Naumburg

Zeitenwende an Saale und Unstrut, Genuss am Fluss, Slow-Down in Flusslandschaften: Filigrane Schätze im Märchenschloss

Ab aufs Rad: Die Wanderschuhe schnüren oder alle Mann ins Boot. Im südlichen Sachsen-Anhalt ist die erst junge Ferienregion Saale-Unstrut mächtig in Bewegung. An beiden Flüssen entschleunigen Urlauber auf dem Wasser, entlang romantischer Radwege oder hinter stattlichen Gemäuern. Und neben unerwartet Neuem, liegt der Schleier einer 1000 Jahre alten Historie über Stadt, Land, Fluss.

Rauf aufs Schiff und Leinen los. Kaum zu glauben! Wo bei Mücheln vor 35 Jahren noch Schaufelradbagger eine Sand- und Kieswüste für den Braunkohleabbau aufwühlten, plätschern jetzt Wellen des blauen Geiseltalsees. „Nach 330 Jahren Bergbau hatte die Kohlegrube große Löcher hinterlassen, die mit Wasser aus der Saale geflutet wurden“, berichtet Oliver Sacher und steuert sein Motorboot über den mit fast 19 Quadratkilometern größten künstlichen See Deutschlands. Insbesondere ältere Gäste mit GPS an Bord sehe man zuweilen auf der Suche nach Standorten der zu DDR-Zeiten „abgebaggerten“ einst 16 besiedelten Ortschaften. Segelboote und Fahrgastschiffe ziehen gemächlich vorbei. Abendsonne malt den Himmel gelb und rot an. Sightseeing in einem wie von Zauberhand geschaffenen Landschaftidyll. Das inspirierte auch Bacchus.

Mit der Fähre übersetzen an das andere Unstrut-Ufer

Ferienregion an Saale-Unstrut

15 Kilometer entfernt: Bei Freyburg liegt über dem See eines der nördlichsten deutschen Weinanbaugebiete. „Ein gutes Glas Wein ist geeignet den Verstand zu wecken“, meinte Altkanzler Konrad Adenauer, als an Saale-Unstrut noch Schweiß und kaum edle Tropfen flossen. Wie viele Flaschen entkorkt wurden, bis 1997 in der Familie Reifert die Idee reifte, eine Halde in einen Weinberg zu verwandeln, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass schon drei Jahre später für den ersten Weinberg auf dem ehemaligen Tagebaugebiet Reben gepflanzt wurden.

Heute genießt die Straußwirtschaft „Goldener Steiger“ den Ruf, „romantischer Höhepunkt“ der Region zu sein. Lars Reifert serviert Riesling und Traminer, dazu Kellergulasch und Zweibelkuchen. Manchmal schaut  auch eine Weinkönigin  für ein weinseliges Schwätzchen mit den Gästen vorbei und legt Hand an.

Wenn morgens angenehme Kühle die Sommerhitze noch in Schach hält und leichter Wind in den Blättern wispert, ist die schönste Zeit für eine Bootstour auf der Unstrut.

Im Slow-Modus gleiten Schlauchbootfahrer von Weischütz bis Freyburg auf dem kleinen Nebenfluss der Saale dahin. Nur das „Platsch“ der Paddel mischt sich in das frühe Konzert der Vögel. Man könnte meinen, mit der Welt sei alles in Ordnung. Bis zur nächsten Schleuse geht die meditative Wasserpartie vorbei an steilen Weinhängen, Schlösschen und Herrenhäusern.

Ende des 19. Jahrhunderts war es mit der Ruhe auf dem sumpfigen Flüsschen zunächst vorbei. Arbeiter baggerten das Gewässer zu einer begehrten Transportader für Lebensmittel und Baumaterialien aus. Als später heftige Hochwasser die Bausünden bestraften und Ufer überspülten, entschieden sich die Landesherren für den Rückbau der Verkehrsanlagen. Wieder floss die Unstrut gemächlich vor sich hin.

Seit 30 Jahren wissen Touristen die Panoramaroute zu schätzen. An Kanustationen satteln sie um für eine Radtour. Träumerische Ruhe begleitet Radler auf kaum entdeckten Etappen bis Naumburg.

Die Glocke vom Wenzelsturm schlägt 16 Uhr. Am Marktplatz sowie in Seitengassen laden Cafés hinter Bürgerhausfassaden mit bunten Fensterläden zu einer Dolche Vita-Auszeit ein. Ausgewählte Naschkreationen serviert das junge Café Curt beim Naumburger Dom. Das viertürmige UNESCO-Welterbe ist mit Meisterwerken von Weltrang geschmückt. Zwölf aus Stein gehauene Stifterfiguren im Westchor des Doms sind die am meisten geknipsten Persönlichkeiten. 800 Jahre alt und doch lebendig schauen die ins Mauerwerk modellierten fiktiven Gesichter auf Besucher herab. Als der unbekannte Meister den Job erhielt, gab er den Skulpturen mit seiner Fantasie Gestalt. Die geheimnisvollen Stifter waren bereits 200 Jahre tot. Bildzeugnisse gab es nicht.

Ein Standbild beschäftigt indes nicht nur Fantasien von Künstlern und Kunsthistorikern. Schriftsteller Umberto Eco meinte in dem Gebilde der Uta von Naumburg die „schönste Frau des Mittelalters“ entdeckt zu haben. Zu gerne hätte er ein Rendezvous mit der Markgräfin aus dem 11. Jahrhundert gehabt. Die Nazis propagierten deren „germanische Schönheit“ gar als deutsches Frauenideal. Ihr Gesicht schmückte Briefmarken, Münzen und Werbeplakate. Zum Weltstar avancierte die stolz dreinschauende Dame vom Dom, nachdem sie Walt Disney als Anregung für die böse Königin in seinem Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ (1937) gedient hatte.

Ruhig mal die Perspektive wechseln! Im Nordwest-Turm über dem Dachstuhl befindet sich eine Aussichtsplattform. In 52 Metern luftiger Höhe reicht der Blick  über die Stadt und Weinberge der Region – und auf den Stufen purzeln Kalorien vorheriger Kaffehaus-Naschereien.

Königin im Saaletal: Eine andere „hohe“ majestätische Erscheinung erreichen Reisende nach rund 90 Autominuten südlich von Naumburg nahe Jena.

Hier liegt Jena Besuchern zu Füßen:

Ferienregion an Saale-Unstrut

Ausblick die Universitätsstadt im Süden der Ferienregion Saale-Unstrut

400 Meter über der Saale thront auf einem Bergkegel die Leuchtenburg als die „Königin des Saaletals“ – jedoch ohne jedwede Residenzgeschichte. Kein Goethe, kein Bach, kein Luther. Stattdessen diente die nie eroberte Verteidigungsbastion auch als Gefängnis, Armen- und Irrenhaus sowie als Jugendherberge. Weil die Burg 800 Jahre lang stets genutzt wurde, sei sie heute eine der besterhaltenen Wehranlagen in Deutschland, erzählt Burgführerin Ilka Kunze.

Nach der Wende sei ein „Sommerschlussverkauf“ verhindert  worden. Die weitläufige 10.000 Quadratmeter große Anlage fand in einer Stiftung sicheren Unterschlupf vor Initiativen zur Privatisierung.

Heute staunen Besuchern hinter restaurierten Mauern über kostbar bestückte filigrane Porzellanwelten. Meisterwerke glänzen von ihrer schönsten Seite. Neben lange im Meer versunkenen Schalen steht die größte Porzellanvase (acht Meter) der kleinsten Teekanne (vier Millimeter) der Welt gegenüber. Wenige Schritte entfernt lädt eine Porzellan-Kirche zu stiller Einkehr ein. Aus der alten Burgkapelle wurde ein spiritueller Ort, den von der Decke bis zum Boden Lamellen-Vorhänge aus matt-weißem technischem Porzellan dominieren.

Vorsicht Ungeheuer! In einem Nebengebäude geht es durch ein monströses Drachenmaul hinein in die historische Kernburg. Im Bauch des Ungetüms lauert der „Mythos Burg“, die vom Drachen „verschluckten“ dunklen Kapitel der Burggeschichte.

Vielleicht sieht der eine oder andere Burgwanderer jetzt ja seine Kaffetasse mit ganz anderen Augen. Vielleicht gruselt es ihm. Oder er ist nach den letzten Schritten überzeugt, dass Wünsche wahr werden… In jedem Fall erinnert der Schlusspunkt der mittelalterlichen Stippvisite daran, dass Porzellan immer auch eine hoffnungsfrohe Spaßvariante begleitet. Im Museum schreiben Besucher unter Schwarzlicht einen Wunsch auf ein Porzellanstück. Die Schrift bleibt bei Tageslicht unsichtbar. Dann geht´s raus in den Burggarten zum Skywalk, dem Panoramabalkon der Leuchtenburg. Vom 20 Meter über die Burgmauer ragenden Steg der Wünsche werfen Gäste ihren Herzenswunsch in die Tiefe. Scherben bringen Glück. Hoffentlich.  

Ferienregion an Saale-Unstrut

Wo früher Braunkohle gefördert wurde, schippern heute Vergnügungsboote

Der Geistalsee ist mit 19 Quadratkilometern Deutschlands größter Binnensee.

ReiseTravel Service

Anreise: Mit Bahn oder Auto bis Freyburg, Naumburg oder Weißenfels.

Auskünfte: Die Region Saale-Unstrut ist ein vergleichsweise junges Reiseziel in Deutschland und umfasst rund 5.000 Quadratkilometer. Da nicht alle lohnenden Winkle und Ziele mit dem ÖPNV erreichbar sind, empfiehlt sich ein Auto bzw. bei Bahnanreise ein Mietwagen. www.Saale-Unstrut-Tourismus.de

Unterkunft: Parkhotel Güldene Berge in Weißenfels. Die Villa verfügt über 36 individuell eingerichtete Zimmer. www.parkhotel@gueldene-berge.de In Naumburg: Pension Onkel Ernst im Herzen der Altstadt. www.onkel-ernst.de

Leuchtenburg: Die Leuchtenburg will bis Ende 2025 komplett barrierefrei sein. Ein Kabinenaufzug bringt dann Gäste vom Parkplatz hinauf auf die Burg. Derzeit sind Teile der Anlage barrierefrei begehbar. Behinderte Personen dürfen bis vor die Burg fahren. www.Leuchtenburg.de 

Geiseltalsee: www.geiseltalsee.de

Wanderparcours Saale-Horizontale: www.visit-jena.de - Tourentipps für Boot und Rad: www.fluss-und-zeit.de - Freyburg: Mit Shows und Konzerten ist seit 2023 die neu strukturierte Rotkäppchen-Sektkellerei für die Öffentlichkeit geöffnet. www.rotkaeppchen.de                          

Literatur: „An Saale und Unstrut“, L+H Verlag, 15 Euro. / DuMont Reisetaschenbuch „Sachsen-Anhalt“, 15,99 Euro.   

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke

Manfred Lädtke Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.

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