Dr. Gerhard Frank

Eine neue Art des Reisens

Corona: Ein winzig kleines Virus, gerade einmal ein zehnttausendstel Millimeter groß, hat die Menschheit über Wochen lahmgelegt. Ein unsichtbares Partikel aus Proteinen und Nukleinsäure. Welche Spuren wird das in den Menschen hinterlassen? Spuren, die auch im Reiseverhalten ankommen?

Von der Fantasie in die Wirklichkeit reisen

Das menschliche Erleben teilt das Reisen in zwei Abschnitte, die iterativ aufeinanderfolgen. Zuerst reisen wir in der Fantasie. Wir träumen mit offenen Augen davon, was wir im nächsten Urlaub erleben wollen. Das ist die Basis unserer Buchungs-Entscheidungen. Dann übersetzen wir unsere virtuellen Abenteuer im Kopf in die Realität. Wir reisen in der Wirklichkeit. An den Zielort unserer Träume. Und wenn dann die Wirklichkeit unsere Träume übertrifft, sind wir glücklich. Wenn nicht, schlecht für den / die Gastgeber/in.

Wovon werden wir träumen, wenn die Corona-Krise vorbei ist?

Noch immer von demselben wie davor?

Oder hat dieses winzig kleine Partikelchen unser Erleben in der Fantasie verändert?

Das ist die entscheidende Frage für TouristikerInnen.

Die Fantasie arbeitet mit Bildern, die sie zu Geschichten aneinanderreiht. Die Bilder stammen von Erfahrungen mit starker emotionaler Besetzung. Realen oder virtuellen Erfahrungen, Letztere vermittelt von der Werbung. Die daran geknüpften Emotionen sorgen schließlich für ein Weiterleben im Kopf. Für unser „Kopfkino“.
Wird es nun Erfahrungen aus der Coronazeit geben, die das Kopfkino mit neuen Inhalten bereicherten? Inhalten, die in der Folge das Reiseverhalten verändern könnten?

Eine Phänomenologie der Auszeit

Durch die Medien gingen während der Auszeit beeindruckende Bilder und Meldungen, die Hoffnung gaben. Sie erzählten davon, dass die Menschen in dicht besiedelten Gebieten plötzlich wieder blauen Himmel sahen. Dass sich die Luftqualität fast schlagartig verbesserte. Dass die Tiere in ihre angestammten Lebensräume zurückkehrten. Zum Beispiel wurden wieder Delfine in den Adriahäfen gesichtet, weil die großen Schiffe ausblieben.
Plötzlich hörte man wieder die Stimmen der lebenden Natur. Auch in der Stadt. Vogelgezwitscher, Bienensummen, das leise Rascheln der Frühlingsblüten im sanften Wind. Ja, es gibt noch Bienen und ihre Bestände können sich wieder erholen, wenn wir es zulassen! Und dann der Duft der Blüten auf den Obstbäumen!
Das Leise behauptete sich wieder gegenüber dem Lauten. Das Langsame gegenüber dem Schnellen. Das Subtile gegenüber dem Aufdringlichen. Irgendwie war dies alles wohltuend, entschleunigend. Der Druck war aus allem heraußen. Das Oberflächliche. Nun selbst erlebt und nicht nur davon geredet. Wir wissen es nun aus erster Hand. Wen lässt das wieder los?

Begegnungen in der Auszeit

Die Begegnungen zwischen den Menschen, sofern sie überhaupt möglich waren, hatten eine andere Qualität. Plötzlich wurde allen klar, wie wichtig der, die andere ist. Dass wir einander brauchen. Dass sanfte Berührungen wichtig sind, die wir nun unterlassen mussten. Dass ein Lächeln im anderen dasselbe hervorzaubert. Dass jeder Einzelne von uns Achtsamkeit und Aufmerksamkeit verdient, die nur dann möglich sind, wenn wir uns füreinander vorsichtig öffnen.

Vielleicht hat der Corona-Virus der Masse endgültig den Todesstoß versetzt

Wir werden in Zukunft Menschenmassen mit anderen Augen sehen. Kaum mehr euphorisch. Manche haben es schon vorher getan. Das heißt, nicht, dass wir nicht mehr zusammenkommen werden. In Stadien oder zu Festen. Aber wir werden es vorsichtiger tun. Bewusster. Dem Leben irgendwie angemessener, das Vorsicht verdient. Denn wir wissen jetzt, dass ein winzig kleines, unsichtbares Partikel alles im Handumdrehen beenden kann.

Vielleicht hat der Corona-Virus das Ende der Spaßkultur eingeläutet

In bangen Momenten haben wir Freude erlebt. Die aufblühende Natur im Frühling. Ein Gespräch mit Familienmitgliedern. Gegenseitige Hilfe unter Nachbarn. Diese Momente haben uns Hoffnung und Zuversicht geschenkt. Wie anderes wirkten doch diese stillen Freuden als der laute Spaß, den wir bisher für unverzichtbar hielten! Verblüffend, gerade in der Auszeit diese Erfahrung zu machen. Dass Freude viel länger nachwirkt als Spaß. Dass letzterer nur an der Oberfläche kratzt, während die Freude viel tiefer geht.

Das alles, denke ich, wird das Reisen verändern

Wir werden diese Keime des Neuen nun auf unseren Reisen mitnehmen. Wenn wir es zulassen, werden sie sich entfalten. Wie beglückend müssen diese Freuden sein, wenn wir zugleich nicht mehr bangen müssen?

Gerade für Österreich ist dies eine Riesenchance der Profilierung. Wir sind gesegnet mit Naturräumen. Wir sind gesegnet mit kulturellen Gütern. Beides bereitet entschleunigt, entmasst und entspasst viel mehr Freude. Wenn das unsere Gäste mithilfe der österreichischen GastgeberInnen wiederentdecken werden, wird es kein Zurück mehr geben.

Wer, wenn nicht die österreichischen GastgeberInnen können der Welt daher zeigen, wie das Reisen nach Corona aussieht? Wer, wenn nicht wir können unsere Gäste an einem Erleben teilhaben lassen, das uns als Menschen entfalten lässt und allen guttut? GastgeberInnen und Gästen gleichermaßen.

Und wenn dann die anderen von uns lernen, sind wir alle auf einem guten Weg.

Dr. Gerhard Frank ist promovierter Naturwissenschaftler und Philosoph, beschäftigt sich seit mehr als 3 Jahrzehnten mit dem Inszenieren von Erlebnissen. Nationale und internationale Auftraggeber aus dem Freizeit- und Kulturbereich schätzen seine erlebnisdramaturgische Kompetenz, die sowohl für Attraktionen als auch Veranstaltungen und regionale Dramaturgien beeindruckende Lösungen liefert. Als Begründer der Erlebniswissenschaft ist er Autor einschlägiger Publikationen sowie Keynote-Speaker und Hochschullektor. www.erlebniswissenschaft.com

Ein Beitrag von Dr. Gerhard Frank.  

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