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Ein deutsch polnischer Schicksalsfluss und sein Einfluss auf unsere Zeit
Reisen nach Polen liegen im Trend: Es gibt Flüsse, die verbinden. Sie verbinden Staaten oder Regionen miteinander, ermöglichen Handel und Verkehr. Die Elbe ist so ein Fluss oder die Donau. Und dann gibt es Flüsse, die trennen, weil sie Grenzen markieren. Das ist heute bei Inn und Salzach, beim Rhein oder bei Oder und Neiße so.
Oder - Neiße – ein Synonym für eine willkürliche Teilung?
Die Alliierten verständigten sich bei der Konferenz in Teheran 1943 auf die neuen Grenzen eines besiegten Deutschlands, wobei die Sowjetunion die Gebiete, die es bei der Teilung Polens 1939 erhalten hatte, weitgehend behielt. Polen sollte dafür als Ausgleich die Gebiete Schlesien, Pommern und Teile der Lausitz erhalten, die Flüsse Oder und Lausitzer Neiße waren die neue Grenze Polens nach Westen. Stettin, Danzig, Breslau - sie waren nun polnische Städte. Jahrhunderte alte Verbindungen waren plötzlich getrennt, Grenzübergänge beschränkten sich nun auf Brücken, soweit sie nach dem Krieg noch bestanden.
Schwieriges Verhältnis
Sowohl in der sowjetisch besetzten Zone wie auch in den drei Westzonen wurde diese Grenzziehung nicht akzeptiert, die Bevölkerung wollte die nun polnischen Gebiete nicht verlieren.
„Die Demokratie wird in Deutschland nur dann lebensfähig sein, wenn das deutsche Volk den Lebensraum behält, den es seiner Größe nach zu beanspruchen hat. In einem um ein Drittel verkleinerten Haus kann ein 65 Millionen Volk nicht leben. Die Grenze kann dafür auch nicht die Oder-Neiße-Grenze sein. Um ein so großes Volk zu ernähren, benötigt man einen ausreichenden Landbesitz oder eine Industriekapazität, die uns in die Lage versetzt, durch Export unserer Erzeugnisse und den Import von Lebensmitteln die Ernährung sicherzustellen.“ Dies ist ein Zitat von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl auf einer Kundgebung zum Jahrestag der Novemberrevolution am 11. November 1945. Auch die SED als Partei hatte mit der Grenze ihre Probleme, stellte sie noch auf ihren Vereinigungsparteitag im April 1946 die Oder-Neiße-Grenze infrage.
Erst 1949 wurde die Grenze an Oder und Neiße von der eben gegründeten DDR anerkannt und am 6. Juli 1950 durch das Abkommen von Görlitz, dem ersten Staatsvertrag der noch jungen DDR besiegelt. Doch blieb die Grenze, für viele Bewohner der DDR, ein Problem, zumal der junge Staat viele der aus Polen Vertriebene aufgenommen hatte. Doch das „Thema Flucht und Vertreibung“ wurde in der DDR totgeschwiegen, es gab nur Umsiedler. Trotz des Vertrages blieb das Verhältnis zwischen Polen und der DDR schwierig, die Grenze für den Reiseverkehr geschlossen.
Es gab jedoch einen regen Verkehr von Arbeitskräften, die aus Polen zunächst in die grenznahen Kreise, später in die gesamte DDR fuhren. Der wirtschaftliche Ausbau der DDR benötigte viele Arbeitskräfte, zumal bis 1961 viele gut ausgebildete Facharbeiter ihren Weg in den Westen fanden.
Mit den Gesprächen im Mai 1969 Polens mit der Bundesrepublik Deutschland änderte sich erneut das Verhältnis zwischen Polen und der DDR, zumal die beiden Staatsführer, Ulbricht und Gomolka auch persönlich im Streit lagen. Mit dem Warschauer Vertrag von 1970 anerkannte nun auch die BRD die Grenze an Oder und Neiße als endgültige Grenze an, die DDR als Puffer gegen westdeutsche Gebietsansprüche war nicht mehr erforderlich. Erst zu Beginn der 70er Jahre verbesserten sich die Beziehungen wieder, neue Leute saßen an den Schalthebeln. Gierek und Honecker gelang es nun schnell, das Verhältnis vor dem Hintergrund der beginnenden Ost-West-Entspannung zu entkrampfen und ohne persönliche Anfeindungen zu versachlichen. Man wollte nun auch daran gehen, die gesellschaftlichen Begegnungen zu intensivieren.
1972 folgte das Reiseabkommen, einem einmaligen Experiment im gesamten Ostblock: Der visafreie Verkehr zwischen Polen und der DDR. Den DDR-Bürgern sollte so wenigstens Reisefreiheit nach Osten ermöglicht werden.
Polen wurde sehr schnell das bevorzugte Urlaubsland. Tausende polnischer Vertragsarbeiter kamen nun in die DDR und im Laufe der Jahre wurden sogar 10.000 deutsch-polnische Ehen geschlossen. Die Reise nach Polen konfrontierte die Bürger der DDR mit den deutlichen und vielfältigen Spuren einer ganz anderen deutschen Geschichte, als sie zuhause gelehrt wurde. Zudem wurde Polen zum Mekka kulturinteressierter Ostdeutscher, denn der Kontrast der alles reglementierenden DDR zum kulturell liberalen Polen, in dem so viel Respektlosigkeit und feine Ironie toleriert wurden, war riesig. Neben Polen musste die DDR vielen kleinbürgerlich, spießig und eng erscheinen.
Bald nach der Grenzöffnung setzte von polnischer Seite ein reger Einkauftourismus ein, der die DDR-Märkte überlastete, die Polen drohten die DDR, zumindest ihre grenznahen Regionen, leer zu kaufen. Viele Konsumgüter waren auf deutscher Seite durch die hohen Subventionierungen viel günstiger und viele Polen kauften vor allem Schuhe und Textilien in großen Mengen. Das empfand die DDR-Gesellschaft mit ihrer Mangelwirtschaft schnell als bedrohlich. Es kam zu Feindseligkeiten, Beschimpfungen, sogar zu Übergriffen. Schnell waren die alten Stereotype wieder da, böse Witze machten die Runde, und der alte deutsche Hochmut Polen gegenüber feierte fröhliche Urständ. Die DDR empfand Polen als reinen Rohstofflieferanten, die Polen ihrerseits als sehr national empfindendes Volk hatte mit der Existenz zweier deutscher Staaten Probleme.
Der polnische Schriftsteller Andrezej Szczypiorski brachte es auf den Punkt: „In der DDR hatte die Vergangenheitsbewältigung gemeinschaftlichen Charakter. Sie wurde vom Staat gelenkt und war entsprechend ideologischer Prinzipien entworfen worden. Vom Standpunkt des Individuums war dies die einfachere Gewissenserforschung. Sie erforderte kaum Nachdenken über Moral, nur Disziplin und Unterordnung. In der Bundesrepublik war es das moralische Problem des einzelnen Deutschen, in der DDR ein politisches gesellschaftliches Problem. Kein DDR-Bürger war dazu verpflichtet, sich über die deutsche Vergangenheit Gedanken zu machen. So ist es kein Wunder, dass offiziell zwar viel über Freundschaft mit dem Brudervolk geredet wurde, nicht aber über Versöhnung. Wo alter Hass und Vorurteile nicht aufgearbeitet wurden, konnte es zu keiner wirklichen Annäherung kommen. Als nach der Grenzöffnung von 1972 jährlich um die sechs Millionen Polen in die DDR strömten, erfuhren sie die Ablehnung seitens der DDR-Gesellschaft. Und sie nahmen nun an ihren Nachbarn westlich der Oder plötzlich auch angeblich typisch preußische Züge wahr: Überheblichkeit und einen an Obrigkeitshörigkeit grenzenden Mangel an Zivilcourage, gepaart mit kleinkariertem Perfektionismus. Diese Eigenschaften entsprachen den alten Vorurteilen, man suchte und fand sie auf beiden Seiten der Grenzflüsse gleichermaßen. Auch den Polen konnte deshalb nicht gelingen, hinter die Fassade sozialistischer Propaganda und auf die Menschen zu schauen.
„Rote Preußen“ wurden die Nachbarn in der DDR nun oft genannt, und manchmal auch geringschätzig - Dedeerow, DDRler. Zwar beneidete man die Menschen westlich der Oder um ihren Lebensstandard, das Land aber und die Gesellschaftsordnung mochten die Polen nicht: Als langweilig und überangepasst empfanden die meisten die DDR, ein Land im sozialistischen Gleichschritt. Nach den politischen Umwälzungen von 1989 hat sich statistisch gesehen der interkulturelle Kontakt inzwischen ausgeweitet: Allein in Frankfurt gibt es täglich um die 40.000 Grenzübertritte. Nicht wenige Kaufhäuser und Supermärkte in den deutschen Grenzstädten machen die Hälfte ihres Umsatzes mit Kunden aus Polen. Doch auch auf polnischer Seite hatte nicht plötzlich eine bisher unerfüllte Liebe zu den „roten Preußen“ entdeckt, und zu dem alten Negativbild gesellte sich in den letzten Jahren die Angst vor ausländerfeindlichen Übergriffen. Trotzdem empfinden die Menschen die deutschen Nachbarn nicht als Bedrohung, sondern sehen sie ganz pragmatisch als Geschäftspartner und Kunden. Wenn dies auch keineswegs als Zuneigung betrachtet werden kann, so geht die polnische Aufgeschlossenheit doch einen Schritt vorwärts auf dem Weg zu einer Normalisierung.“
Zitatende (Quelle: http://www.sed-opfer-hilfe.de /P%20O%20L%20%20E%20N%20Die%20schwierige%20Freundschaft%20mit%20der%20DDR.pdf)
Der Umbruch im Osten, der Zusammenbruch des Warschauer Paktes und die Wiedervereinigung Deutschland 1989/90 haben auch die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland verändert. Die Erwartungen auf eine Verbesserung, ja Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen war groß. Ähnlich wie im Verhältnis zu Frankreich sollte es auch mit Polen zu einer Aussöhnung kommen. Diese Hoffnungen wurden jedoch bisher enttäuscht, die Beziehungen der beiden Länder untereinander sind sehr schwierig, selbst die Mitgliedschaft beider Staaten in EU und NATO konnte daran nichts ändern. Das scheinbar normale Verhältnis wird immer wieder durch aufbrechende Konflikte gestört.
Dies liegt nicht zuletzt an den großen Unterschieden zwischen Polen und Deutschland. Deutschland als großer Staat in Mitteleuropa ist zentraler Bestandteil der EU, die Bevölkerung ist doppelt so groß wie die Polnische, die Wirtschaft zehnmal so groß, auch das politische Gewicht beider Länder ist sehr unterschiedlich, Deutschland hat vor allem in der EU einen viel größeren Einfluss als Polen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Polens, während die Importe aus Polen in der deutschen Bilanz kaum zu Buche schlagen.
Während die deutsche Gesellschaft eher an Polen desinteressiert ist, ist Polen sehr stark an seinen beiden großen Nachbarn, Deutschland und Russland interessiert. Diese Asymmetrien begründen unterschiedliche Interessen und zu einem differenzierten Selbstverständnis auf beiden Seiten führen. Zu dem ist das Verhältnis der beiden Staaten historisch stark belastet, doch ist noch nicht gelungen, in einem Dialog einzutreten und die gemeinsame Geschichte endgültig aufzuarbeiten, wie dies zwischen Frankreich und Deutschland bereits gelungen ist.
Die zwischenstaatlichen Beziehungen wurden bereits 1991 mit einem Vertrag über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit auf eine neue, solide Grundlage gestellt und so zu mindest staatsrechtlich auf ein sicheres Fundament gestellt.
Auf regionaler Ebene gibt seit 2006 die Oderpartnerschaft, die polnische Wojewodschaften und deutsche Bundesländer entlang der Oder und Neiße verbindet, um die Grenzregion weiter zu entwickeln und die Infrastruktur gemeinsam auszubauen. Auch auf kommunaler Ebene gibt es Partnerschaft und Zusammenarbeit.
Über allen politischen Ansätzen hinaus ist jedoch eine echte Partnerschaft und Aussöhnung zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk nur auf der Basis persönlicher, individueller Erfahrung möglich, die auf regen Austausch zwischen den Menschen beruht. Polen und Deutsche müssen sich gegenseitig respektieren und auf Augenhöhe miteinander verkehren. Polen und Deutsche können, über alle Gräben der Geschichte hinweg, wieder ein gutes Verhältnis entwickeln. Dies ist zwar, wie die Aussöhnung mit Frankreich auch, ein Jahrzehnte langer Prozess, doch am Ende mag er gelingen. Informationen: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutsch-polnische-beziehungen/
Ein Kommentar für ReiseTravel von Gottfried Pattermann.
Unser Autor ist als Journalist und Redakteur in Bayern tätig.
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