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Russische Bruderschaft besitzt in Tegel einen Friedhof
Berlin Tegel: Die „Bruderschaft des Heiligen Fürsten Wladimir“ ist ein russisch orthodoxer Wohlfahrtsverein. 1890 in Berlin gegründet, um in Not geratenen Bürgern aus Russland in Berlin zu helfen. Davon gab es damals viele, denn zahlreiche Bürger aus dem Zarenreich wollten nach Amerika auswandern und strandeten in der Metropole Berlin. Weil ihnen da bereits das Geld für die geplante Reise über den „Großen Teich“ ausgegangen war.
In der Wittestraße 37, befindet sich der einzige zivile russisch orthodoxe Friedhof in Berlin, ein 33.000 Quadratmeter großes Areals und Eigentümer ist die „Bruderschaft des Heiligen Fürsten Wladimir“. Auf dem Friedhofsgelände hatten die Anhänger der Bruderschaft 4.000 Tonnen Heimaterde aus Russland verteilen lassen, um somit sicherzustellen: Die Toten ruhen in russischer Erde. Dies sind russische Bürger aller christlichen Konfessionen sowie russisch orthodoxe Christen aus aller Welt. Die meisten von ihnen stammen aus den Ländern des orthodoxen Glaubens, also das ehemalige Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien.
Eine kleine Kirche steht inmitten des Friedhofes. Der deutsche Architekt Albert Bohm erbaute sie und die Einweihung des Gotteshauses wurde am 3. Juni 1893 feierlich begangen. 364 Tage später, am 2. Juni 1894, wurde der gesamte Friedhof eingeweiht.
Nach der Oktoberrevolution 1917 und dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 lebten fast 350.000 Russen zeitweise in Berlin, nun waren die Zeiten vorbei, wo der kleine überschaubare Friedhof die letzte Ruhestätte einzig und allein für in Berlin tätige Diplomaten und hier verstorbenen Touristen aus Russland war. Auf dem Friedhof steht ein monumentales Denkmal zu Ehren des Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka, der von 1804 bis 1857 lebte. Kuriosum: Der große Künstler liegt in St. Petersburg begraben, in Berlin wollte die Gemeinde ihm ein Denkmal ob seiner erfolgreichen Werke setzen. Dafür liegt ein anderer Komponist in Tegel auf diesem Friedhof begraben, Vladimir Bunin, der von 1908 bis 1970 lebte.
Zwei russische Minister haben in der Wittestraße ebenfalls ihre letzte Ruhestätte gefunden: Wladimir Alexandrowitsch Suchomlinow lebte von 1848 bis 1926 und hatte das Amt des Kriegsministers des zaristischen Russlands von März 1909 bis Juni 1915 inne.
Der ehemalige russische Justizminister Vladimir Dmitrijewitsch Nabokov, 1870 geboren, floh nach der Oktoberrevolution nach Berlin und gründete einen Verlag für Exilrussen. An der Berliner Philharmonie wurde der ehemalige Politiker 1922 durch Pistolenschüsse ermordet. Sein Sohn Vladimir Nabokov, der von 1889 bis 1977 lebte, kam als Autor zu Weltruhm. Anfangs gab er seine Werke in Berlin heraus und kurz vor der Machtergreifung der Nazis floh der Schriftsteller mit seiner jüdischen Ehefrau in die USA, wo er den Roman „Lolita“ veröffentlichte.
Ein weiterer Künstlervater ruht in Tegel: Der 1867 in St. Petersburg geborene Architekt Michail Ossipowitsch Eisenstein starb 1921 in Berlin. Ab 1915 durfte er sich „Staatsrat“ nennen, diesen Titel hatte ihm Zar Nikolaus II. verliehen. Die offizielle Anrede für den damals als „Stararchitekten“ gehandelten Eisenstein war daraufhin „Euer Hochwohlgeboren“. Der Sohn dieses „Hochwohlgeborenen“ ist der 1898 geborene Sergei Michailowitsch Eisenstein, der von 1898 bis 1948 lebte und als Filmregisseur mit seinen Werken wie „Panzerkreuzer Potemkin“ und „Oktober“ von sich reden machte.
In der Zeit des Nationalsozialismus und in den ersten Nachkriegsjahren fanden aus der UdSSR stammende Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Soldaten hier ihre letzte Ruhestätte. Einige Soldatengräber geben als Todesjahre 1946 und 1947 an, das ist damit zu erklären, dass schwerst verletze Angehörige der Roten Armee für eine Heimreise in die Sowjetunion nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 zu geschwächt waren und dann in Berlin verstarben.
Der im Westteil der damaligen Vier Sektoren Stadt Berlin gelegene Friedhof schlummerte regelrecht vor sich hin. Die westdeutsche Hauptstadt war Bonn, somit gab es in Westberlin keine aktiven Botschaften mehr. Die in der damaligen DDR verstorbenen Botschaftsangehörigen aus der UdSSR wurden in Ostberlin beerdigt. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang 1990 ist eine regelrechte Renaissance des Friedhofes zu beobachten. Zahlreiche Bürger der ehemaligen Sowjetunion leben im wiedervereinten Deutschland und im Todesfall finden viele von ihnen ihre letzte Ruhestätte in der Wittestraße.
Rumänien und Bulgarien sind jetzt EU Länder und deren Staatsbürger dürfen visafrei nach Deutschland einreisen und sich hier auch als Firmengründer betätigen. Einige Grabsteine auf dem Friedhof sind mittlerweile in bulgarischer oder rumänischer Schrift gemeißelt, da Zuwanderer aus diesen Ländern hier verstorben sind.
Private Spenden sorgten dafür, dass 2005 die Kirche saniert werden konnte. Heute finden dort nicht nur Trauergottesdienste statt. Regelmäßige Gottesdienste der russisch orthodoxen Gemeinde finden statt und es sind immer zahlreiche Kirchenbesucher anwesend. Obwohl die Besucher diesem Glauben nicht angehören, es ist der Gesang in der Kirche, der die Besucher fasziniert. Die Bruderschaft ist weiterhin aktiv, auch heute soll es Leute aus Russland in Berlin geben, die am Hungertuch nagen, aus verständlichen Gründen möchten die Betroffenen darüber nicht öffentlich reden.
ReiseTravel Fact: Ein Kleinod in Berlin Tegel, der zum Besuch einlädt und den Besucher auch daran erinnert, alles ist vergänglich.
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Volker-T. Neef.
Unser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.
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