Ines Geipel

Bevor sich mir ein Buch mit unbekanntem Autor erschließt, schaue ich mir die Vita des meist selbst ernannten Schriftstellers an.

Lt. WIKIPEDIA ist Ines Geipel, auch Ines Schmidt (* 7. Juli 1960 in Dresden), eine ehemalige ostdeutsche Leichtathletin und heute Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Sie betätigt sich als Schriftstellerin und Publizistin, besonders in der Aufarbeitung ihrer Erfahrungen als Doping-Opfer der DDR-Diktatur. Im Sommer 1989 flüchtete Geipel über Ungarn aus der DDR. Heute lebt sie in Berlin.

Umkämpfte Zone von Ines Geipel, Verlag Klett-Cotta

Umkämpfte Zone: Das neue Werk von Prof. Geipel Umkämpfte Zone dokumentiert, wie vorhergehende Editionen, Stationen ihres persönlichen Lebens. Sie startet mit der Sterbephase ihres jüngeren Bruders Robby, der hoffnungslos gegen den Krebs ankämpft. Einfühlsam am Krankenbett, authentisch, ehrlich, erinnernd, berührend, fragend, antwortlos, liebevoll. Diese meisterhaft geschilderten Momente sind die literarischen Leckerbissen dieses Buches. In diesem Stil hätte die Enthüllung eines komplizierten Lebens weitergehen können. Der Versuch aber, die Familiengeschichte mit der DDR-Geschichte zu kombinieren, glückt meist nicht. So zerfällt das interessante Werk in zwei Teile einer Historie, die einer gut situierten Verwandten-Gemeinschaft in Sachsen und die von Hitler über Honecker bis ins Heute.

ReiseTravel Fact: Mit ihren Vorfahren macht es sich Geipel nicht leicht. Da wird versucht, Verdrängtes und Verleugnetes sichtbar zu machen. Nazi-Großeltern in Riga, Vater an der unsichtbaren Front als Instrukteur im Operationsgebiet, schweigende Mutter als DDR Erfolgsfrau. Die schonunglosen Einblicke in ein solches häusliches Leben trifft man selten. Dazu die ständigen Fragestellungen nach dem Warum und Wie, auf die der Leser keine plausiblen Antworten erhält. Weder für Kriegskinder noch Kriegsenkel oder die Generation Mauer. Ganz anders aufgezogen hat die Autorin die bewegte deutsche Historie ihrer Zeit. Dem Titel „Umkämpfte Zone“ gerecht werden die kommentierten Geschichten um Ulbricht und die Kommunisten in der Zone und später das „Experimentierfeld Ost“ mit der Entwicklung von Pegida und AfD. Ein ganz besonderes Anliegen bleibt für die Autorin die überhöhte Aufarbeitung des widersprüchlichen Buchenwald-Komplexes. Dafür werden Geschichtswissenschaftler bemüht, damit auch jede einseitige Ausdeutung kommunistischer Heroen am Weimarer Ettersberg schwindet. Insofern nähert sich der Geschichtsabriss eher einer persönlichen Dokumentation zum „Gesäuberten Antifaschismus“. Im Buch muss sogar eine recht herbeigeholte Analyse der harmlosen DEFA-Indianerfilme herhalten, um die deutsche „Schuldmasse“ einzuordnen: „Das reale Land (DDR) war dicht, aber in den mythischen Weiten der rotgehäuteten Brüderlichkeit brachten die Mauerkinder die auf sie übertragene Schuldmasse der Eltern- und Großelterngeneration wenigstens stundenweise unter“. Noch dicker wird’s, wenn wenig später Neu-Historikerwerke bemüht werden, die aussagen, dass Minderheiten wie Skinheads und Punks die Basen eines Rassismus waren. Es geht hier nur um RECHTS und den Versuch, den Hass im Osten einzig mit Vergangenheit, Verschweigen und Volksverdummung zu erklären. Dazu gesellen sich Beurteilungen aus der Nachwendezeit von Neu-Klassikern, Philosophen, Analytikern, Historikern, Dichtern. Aber alle diese theoretischen Geschichts- und Erkenntnisfolgerungen sind in sich widersprüchlich, beweislos und für den normalen Leser unverständlich. Jede neue Generation macht ihre Erfahrungen aus und in einem konkreten gesellschaftlichen Umfeld. Und im Schicksalsjahr 2019 sind die Verhältnisse nun mal so. Da bringt es auch nichts, jetzt sogar die „Einheitskinder“ als die Bösen im Osten zu brandmarken. Am Schluss schreibt Geipel aber auffordernd: „Der Osten braucht einen guten inneren Ort, er braucht ein eigenes Narrativ, er braucht die öffentliche Anerkennung seiner langen Schmerzgeschichte, er braucht Differenzierung, und seine Erfahrungen müssen nach draußen, in den politischen Raum, in die Bildung, vor allem aber an den Familientisch“. Die „Umkämpfte Zone“ bleibt ein lesenswertes Buch mit Widerspruch. Die Schriftstellerin hat uns überrascht mit vielen originellen und wohlklingenden Neologismen. Dann hat sie uns auch ihre Methodik beim Schaffensprozess verraten. Nicht die ständigen Fragestellungen für das Nachdenken des Lesers. Nein. Ihre Methode mit den Zetteln. Das kennen wir ja inzwischen aktuell auch bei Fontane 200. Insgesamt ein aufwendig recherchierter Historienband – aber auch die liebevolle und tragische Geschichte von Bruder und Schwester in dem nicht nur ostdeutschen Schweigepakt. Von Günter Knackfuss.

Umkämpfte Zone von Ines Geipel, Verlag Klett-Cotta. 4. Druckauflage 2019, 277 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN: 978-3-608-96372-4. www.klett-cotta.de

Das Buch kostet im Buchhandel 20,00 Euro.

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