Cape Cod | Go East. Am Ende der Welt |
Von Martha´s Vineyard nach Cape Cod: Neuenglands vornehme Insel und krummer Ellbogen, Amerika hinter sich lassen
Poesie der Einsamkeit: Irgendwer hat gesagt, Leben werde nicht an der Zahl der Atemzüge, sondern an den Momenten und Orten gemessen, die uns den Atem rauben. Schön! Dann ist Neuengland vielleicht so ein Ort, um tief Luft zu holen.
Die putzigen „Puppen“häuschen in Oaks Bluff auf Martha´s Vineyard sind beliebte Wohn- und Feriendomizile
Fette weiße Wolken und ein wundermilder Seewind begleiten die Fähre nach Massachusetts. Dort seien die schönsten Küsten nicht wie im benachbarten Connecticut touristisches Sperrgebiet und an wenige Reiche verteilt, wirbt Wilfred für Massachusetts. Connecticut, das sei nur eine Sparbüchse für Millionäre. Dollar-Aristokraten würde dort allenfalls ein Minimum der Steuerlast eines Lehrers abverlangt. Darum sei der spendable US-Bundesstaat auch ein Habenichts, den die fünf anderen Neuenglandstaaten mitschleppen, wettert der Tourismusmanager. Als das Schiff Rhode Island passiert, murmelt er: „Auch so ein umstrittener Staat.“ Vor 40 Jahren habe sich dort die Mafia eingenistet. Darum habe die Justiz manchmal den Bürgermeister der Hauptstadt Providence am Schlafittchen.
Massachusetts arbeitet. Darum sei es eine der reichsten Regionen der USA. Der „Bay State“ lebe von der Elektro- und Maschinenindustrie, von seinen Elitehochschulen, der Fischerei und dem Tourismus. Und keinen Urlauber hindern irgendwelche Verbote daran, sich an Martha´s Vineyards und Cape Cods meilenweiten offenen Stränden die Füße nass zu machen, verspricht der Manager. Okay, übersehen haben die Reichen und Schönen den Reiz der sieben Kilometer südlich vor Cape Cod liegenden Insel „The Vineyard“ freilich nicht.
Deren westliches Hinterland ist die reservierte Relaxzone von Schauspielern, Medienstars und US-Politikern. Während den benachbarten noblen Sandhügel Nantucket Republikaner favorisieren, tummelt sich auf Martha´s Vineyard die Prominenz der Demokraten. Stoff für Tratsch über wilde Jetset-Partys liefert das beliebte Sylt der USA aber nicht. Dafür mysteriöse Geschichten über Edward Kennedy, der nachts seinen Oldtimer mitsamt Partydame in einen Kanal bretterte, vom weißen Gänsehaut-Hai und Steven Spielbergs Dreharbeiten, oder Kuriosa von den urlaubenden Clintons und Obamas.
Rund 50 Leuchttürme wie das Annisquam Lighthouse bei Gloucester stehen an den Küsten von Massachusetts
Im Sommer schaufeln Fähren Sommerfrischler zum Promi-Watching auf die vornehme Insel. Also besser im Herbst kommen. In Sightseeing-Bussen lassen sie sich durch Oak Bluffs und Edgartown schaukeln, spazieren durch die von weißblitzenden Kapitänsvillen, Cafés und Läden für gediegenen Luxus gesäumten Straßen und stoppen an den dramatischen Gay Cliffs in Aquinnah. Andere mögen es sportlich. Vineyard ist flach, die Radwege sind gut ausgebaut und eignen sich bestens für Touren auf der 40 Kilometer langen „Down-Island“-Route zu Dünen und Weiden im State Beach Park.
Wilde Küstenlandschaft auf Martha´s Vineyard
Wem kein berühmter Flaneur aus der Highsociety und keine Giselle Bündchen vor die Kamera läuft, der fokussiert sein Objektiv in Oak Bluffs auf die bonbonbunten viktorianischen „Gingerbread Cottages“. Die liebevoll mit allerlei Kitsch und Krimskrams verschnörkelten „Knusperhäuschen“ stehen inmitten manikürter Gärten in einem Eichenwäldchen, in dem sich von 190 Jahren Methodisten zu religiösen Versammlungen trafen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus dem Zeltlager die Holzhaus-Siedlung Oak Bluffs, in der jetzt propere Feriendomizile in putzige Puppenstübchen einladen und die Kasse klingeln lassen.
In den Dünen beenden Strandwanderer gerade ihr Picknick und marschieren barfuß zum Leuchtturm. Schade, die untergetauchte Sonne lässt das vielversprechende Panorama vorübergehend in unvorteilhaftem Licht stehen und so gar keine Erinnerung an die leuchtende Bilderwelt eines Edward Hopper wach werden. Im Spätsommer und Herbst reicht bei klarer Sicht der Blick von der Leuchtturmspitzen bis hinüber nach Cape Cod.
Wie ein zum Bizeps angewinkelter Arm ruht das krumme Stück Neuengland im Atlantischen Ozean. Als der US-Schriftsteller David Thoreau um 1850 hoch im Norden die raue Wildnis der Halbinsel durchstreifte notierte er: „Ein Mann kann hier ganz Amerika hinter sich lassen.“ Und John F. Kennedy gestand, dass ihm vor schweren Entscheidungen lange Spaziergänge am scheinbar endlosen Kap den Kopf frei machten.
Keine Fast Food-Schuppen, Hotelbunker oder sperrige Reklametafeln stören die scheinbar unendliche Weite. Dass diese friedvolle Gegend mit wogendem Dünengras, Preiselbeermooren und Wäldern nicht Immobilienhaien zum Fraß überlassen wurde, ist das Verdienst von Naturschützern und des Ex-Präsidenten. 1961 erklärte Kennedy einen Großteil des Cap zur National Seashore und verhinderte eine Zersiedlung wie im lebhaften Süden bei Hyannis. Auf dem ehemaligen Familiensitz des Kennedy-Clans in Hynannis Port befindet sich ein Museum, das JFK in seiner Ferienheimat Cape Cod in Filmen und auf Fotos so zeigt, wie ihn Amerika und Hochglanzmagazine liebten: Gesund, fröhlich, unbeschwert.
Strenge Regeln lassen Bausünden auf dem Kabeljau-Kap immer noch nicht zu. Upper Cap, der nördliche Zipfel dieser herben Heilen-Welt-Idylle ist am wenigsten bebaut. Mangels Ahornbäumen leuchtet der Indian-Summer in der 300 Meilen weiten ungezähmten Küstenlandschaft zwar nicht so flammend und prächtig wie im Westen von Massachusetts, dafür hat der Wind viel Platz, über der Weite Luft zu holen. Meer und Land kämpfen täglich um die Vorherrschaft und sind sich nicht grün. Dabei steht Jahr für Jahr der Punktsieger schon fest: Beharrlich ringen Wind und Wellenberge den Steilklippen an der Ostküste Zentimeter um Zentimeter ab.
In 700 Jahren werde der gefräßige Atlantik dieses einzigartige Stück Amerika geschluckt haben, prognostiziert Wilfried, als er Fahrräder für eine Tour durch die National Seashort bereitstellt. Auf gewundenen, hügeligen Asphaltpisten flitzen und strampeln die Radler bergauf und bergab zum breiten Strand. Oben strahlt die Sonne von einem kühlblauen Himmel, im Westen rauscht der stille, im Osten tobt der raue Atlantik, und geradeaus an der Kapspitze steht am Ende der Welt einsam ein Leichtturm. Edward Hopper hat Skizzen und Eindrücke solcher Szenen in Gemälden festgehalten und der Welt als eine Poesie der Einsamkeit ins Gedächtnis gerahmt.
Bunt, bizarr, lebhaft. Im Vergleich zum gediegenen Rest auf Cape Code ist Provincetown ganz schön flippig. Seit Beatniks wie Jack Kerouac, Maler wie Edward Hopper und Jackson Pollock und Hippies den Fischerort an der Landspitze entdeckten, ist das freigeistige Bohéme-Städtchen ein Vergnügungsplatz für Zivilisationsflüchtlinge, Schwule und Lesben. Muskelbepackte Gays, Transvestiten in schrillen Klamotten und Touristen in Shorts und Badelatschen ziehen in Neuenglands Spaßecke durch die Commercialstreet. In einem der schicken Cafés beeilt Luuk sich, seinen Cocktail zu bezahlen. „Nach 30 Jahren gibt es für mich hier nicht mehr viel zu sehen“, gesteht der Komponist aus Holland. Den Sonnenuntergang am Race Point Beach werde er mit einem Glas Sekt und einer Tüte voll Hummer-Sandwiches jedoch noch weitere tausendmal erleben wollen: „Als „Dope“ für die Nacht und Inspiration für den nächsten Tag.
Inspirierend für Ausflüge in alle Himmelsrichtungen auf Cape Cod ist die 45 Kilometer entfernt in der Mitte der Halbinsel zentral gelegene schicke Hafenstadt Chatham. Wenn der Sonnenball über der geschützten Bucht kitschig schön hochsteigt, wechseln die Farben über der Sommerfrische von glutrot in violett, gelb und später flirrend blau. Ein Motiv, das Edward Hopper wohl übersehen hat.
Sonnenuntergang in der Atlantik-Bucht des noblen Städtchens Chatham
ReiseTravel Service
Reiseinfo www.americanet.de
Beste Reisezeit: Frühjahr und Spätsommer
Impfungen: Es gelten die gleichen Standartimpfungen, die auch in Österreich gültig sind. Infos: www.vistTheUsa.de
Essen und Trinken: Cape Cod: Ausgezeichnete 5-Sterne-Küche mit hoch dekorierten Weinen im Chatham Bar Inn in Chatham, 297 Shore Road. www.chathambarsinn.com. Eine Gaumenfreude ist das zarte Rindfleisch von der hauseigenen Farm, serviert mit saisonalen Gemüsen und Salaten. www.chathambarsinn.com Tipp: In Provincetown in Mews Restaurant, 429 Commercial Street, Hummer-Risotto mit geröstetem Nussbutter-Kürbis in Waldpilz-Brühe bestellen. www.mewsptown.com
Baden: Wer am Cape auf Schwimmen im wellenreichen Atlantik lieber verzichtet, kann die weitläufigen, stillen weißen Sandstrände für ausgiebige Spaziergänge oder ein Picknick in den Dünen nutzen.
Literatur: „USA Der Osten“. Gut gegliedertes, ausführliches Reisebuch. 630 Seiten mit Karten, Hintergrundinformationen zu Land und Leuten sowie Tipps für eigene Entdeckungen. Stefan Loose Travel Handbuch, 24.95 Euro.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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