ära der Höhlenmenschen: In dem schwäbischen Thriller lebt der Tulka-Stamm in Einklang mit den Gaben von Mutter Natur - bis die Kelten in das Jagdgebiet auf der Alb eindringen. Hmm…? Sicher fanden in dem Labyrinth Bär und Luchs Unterschlupf. Menschen suchten in der Höhle allenfalls Schutz vor Kriegshorden, haben sie aber nie bewohnt.

Dass im umgekehrten Kontext aus Literatur sichtbar Märchenhaftes entstehen kann, zeigt „zu Hauff“ ein touristischer Höhepunkt auf einem „lichten“ Fels über dem Echaztal. Inspiriert von Wilhelm Hauffs Burgbeschreibung im Roman „Lichtenstein“ ließ ein vermögender, vor allem aber ausgesprochen romantisch veranlagter Graf 1842 auf den Ruinen einer Ritterburg ein Märchenschloss bauen, wie es im Buche steht. Auch wenn nie ein Krieger diese „Ritterburg“ und ihren opulenten Schlossgarten betreten hat, bietet sie alles, was das Touristenherz begehrt: Brücke mit Tor, Rittersaal, Gemäldegalerie, Waffenhalle und Verliese. Dabei war der für den Grafen zu Stein gewordene Alb-Traum auch für Hauff zunächst nur ein Traumschloss. Eine Heimatsage animierte den Märchendichter, seinen Roman zu entwickeln. Urlauber schätzen die Immobilie heute als Ausflugsziel, Schwaben zudem als spätromantische Huldigung an das Mittelalter.

Am Stadtrand von Pfullingen geht die Phantasie ein letztes Mal auf Reisen. Stolze sechs Kilometer lang ist die holzgeschnitzte Sagenwelt von Billy Tröge. Am Wegesrand lauern an elf Stationen Skulpturen wie die „Nachtfräulein der Urschel“, der „Pelzmichel“ oder „Knecht Haule“. „Ich sehe einem Baum förmlich an, was in ihm steckt“, verrät der Künstler mit Holzsäge. Infotafeln erzählen die Geschichte der geheimnisvollen Feen und Waldgeister. Drei Stunden Zeit sei für die Wanderung einzuplanen, die nicht allein Kindern  Legenden im „Ländle“ sichtbar machen will. Und weil in jeder Sage ein kleines Fitzelchen Wahrheit stecken könnte, blendet man auf der Schwäbischen Alb Fragen, wie sie ein Schäfer einem Sagensammler gestellt haben soll lieber aus: „Abr Herr, glaubet denn Sia so Lumbensächle?"

Talblick Rast mit Aussicht

ReiseTravel Service

Informationen: www.schwaebischealb.de Alle beschriebenen sowie viele weitere Stationen auf der Schwäbischen Alb eignen sich für Familienausflüge/-reisen. Beste Reisezeit: Frühjahr bis Herbst.

Anreise: Mit Bahn bis Stuttgart. Von dort mit Auto/Leihwagen 70 Kilometer über E52 und B27 über Reutlingen auf die Schwäbische Alb.

Rundfahrten: Die Burgen und Höhlen sind am schnellsten mit dem Auto erreichbar. Auf Parkplätzen gibt es ausgeschilderte Wanderwege. Festes Schuhwerk und Taschenlampe mitnehmen.

Probieren: Schwäbische „geschmälzte“ Maultaschen mit Kartoffelsalat oder als „Herrgottsscheißerle“ mit Fleisch gefüllt. Für zwischendurch Salzkuchen und Kümmelkuchen als schwäbische Variante des Fladenbrots.

Auch sehenswert: Die Wimser Höhle ist die einzig mit einem Boot befahrbare Höhle Deutschlands.

Mehr Ziele für Kinder: Steiff Museum und Höhlenhaus in Giengen, Märklins Eisenbahnwelt in Göppingen, Altes Bergwerk Tiefer Stollen in Aalen. In vielen Burgen gibt es ein Mittelalterprogramm für Kinder.

Literatur: „Schwäbische Alb, Michael Müller Verlag, 15,90 Euro. Für Kinder: „Schwäbische Alb mit Kindern“, Peter Meyer Verlag, 16 Euro und „Rulaman“, Tredition Verlag, 17,90 Euro.

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.

Manfred LaedtkeUnser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.

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