Marakesch | In Marrakesch |
Irat ist ein Berber in Marrakesch in Marokko
Marokko: Vom Hotel La Mamounia bis zu den Souks von Marrakesch ist es nicht weit, ein Stück die Avenue Bab Djedid hinunter, über den Platz Djemaa El Fna und schon kann man sich in der Vielfalt der kleinen Gassen und Plätze verlieren.
Kaufen kann man dort praktisch alles, schwierig wird es nur wenn man sich auf ganz spezielle Sachen festgelegt hat. Aber soweit war es noch nicht, ich gehe die Straße runter und da spricht mich ein Mann an, ein selbst ernannter Fremdenführer. Den brauch ich nicht, den will ich auch nicht und das sage ich ihm in drei Sprachen die er alle zu verstehen scheint, aber er begleitet mich weiter. Er erklärt mir, was er alles kann und weiß, was er mir zeigen wird, welche tolle Rabatte er bei den Händlern nur für mich alleine erreichen kann und so weiter. Ich aber will nicht, Marrakesch kenne ich ganz gut und mit dem Handeln klappt es auch. Er lässt nicht locker, ich weise ihn schon etwas Brüsker ab, er geht mit. Dann bleibe ich stehen, schicke ihn unfreundlich fort, das beeindruckt ihn wenig. Ich gehe weiter, er folgt und redet, ich beachte ihn nicht mehr. So überholen wir einen anderen Passanten, der bekommt das mit, hört zu und wendet sich plötzlich an meinen ungebetenen Begleiter. Mit einigen, offensichtlich sehr scharf formulierten Sätzen jagt er ihn förmlich davon. Ich bedanke mich bei ihm, er entschuldigt sich bei mir für die Aufdringlichkeit des Anderen.
Wir kommen ins Gespräch, er heißt Irat, arbeitet als Geländewagenfahrer, bringt Touristen in teuren Autos hoch ins Gebirge des Hohen Atlas und hat den selben Weg in die Medina. Er sei verheiratet und habe zwei Jungs, 9 und 13 Jahre alt. Ich erzähle ihm von meinen beiden Jungs und was ich im Souk suchen und kaufen will. Er bietet mir an zu helfen, erklärt aber sofort, er verfolge keinerlei finanziellen Interessen, er wolle nur freundlich sein und außerdem sei er Berber. Ich bin etwas unsicher, vielleicht hat hier doch nur ein Touristenschlepper den Konkurrenten verjagt. Als Erstes möchte ich ein paar weiße Hemden mit dezenter Stickerei haben, gestern im Souk habe ich mehr als zwei Stunden danach gesucht und sie nicht gefunden. Er weiß genau wo es so was gibt, dafür müssten wir aber ziemlich weit laufen, der Händler wäre irgendwo ganz weit drinnen und für Fremde kaum zu finden. Ich folge ihm und wir tauchen in die verwirrende Welt des Souk ein. Wir gehen durch winzigste Gassen, überqueren kleine Plätze, gehen durch Geschäfte, Hinterhöfe. Nach wenigen Minuten habe ich die Orientierung verloren, ein wenig Befangenheit kommt auf. Unbegründet, ich weiß, oft genug war ich in den Souks der arabischen Welt, aber hier gehen wir, so habe ich das Gefühl, manchmal durch Wohnungen und Keller.
Dann stehen wir vor dem richtigen Laden. Der sieht ziemlich unauffällig aus, die ausgehängten Kleidungsstücke laden nicht gerade zum Kauf ein und wirklich winzig ist er auch noch. Irat erklärt mir nochmals, er habe überhaupt keine finanziellen Interessen und dann dem Jungen was ich kaufen möchte, der holt einen älteren Mann, mit dem Irat nun spricht. Die Sprache der Berber verstehe ich nicht, vielleicht ein paar Brocken Arabisch, aber offensichtlich geht es wirklich um Hemden. Der Alte winkt mich in einen noch kleineren Nebenraum. Das wäre die perfekte Falle, eine Geheimtür, ein Verließ, Diebe die mir mein Bargeld, die Kreditkarte und meine 12-Euro-Uhr klauen, Entführer (wer würde eigentlich für mich wirklich Lösegeld bezahlen?), oder gleich Mörder, Al Kaida oder sonstiges Schreckliches. Stattdessen halte ich umgehend einen Tee in der Hand und vor breitet der Händler genau die Art Hemden aus, die ich suche. Eines ist schöner als das andere, es fällt mir schwer mich zu entscheiden, ich probiere an, lege zu Seite, ziehe sie wieder heran und schließlich fälle ich die Entscheidung. Die Hemden waren von ausgezeichneter Qualität. Zwei für mich und je eins für meine beiden Jungs zu Hause. Nun naht der alles entscheidende Moment, es beginnen die Preisverhandlung, der Preis wird viel zu hoch sein und Mohamed wird nach seinem Vermittlungshonorar fragen, es wird also ein hartes Feilschen werden. Dachte ich jedenfalls. Mohammed stand draußen, rauchte eine meiner Zigaretten und tat sonst nichts.
Der Alte nannte mir den Preis für die Hemden und ich war geschockt. Der war unwahrscheinlich niedrig, für die Summe hätte ich bei einem der anderen Händler am Anfang des Marktes nicht mal ein hässliches Touristen-T-Shirt bekommen. Ich fragte nach, für alle Hemden oder doch nur für ein kleines Kinderhemd, der Händler lächelte nur. Nein, für alles zusammen. Ziemlich überrascht stimmte ich zu, der Händler legte die erstandene Ware zusammen und begann einzupacken. Dann kam Irat und meinte zum Alten, ohne ein Geschenk dazu ginge es doch wohl nicht. Der entschuldigte sich gleich und legte noch ein dezentes weißes Kopftuch mit vielen kleinen Silberglöckchen dazu, für die Frau. Ich bezahlte und verließ den Laden, Irat war schon draußen.
Keine Provision, gar nichts, statt dessen die Frage, was ich sonst noch zu kaufen wünsche.
Durchaus angenehm überrascht sollte es nun ein großer Silberteller sein, mit Stützen dran, zum aufstellen als kleinen Tisch. Irat meinte, da müssten wir aber wieder ziemlich weit laufen, mir aber war es gleich, denn sollte der Einkauf so von statten gehen, wie der der Hemden konnte ich doch zufrieden sein.
Also wieder weiter durch das Gewirr und irgendwann landeten wir tatsächlich in einem Kellerladen. Erneut mit einem Tee in der Hand erzählte mir Irat, da ja heute Freitag sei, wäre der Inhaber des Ladens gar nicht da, der sei in der Moschee zum Beten und statt dessen würde hier ein Berber aus den Bergen seine Sachen anbieten. Der erklärte mir auch gleich den Unterschied zwischen den Silberplatten für Touristen und den wirklich guten Stücken. Gut, das wusste ich schon selber und dann begann er vorzulegen, die schönen Stücke. Und es waren wirklich sehenswerte Exemplare guter Handarbeit, fein ziseliert und gut gehämmert, mit dem Stempel des herstellenden Künstlers und dazu auch schon relativ alt.
Recht schnell war dann eine Platte gefunden und der Berberhändler begann mit einer Erklärung zum Preis. 320 Euro (umgerechnet) würde er zum Anfang bei den Touristen verlangen, bis auf 280 noch runtergehen, unter 250 aber nicht verkaufen. Für mich sollten es dann, weil Mohammed vorher mit ihm gesprochen habe, als Endpreis 200 Euro sein. Nun gebe er mir noch einen Tee und Zeit zum Überlegen.
Irat kam wieder rein, rauchte noch eine meiner Zigaretten und besah sich die Ware sehr gründlich. Er fand winzige Fehler, die mir nie aufgefallen wären, hatte hier und da einige Bemerkungen zur Qualität und meinte, eine der Stützen wäre schief. Außerdem hätte der große Teller doch besser poliert sein können, ich solle dem Händler nicht mehr als 75 Euro dafür bieten. Das sei genug und ein bisschen Gewinn sei dafür auch noch drin. Ziemlich überrascht bat ich ihn, mir noch mal seine Preisvorstellung zu sagen, er blieb dabei, mehr als 80 auf keinen Fall.
Ich schaute mir vorsichtshalber meine Bargeldbestände an und stellte fest, so viel war gar nicht mehr vorhanden. Durch den aufdringlichen Schlepper am Anfang hatte ich vergessen, mir Bargeld zu besorgen und mit Karte konnte ich hier nicht bezahlen.
Irat meinte, das sei nun überhaupt kein Problem, ich solle das Teil doch erst mal kaufen, alles andere würde sich dann finden. Doch geschockt vernahm der Händler mein Angebot, schaute zu Irat, der sichtlich uninteressiert im Ladeneingang die Passanten musterte und meinte, für den Preis könne ich sicherlich eine netten Touristenteller bekommen, das schöne Stück hier aber nicht.
Nun, wir redeten eine ganze Weile, Zahlen gingen hin und her, ich blieb dabei und schließlich gab er auf. Für 80 Euro war die Platte nun mir. Irat kam, monierte die schiefe Stütze und die Platte bekam vier neue Beinchen, dazu noch längere, was noch besser war. Beim einpacken reklamierte Irat noch das fällige Geschenk und der Händler packte noch einen ganz kleinen (Touristen-)Teller dazu. Inzwischen hatte Irat den finanziellen Engpass erklärt, was den Händler nicht wirklich beunruhigte. Ich solle die Ware doch gleich mitnehmen, er käme um Fünf zum Hotel um sich die Bezahlung dort abzuholen. Es war kaum glauben, er überließ mir den Teller nur auf die Angabe des Hotelnamens.
Ich hätte doch lügen können, ausgerechnet den Namen des besten und teuersten Hotels der Stadt zu nennen, auch müsste ich gar nicht zu einem Treffen gehen, einfach mitnehmen und verschwinden, wäre ohne Weiteres möglich. Zumal mir Irat im Beisein des Händlers erklärte, er würde mich jetzt noch zum Ausgang des Souk bringen und dann nach Hause gehen, es wäre jetzt Zeit für ihn. Aber das Vertrauen war wohl grenzenlos und mein freundlicher Helfer brachte mich wieder zurück zum Djemaa El Fna. Unterwegs bedankte ich mich bei Irat. Der meinte, das wäre doch selbstverständlich und bedanken brauche ich mich dafür nun wirklich nicht. Berber würden so was gerne tun und den Gästen seines Landes, müsste man ja wohl helfen, sie sollten sich doch schließlich wohlfühlen. Ich war wirklich soweit, ihm tatsächlich etwas Geld für seine ausgezeichneten Dienste anzubieten, das Ansinnen wies er aber fast entrüstet zurück, nicht mal einen Kaffee oder ein kleines Essen wollte er annehmen. Er wünschte mir noch einen schönen Aufenthalt in seinem Land, wir schüttelten die Hände und schon war er weg, schnell verschwunden im Gewirr der Gassen.
Ich gönnte mir einen Kaffee und dachte noch lange über das Erlebte nach, ich glaube dieses Verhalten ist wirklich nicht selbstverständlich und mir bei vielen Reisen in Nordafrika so auch noch nie passiert. Irat war der beste Botschafter seines Landes und hat mehr getan als alle Politiker zusammen. Ach ja, um Fünf habe ich vor dem Hotel gewartet, der Händler kam 15 Minuten zu spät und bedankte sich auch noch sehr nett für die Bezahlung. Wir unterhielten uns noch etwas, den Irat würde er nicht kennen, aber der sei ja Berber, genau wie er selbst, und wer als Fremder mit einem Berber in den Laden käme, dem könne man in allen Dingen vertrauen. Schön, dass es so was noch gibt. Bis zum nächsten Mal in Marrakesch!
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Wolfgang Grüner
Unser Autor Wolfgang Grüner ist freier Journalist für Touristik, Kulinarik und Musik und lebt in Köln.
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