Berlin

Premiere bei der Jobsuche - Arbeitgeber rollen Bewerbern Roten Teppich aus

Deutschland spricht vom demografischen Wandel: Die Deutschen werden weniger, was ihre Zahl angeht. Hintergrund ist natürlich, die Geburtenraten gehen seit vielen Jahren kontinuierlich zurück. Vergleicht man die Sterbefälle mit den Geburtenraten, ist schnell erklärlich, warum wir mit sinkenden Einwohnerzahlen operieren müssen. Heutzutage sind politisch Verantwortliche schon glücklich, wenn es eine Nullsummen-Rechnung gibt, das also die Neugeborenen die Zahl der Verstorbenen auffängt. Seit Jahren geht es aber ständig in die andere Richtung, zuungunsten der gesamten Einwohnerzahl. Dieses Zahlenverhältnis bereitet ganz besonders Arbeitgebern Kopfschmerzen. Oft kann trotz verbesserter Arbeitsbedingungen wie Lohnerhöhung, freie Monatskarte im öffentlichen Nahverkehr, kostenlosen Erfrischungsgetränken während der Arbeitszeit und sogar kostenloses Mittagessen beim Kantinenbesuch die Stelle nicht besetzt werden. Arbeitgeber suchen verzweifelt geeignete Bewerber und stellen nur zu oft fest: Die Suche ist nicht von Erfolg gekrönt.

Es stellt sich die Frage: Woher nehmen wir bloß die neuen Kollegen? Personalchefs wissen häufig keine Antwort darauf. Selbst im Ausland wird gesucht. Erinnert sei hier an Aktionen wie Greencard. Durch diese Maßnahme sollten besonders Internetfachleute aus Ländern wie Pakistan und Indien nach Deutschland gelockt werden. Allerdings blieben die Bewerberzahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Heute rollen daher die deutschen Arbeitgeber buchstäblich den Bewerbern einen Roten Teppich aus. Kürzlich gab es eine Premiere in Berlin. Ein Reisebus fuhr mit 25 Internetfachleuten ab zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche. Vier Berliner Firmen standen auf dem Besuchsprogramm.

Eingefädelt hat das Projekt die „jobEconomy“ aus Berlin. Andre Schmiljun ist dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und teilte mit, rund 70 Bewerbungen seien für den ersten „Fahrplan der Talent Tour“ eingegangen. Am Ende haben sich im Vorfeld diese 25 Bewerber für besonders geeignet erwiesen, an der Premieren-Tour teilzunehmen. Für den Arbeitsplatzsuchenden entstehen keine Kosten".

Der neue Arbeitgeber zahlt bei Erfolg der Job Economy ein vorher ausgehandeltes Honorar, sobald ein Bewerber bei ihm den neuen Arbeitsplatz antritt. Kam der Bus ans Ziel an rollten die Firmenchefs tatsächlich einen Roten Teppich aus. Die Computerfachleute konnten dann über den Roten Teppich laufen und die Firmen betreten. Der Firmeninhaber begrüßte die Gäste persönlich und stellte kurz sein Unternehmen vor. Dann erfolgte ein kurzer Rundgang durch das Unternehmen. Jeder Chef gab sich größte Mühe, seinen Betrieb in den allerschönsten Farben darzustellen. Bei der Berliner Unternehmung commehr GmbH ist Timo Glaser als Geschäftsführer tätig. Sein Systemhaus besteht seit 5 Jahren und hat 30 Mitarbeiter. „Mit großer Leichtigkeit“ kann der Geschäftsführer, der schwerpunktmäßig „IT-Lösungen und IT-Sicherheit anbietet, noch 10 bis 14 neue Kollegen einstellen". Allerdings mangelt es auch ihm an geeigneten Bewerbern. Er hofft darauf, dass nunmehr das nervenaufreibende Suchen vorbei ist. Jeder Bewerber hat einen Coupon vor Fahrtantritt erhalten mit seinen persönlichen Angaben. Zeigt er Interesse, wird dieser Coupon dem Firmeninhaber überreicht. Später trifft man sich und stellt dann schnell fest, ob beide Seiten sich wohlfühlen. Der Arbeitgeber möchte langfristig den neuen Mitarbeiter an sich binden. Der Arbeitnehmer möchte für die nächsten Jahre einen Arbeitsplatz haben, wo er gerne zur Arbeit geht. Daher gilt es, bei diesem persönlichen Vorstellungsgespräch alles abzuklopfen, damit es für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer ein Gewinn ist, diesen neuen Kollegen dort zu beschäftigen. Marco Kiewe ist verantwortlich für das Unternehmen SalA iT Development GmbH. Hier sind auch bereits 30 Mitarbeiter tätig. Schwerpunktmäßig werden Internetseiten sowie gestaltende Konzepte für den Grafikbereich erstellt. Ebenso werden sensible Kundendaten verwaltet, beispielsweise für eine Krankenkasse. „Mit einer von uns entwickelten Software arbeiten in einer Fabrik 1.600 Mitarbeiter". Auch hier werden gute Computerfachleute händeringend gesucht. Nun hofft auch dieser Firmenchef auf zahlreiche neue Kollegen. Er hält „Berlin für einen zusätzliche Trumpf. Berlin ist in aller Munde".

Vielleicht entschließen sich Kandidaten aus anderen Regionen, die heute in Berlin nur zu Gast sind, hierher zu ziehen und bei ihm die Arbeit aufzunehmen. Andre Schmiljun betont immer wieder, er „sorge für ein rundum Paket zum Wohlfühlen. Ob Wohnungssuche, passende Schule für den Nachwuchs und neuen privaten Klavierlehrer für den Junior, wir machen alles, was machbar ist". Dan Lahiri Agboli ist Geschäftsführer von Opera Plun GmbH. Seine Internetunternehmung hat 14 Beschäftigte. „Schnellstens möchten wir die Zahl der Mitarbeiter verdoppeln“.

Was kaum ein Chef gerne öffentlich zugibt: Teilweise haben manche schon Anfragen von neuen Kunden einfach ablehnen müssen mit dem Hinweis auf fehlendes Personal. Mit vielen freundlichen Gratisangeboten macht dieser Chef auf sich aufmerksam. So gibt es im Unternehmen eine 60 Quadratmeter große Tischtennishalle. Dort können sich die IT-Spezialisten entspannen. Muss vor Ort einem Kunden geholfen werden, entscheidet der Mitarbeiter, ob er den Firmenwagen dazu einsetzt oder lieber per Taxi gefahren möchte. Kaffee und Mineralwasser sind am Arbeitsplatz kostenlos bei Carsten Christian Vossel. Ihm gehört die CCVOSSEL GmbH. Zum Kundenstamm des Softwareentwicklers und IT-Berater gehören beispielsweise die Messe Friedrichshafen und der Bundesverband der Verbraucherzentrale. Das Unternehmen hat 24 feste Mitarbeiter und 12 freie. „Bis 2020 möchte ich gerne auf 50 Mitarbeiter kommen“. Beinahe schon mit sehnsüchtigen Blicken schaut dieser Chef die potenziellen Bewerber an, das haben die anderen Chefs bei dieser Bewerber Tour auch bereits getan. Bereitwillig und freudestrahlend nimmt jeder Firmeninhaber den Coupon des Bewerbers an. Natürlich erhält nicht jeder Chef einen der begehrten Coupons. Das kann viele Ursachen haben. Einmal wird ein neuer Kollege mit IT-Erfahrung für den Vertrieb gesucht und der Computerfachmann möchte lieber Internetlösungen erstellen als Verkaufsgespräche zu führen. Ein anderer wiederum sieht es genau umgekehrt. Manchmal sind es ganz persönliche Ursachen, warum ein IT-Spezialist bei einer Unternehmung nicht anfängt. Peter H. aus Brandenburg sagte uns: „Bei einer Firma habe ich zwei rauchende Mitarbeiter auf dem Balkon gesehen. Ich als Nichtraucher wünsche mir Nichtraucher-Kollegen oder zumindest ein Rauchverbot im gesamten Firmenbereich. Notfalls warte ich bei einem beruflichen Neuanfang, bis ich gesucht habe, was mir vorschwebt“.

Die meisten Unternehmen dieser Tour gehören zum Standbein der deutschen Wirtschaft, dem Mittelstand. An dieser ersten Bewerbertour nahm auch Birgit Zoschnik teil. Sie ist Regionalleiterin des BVMW, dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft. „Sehr stolz bin ich darauf, dass die BVMW-Mitgliedsbetriebe an dieser ersten Fahrt der Bewerber teilgenommen haben. In persönlichen Gesprächen mit den Firmenchefs habe ich die Rückmeldung erhalten, sie sind zuversichtlich, den einen oder anderen neuen Kollegen beziehungsweise Kollegin endlich gefunden zu haben.“ Ebenfalls nahm an dieser Premiere der Parlamentarier Rainer-Michael Lehmann aus dem Berliner Abgeordnetenhaus teil. „Es ist spannend, einmal leibhaftig erlebt zu haben, welche Wege die Arbeitgeber gehen, um neue Mitarbeiter zu finden. So kann zumindest teilweise das Problem des Fachkräftemangels behoben werden.“ Auch der Ausrichter job Economy ist vollauf zufrieden. „Die Auftaktveranstaltung ist erfolgreich gelaufen. Die nächsten Touren geht mit geeigneten Bewerbern in Krankenhäuser und Seniorenheime. Wir wollen dann Pflegekräften neue Arbeitsplätze vermitteln. Dann geht es mit dem Reisebus in Richtung Gaststätten und Restaurants. Dies tun wir aber nicht, um uns zu entspannen. Diese Tour wird dann durchgeführt um der Gastronomie endlich die lang ersehnten neuen Beschäftigten zu stellen“, so Andre Schmiljun. www.jobeconomy.de - www.commehr.de - www.sala-it.de - www.opera-plun.de - www.ccvossel.de - www.bvmw.de

ReiseTravel Fact: Davon haben Generationen von Bewerbern in Deutschland geträumt: Der Arbeitgeber rollt ihnen einen Roten Teppich aus. In Berlin ist das wirklich so geschehen bei der ersten Talent-Tour. Möglich macht dies der Fachkräftemangel hierzulande. Gute Zeiten also für Arbeitnehmer. Kämpften früher Bewerber um einen Arbeitsplatz, so kämpfen heute Chefs um Bewerber und lassen sich zusätzlich zum Gehalt allerlei einfallen wie kostenloses Mitarbeiter-Handy, Firmenfahrzeug auch zur privaten Nutzung, Tischtennisplatte im Pausenraum und Fortbildungsmaßnahmen, sogar in Übersee. Selbstverständlich übernimmt die Firma alle anfallenden Kosten.

Ein Beitrag für ReiseTravel von Volker T. Neef.  

Volker T. Neef ReiseTravel.euUnser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.

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