Stuttgart

Bei Jüngeren vor allem auf Krebs achten, bei Älteren auf heiße Knoten

In Deutschland, einem Jodmangelgebiet, sind Schilddrüsenknoten weit verbreitet. Zwar sind die Knoten insgesamt nur sehr selten bösartig, allerdings tritt Krebs zunehmend häufiger bei jüngeren Frauen auf. Aber auch gutartige, sogenannte „heiße“ Schilddrüsenknoten können vor allem bei älteren Menschen zu Problemen führen und Vorhofflimmern oder Osteoporose auslösen – sogar, wenn die Laborwerte noch unauffällig sind.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Deutschland erneut zum Jodmangelgebiet erklärt.

Dies ist die Ursache, weshalb Schilddrüsenknoten hierzulande sehr häufig auftreten: Bei über 65-Jährigen lassen sich die Knoten bei der Mehrheit der Untersuchten finden, wie die epidemiologischen Studien SHIP und KORA belegen.2 „Die meisten Knoten werden zufällig entdeckt, sind in der weiteren Abklärung unauffällig und verursachen keine Beschwerden“, stellt Professor Dr. med. Michael Kreißl fest. „Sie bedürfen keiner Therapie, nur einer Kontrolle“, fügt der Leiter der Nuklearmedizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hinzu.

Eine Aufgabe, die in den hausärztlichen Kompetenzbereich fällt. „Wir nutzen zur Kontrolle die körperliche Untersuchung, vor allem den Ultraschall sowie Labortests“, erläutert Günter Stephan, Facharzt für Allgemeinmedizin und Sprecher der Leitungsgruppe am Institut für Hausärztliche Medizin (IHM) der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der weitaus größte Anteil unverdächtiger Knoten wird sich auch im längerfristigen Verlauf nicht in ihrer Größe verändern.3 „Zeigen sich jedoch auffällige Veränderungen, sollten die Knoten einer nuklearmedizinischen Beurteilung zugeführt werden“, so Stephan.

Schilddrüsenkrebs nimmt bei jüngeren Frauen zu

Denn nicht alle Knoten sind harmlos. Zum einen findet sich in den vergangenen Jahren bei Patientinnen und Patienten unter 40 Jahren häufiger Schilddrüsenkrebs, was zum Teil an besseren diagnostischen Methoden liegt. „Schilddrüsenkrebs ist zwar insgesamt selten“, sagt Privatdozent Dr. med. habil. Stefan Karger. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Knoten bösartig ist, liegt bei 1,1 Prozent, wie eine aktuell publizierte Studie4 zeigt“, präzisiert der Leipziger Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie. Allerdings steigen Studien zufolge die Fälle von Schilddrüsenkrebs in den Industrieländern deutlich an, vor allem auch bei jüngeren Frauen.

Heiße Knoten werden bei älteren Menschen unterschätzt

Zum anderen können auch sogenannte „heiße“, immer gutartige, Schilddrüsenknoten Probleme bereiten – dazu zählen mehr als 20 Prozent aller Knoten. „Ein Drittel davon löst eine latente oder sogar manifeste Schilddrüsenüberfunktion aus“, berichtet Karger. Auch wenn die latent vorhandene Überfunktion keine spürbaren Beschwerden macht, könne sie für ältere Menschen gravierende Auswirkungen auf Herzkreislaufsystem und Knochenstoffwechsel haben. „Dieser Effekt wird immer klarer, aber häufig noch unterschätzt“, sagt Karger. So fördert die Überfunktion das Auftreten von Herzrhythmusstörungen – vor allem von Vorhofflimmern6 – und erhöht das Risiko für Schlaganfälle sowie für Herztod und Herzinsuffizienz, wie neue Daten belegen. Die Überfunktion begünstigt zudem Osteoporose: In der Folge steigt das Risiko für Schenkelhalsfrakturen um 36, das Risiko für Wirbelkörperbrüche sogar um 51 Prozent.

Sichere Diagnose: Ab einem Zentimeter Größe sollte eine Szintigrafie erfolgen.

„Daraus ergibt sich für Ärztinnen und Ärzte im Behandlungsalltag die große Herausforderung, aus der Vielzahl zufällig entdeckter Knoten die behandlungsbedürftigen herauszufiltern“, betont Dr. med. Gesche Wieser, Vorstandsmitglied des BDN. Hier gilt: Bei Schilddrüsenknoten, die größer als ein Zentimeter sind, ist nach Ultraschall- und Laboruntersuchung eine Szintigraphie erforderlich. „Nur mit der Schilddrüsenszintigrafie lassen sich heiße Knoten sicher identifizieren – und dies sogar zu einem sehr frühen Zeitpunkt, noch bevor sich Veränderungen bei den Laborwerten abzeichnen“, erläutert die Freiburger Fachärztin für Nuklearmedizin.

Eine rechtzeitige Diagnose ist auch bei Krebsverdacht entscheidend, insbesondere für jüngere Patienten und Patientinnen. „In frühen Stadien ist die Erkrankung gut behandelbar und kann in den meisten Fällen geheilt werden“, sagt Wieser. Diagnostische Verfahren, die hier zum Einsatz kommen, sind neben der Schilddrüsenszintigrafie auch Ultraschall und die Feinnadelpunktion sowie die MIBI-Bildgebung (MIBI steht für „Methoxy-isobutyl-isomitril“). „Bei der Punktion entnehmen wir mit einer dünnen Nadel Zellen aus verdächtigen Schilddrüsenknoten“, erklärt die Nuklearmedizinerin. „Eine Punktion kann unkompliziert in der Facharztpraxis durchgeführt werden und ist kaum schmerzhaft.“

Bei Krebs ist eine Operation erforderlich, oft gefolgt von einer Radiojodtherapie

Liegt ein hochgradiger Krebsverdacht vor, ist eine Operation angezeigt. Je nachdem, wie das Ergebnis der fein geweblichen Untersuchung ausfällt, wird zusätzlich eine Radiojodtherapie empfohlen. „Internationale Daten aus großen Krebsregistern zeigen, dass die Radiojodtherapie nach Operation in vielen Tumorstadien mit einem längeren Überleben verknüpft ist“, sagt Kreißl. „Es muss jedoch jeder Fall individuell betrachtet werden.“

Bei der Radiojodtherapie schlucken die Patientinnen und Patienten eine kleine Kapsel, die mit radioaktivem Jod gefüllt ist. Das Jod reichert sich über die Blutbahn in eventuell nach der Operation noch verbliebenem Schilddrüsenkarzinomgewebe an und zerstört es von innen. Die Verteilung des radioaktiven Jods kann mit einer speziellen Gammakamera dargestellt werden. „Mit dieser hochempfindlichen Untersuchung nach Therapie können sehr viele Betroffene beruhigt werden, dass der Tumor nicht gestreut hat“, sagt Kreißl.

Gegen heiße Knoten helfen Radiojodtherapie oder lokalablative Verfahren

Für heiße Knoten, die immer gutartig sind, kommt neben einer Operation ebenfalls die Radiojodtherapie in Betracht, wird jedoch anders dosiert. „Sie wird in Deutschland ‚maßgeschneidert‘ angewendet, um das kranke Gewebe gezielt zu zerstören und das gesunde zu schonen“, so Kreißl. Die Erfolgsrate liegt bei einmaliger Therapie bei 90 Prozent, die Volumenreduktion der Knoten kann ebenfalls bis zu 90 Prozent betragen. Der Behandlungseffekt tritt allerdings etwas verzögert ein, binnen weniger Wochen bis Monate.

Zusätzlich stehen bei gutartigen Knoten sogenannte lokalablative Verfahren zur Verfügung, die häufig mit dickeren Nadeln („Sonden“) arbeiten: Radiofrequenzablation, Mikrowellenablation, Laserablation oder – nicht nadelbasiert – hochfokussierter Ultraschall. Langzeitergebnisse stehen bei den heißen Knoten noch aus. „Erste Daten zeigen aber, dass die Radiojodtherapie den lokalablativen Verfahren bei heißen Knoten überlegen ist“, sagt Kreißl.

Während lokalablative Verfahren in den zurückliegenden Jahren einen Aufschwung erleben, kommen Radiojodtherapie und Operation bei Schilddrüsenknoten seltener zur Anwendung.9 „Insgesamt ist man bei den Operationen erfreulicherweise zurückhaltender geworden“, stellt der Schilddrüsenspezialist fest.

Von Kerstin Ullrich

Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. Postfach 30 11 20, D-70451 Stuttgart. www.berufsverband-nuklearmedizin.de

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